Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

scheint: daß die Uebereinstimmung hinsichtlich der vorzunehmenden Operationen
zwischen beiden Brüdern nicht selten fehlte, ist bekannt; indeß ein so tiefes
Zerwürfniß, wie der Verfasser schildert, ist doch überraschend -- freilich wohl
begründet. Sicherheit in den Dispositionen, ruhige Ueberlegung des Aus¬
führbaren, das waren die Haupteigenschaften des Prinzen Heinrich, Tugen¬
den, welche für einen Heerführer, der mit geringen Mitteln viel leisten soll,
unerläßlich sind, Vorzüge an denen es Friedrich natürlich nicht gebrach, die
er aber in den letzten Kriegsjahren geringschätzte. Was war es zu verwun¬
dern, wenn seine Generäle murrten! sahen sie doch oft tapfere Kameraden,
gegen die allein der Erfolg entschieden, zurückgesetzt und mit Schimpf und
Schande casstrt. Friedrich hatte ganz Recht, wenn er im Hinblick auf die
verschuldeten und unverschuldeten Niederlagen, auf die Thorheiten seiner Geg¬
ner, auf seine eignen Fehler und unverhofften Glücksscille sagte: Geschichte
schreiben sei nichts weiter, als menschliche Thorheiten und blinde Zufälle
compiliren. Das ist hinsichtlich der letzten Jahre des siebenjährigen Krieges
nicht so unrichtig, als es auf den ersten Blick scheinen mag.

Uebrigens zeigt das Beispiel Ferdinand's von Braunschweig, wie an--
haltende, wenn auch nur geringe Unfälle im Stande sind, selbst einen starken
Geist niederzudrücken. Ferdinand ließ es im ganzen Frühling des Jahres
1789 an aller Energie fehlen und war zu einer kräftigen Offensive so wenig
zu bewegen, daß er Friedrich's höchste Unzufriedenheit erregte.

Freilich wäre es Friedrich selbst in diesem Jahre zu wünschen gewesen,
daß er etwas von der Vorsicht jener Feldherrn besessen hätte; er setzte, wie
ein verzweifelter Spieler alles auf eine Karte: er griff den Feind an, wo er
ihn fand, und verlangte dasselbe von seinen Generälen. Wahrlich nicht zum
Nutzen seiner Sache! Wollte Dohna die Russen nicht angreifen, weil er sie
für zu stark hielt und sich auf seine Truppen nicht besonders verlassen konnte,
so schickte er Wedel! mit dem gemessenen Befehl, unter allen Umständen zu
schlagen: Wedell folgte; den nächsten Tag nach seiner Ankunft griff er, na¬
türlich ohne alle Terrainkcnntniß, an und wurde geschlagen. Friedrich machte
ihm keine Vorwürfe; er selbst war ja der intellectuelle Urheber der Nieder¬
lage bei Kap. Mit Recht dagegen bestand der König auf einem schnellen
Unternehmen gegen die im Posenschen und Preußischen zerstreuten russischen
Reservetruppen. Die Wichtigkeit des Wobersnow'schen Zuges unterschätzt
Schäfer augenscheinlich. Der Prinz Heinrich und der König versprachen sich
gleichviel von dieser Operation: aber zu ihrem Gelingen bedürfte sie der
Eile; nun citirt Schäfer freilich aus dem Schreiben des Königs, "der Marsch
ging nach Schildkrötenart", aber er konnte zur Charakterisirung der Lang¬
samkeit wohl hinzusetzen, daß man vom 23.-29. Juni fünf Meilen machte.
Schöning entschuldigt das, Friedrich's eigenes Urtheil (Werke V- p. 13) ist


