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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Weise aufnehmen lassen. Die Ausführung ist hie und da hinter dem Vor¬
satz zurückgeblieben. Der Süden wird mit einem Mal sich selbst zu einem
Aufenthalts- und Niederlassungsgebiet gestalten, er wird dieses Gebiet dem
Norden und den neuen Westprvvinzen öffnen müssen.

Ein Zugeständniß an ihn scheint indeß dabei möglich zu sein. Wie
Wechselordnung und Handelsgesetzbuch, obschon sie materiell betrachtet bereits
deutsche Gesetze waren, formell erst zu norddeutschen Gesetzen erhoben werden
mußten, wird es mit dem Freizügtgkeits- und Verehelichungsgesetz, der Ge¬
werbeordnung, dem Bundes- und Staatsangehörigkeitsgesetz, dem Unter¬
stützungswohnsitzgesetz, und wie die norddeutschen Gesetze heißen, von der Seite
des neuen deutschen Bundes zu geschehen haben. Die Gesetze werden der
Berathung des deutschen Bundesparlaments zu unterstellen sein, und hier
kann die Gelegenheit wahrgenommen werden, um besseren Bestimmungen der
süddeutschen Gesetzgebung den Weg in das deutsche Bundesverwaltungsrecht
zu bahnen. Wir heben beispielshalber einen Punkt hervor. Das erst
Mitte künftigen Jahres in Kraft tretende norddeutsche Unterstützungswohn¬
sitzgesetz schreibt für Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes eine
zweijährige Frist vor, das bayrische Gesetz hat eine fünfjährige, das badische
eine dreijährige Frist vorgeschrieben. Warum bei einer so willkürlichen Be¬
stimmung wie einer Zeitfrist nicht, wenn der Süden darauf Werth legen
möchte, eine entgegenkommende Rücksicht walten lassen? Der Geist, nicht der
Buchstabe der norddeutschen Gesetzgebung soll südlich des Mains zur
Geltung gelangen. Wir wollen das beste deutsche Recht schaffen, nicht eine
norddeutsche Gesetzesherrschaft über den Süden begründen.

Ein neues Schlagwort scheint hier und vielleicht nicht blos hier eine
Rolle spielen zu sollen. Es heißt, der Bund dürfe der Verwaltungshoheit
der Bundesstaaten nicht zu nahe treten. Der Verwaltungshoheit! In dem
neuen deutschen Bund wird wie im norddeutschen Bund die Execution
wesentlich in den Händen der Bundesstaaten liegen. Das deutsche Bundes¬
präsidium wird auch nur eine Ueberwachungsgewalt haben. Welcher Eingriff
in die Verwaltungshoheit der Bundesstaaten kann also gemeint sein? Daß
die norddeutschen Bundesstaaten wichtige umfangreiche Verwaltungsausgaben
nach Maßgabe und auf Grund der Bundesgesetze erfüllen, ist ein Eingriff in
ihre Verwaltungshoheit, denn sie gehen dadurch der freien selbständigen Ver¬
waltungsthätigkeit verlustig, sie üben die Verwaltungsbefugnisse so weit im
Auftrage des Bundes und für den Bund. Dieser Eingriff ist aber die noth¬
wendige Folge des Bundesverhältnisses, die in ihm liegende Minderung der
Sonderselbständigkeit eins der Opfer, welche die nationale Neugestaltung den
Einzelstaaten auferlegte. Die innere Verwaltung wird in viel höherem Maße,
al" wohl meist bei Errichtung des Bundes "Mmuthet und angenommen


Weise aufnehmen lassen. Die Ausführung ist hie und da hinter dem Vor¬
satz zurückgeblieben. Der Süden wird mit einem Mal sich selbst zu einem
Aufenthalts- und Niederlassungsgebiet gestalten, er wird dieses Gebiet dem
Norden und den neuen Westprvvinzen öffnen müssen.

Ein Zugeständniß an ihn scheint indeß dabei möglich zu sein. Wie
Wechselordnung und Handelsgesetzbuch, obschon sie materiell betrachtet bereits
deutsche Gesetze waren, formell erst zu norddeutschen Gesetzen erhoben werden
mußten, wird es mit dem Freizügtgkeits- und Verehelichungsgesetz, der Ge¬
werbeordnung, dem Bundes- und Staatsangehörigkeitsgesetz, dem Unter¬
stützungswohnsitzgesetz, und wie die norddeutschen Gesetze heißen, von der Seite
des neuen deutschen Bundes zu geschehen haben. Die Gesetze werden der
Berathung des deutschen Bundesparlaments zu unterstellen sein, und hier
kann die Gelegenheit wahrgenommen werden, um besseren Bestimmungen der
süddeutschen Gesetzgebung den Weg in das deutsche Bundesverwaltungsrecht
zu bahnen. Wir heben beispielshalber einen Punkt hervor. Das erst
Mitte künftigen Jahres in Kraft tretende norddeutsche Unterstützungswohn¬
sitzgesetz schreibt für Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes eine
zweijährige Frist vor, das bayrische Gesetz hat eine fünfjährige, das badische
eine dreijährige Frist vorgeschrieben. Warum bei einer so willkürlichen Be¬
stimmung wie einer Zeitfrist nicht, wenn der Süden darauf Werth legen
möchte, eine entgegenkommende Rücksicht walten lassen? Der Geist, nicht der
Buchstabe der norddeutschen Gesetzgebung soll südlich des Mains zur
Geltung gelangen. Wir wollen das beste deutsche Recht schaffen, nicht eine
norddeutsche Gesetzesherrschaft über den Süden begründen.

Ein neues Schlagwort scheint hier und vielleicht nicht blos hier eine
Rolle spielen zu sollen. Es heißt, der Bund dürfe der Verwaltungshoheit
der Bundesstaaten nicht zu nahe treten. Der Verwaltungshoheit! In dem
neuen deutschen Bund wird wie im norddeutschen Bund die Execution
wesentlich in den Händen der Bundesstaaten liegen. Das deutsche Bundes¬
präsidium wird auch nur eine Ueberwachungsgewalt haben. Welcher Eingriff
in die Verwaltungshoheit der Bundesstaaten kann also gemeint sein? Daß
die norddeutschen Bundesstaaten wichtige umfangreiche Verwaltungsausgaben
nach Maßgabe und auf Grund der Bundesgesetze erfüllen, ist ein Eingriff in
ihre Verwaltungshoheit, denn sie gehen dadurch der freien selbständigen Ver¬
waltungsthätigkeit verlustig, sie üben die Verwaltungsbefugnisse so weit im
Auftrage des Bundes und für den Bund. Dieser Eingriff ist aber die noth¬
wendige Folge des Bundesverhältnisses, die in ihm liegende Minderung der
Sonderselbständigkeit eins der Opfer, welche die nationale Neugestaltung den
Einzelstaaten auferlegte. Die innere Verwaltung wird in viel höherem Maße,
al« wohl meist bei Errichtung des Bundes »Mmuthet und angenommen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/43>, abgerufen am 23.12.2024.