scheint: daß die Uebereinstimmung hinsichtlich der vorzunehmenden Operationen
zwischen beiden Brüdern nicht selten fehlte, ist bekannt; indeß ein so tiefes
Zerwürfniß, wie der Verfasser schildert, ist doch überraschend — freilich wohl
begründet. Sicherheit in den Dispositionen, ruhige Ueberlegung des Aus¬
führbaren, das waren die Haupteigenschaften des Prinzen Heinrich, Tugen¬
den, welche für einen Heerführer, der mit geringen Mitteln viel leisten soll,
unerläßlich sind, Vorzüge an denen es Friedrich natürlich nicht gebrach, die
er aber in den letzten Kriegsjahren geringschätzte. Was war es zu verwun¬
dern, wenn seine Generäle murrten! sahen sie doch oft tapfere Kameraden,
gegen die allein der Erfolg entschieden, zurückgesetzt und mit Schimpf und
Schande casstrt. Friedrich hatte ganz Recht, wenn er im Hinblick auf die
verschuldeten und unverschuldeten Niederlagen, auf die Thorheiten seiner Geg¬
ner, auf seine eignen Fehler und unverhofften Glücksscille sagte: Geschichte
schreiben sei nichts weiter, als menschliche Thorheiten und blinde Zufälle
compiliren. Das ist hinsichtlich der letzten Jahre des siebenjährigen Krieges
nicht so unrichtig, als es auf den ersten Blick scheinen mag.

Uebrigens zeigt das Beispiel Ferdinand's von Braunschweig, wie an--
haltende, wenn auch nur geringe Unfälle im Stande sind, selbst einen starken
Geist niederzudrücken. Ferdinand ließ es im ganzen Frühling des Jahres
1789 an aller Energie fehlen und war zu einer kräftigen Offensive so wenig
zu bewegen, daß er Friedrich's höchste Unzufriedenheit erregte.

Freilich wäre es Friedrich selbst in diesem Jahre zu wünschen gewesen,
daß er etwas von der Vorsicht jener Feldherrn besessen hätte; er setzte, wie
ein verzweifelter Spieler alles auf eine Karte: er griff den Feind an, wo er
ihn fand, und verlangte dasselbe von seinen Generälen. Wahrlich nicht zum
Nutzen seiner Sache! Wollte Dohna die Russen nicht angreifen, weil er sie
für zu stark hielt und sich auf seine Truppen nicht besonders verlassen konnte,
so schickte er Wedel! mit dem gemessenen Befehl, unter allen Umständen zu
schlagen: Wedell folgte; den nächsten Tag nach seiner Ankunft griff er, na¬
türlich ohne alle Terrainkcnntniß, an und wurde geschlagen. Friedrich machte
ihm keine Vorwürfe; er selbst war ja der intellectuelle Urheber der Nieder¬
lage bei Kap. Mit Recht dagegen bestand der König auf einem schnellen
Unternehmen gegen die im Posenschen und Preußischen zerstreuten russischen
Reservetruppen. Die Wichtigkeit des Wobersnow'schen Zuges unterschätzt
Schäfer augenscheinlich. Der Prinz Heinrich und der König versprachen sich
gleichviel von dieser Operation: aber zu ihrem Gelingen bedürfte sie der
Eile; nun citirt Schäfer freilich aus dem Schreiben des Königs, „der Marsch
ging nach Schildkrötenart", aber er konnte zur Charakterisirung der Lang¬
samkeit wohl hinzusetzen, daß man vom 23.-29. Juni fünf Meilen machte.
Schöning entschuldigt das, Friedrich's eigenes Urtheil (Werke V- p. 13) ist


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125127"/>
          <p xml:id="ID_1264" prev="#ID_1263"> scheint: daß die Uebereinstimmung hinsichtlich der vorzunehmenden Operationen<lb/>
zwischen beiden Brüdern nicht selten fehlte, ist bekannt; indeß ein so tiefes<lb/>
Zerwürfniß, wie der Verfasser schildert, ist doch überraschend &#x2014; freilich wohl<lb/>
begründet. Sicherheit in den Dispositionen, ruhige Ueberlegung des Aus¬<lb/>
führbaren, das waren die Haupteigenschaften des Prinzen Heinrich, Tugen¬<lb/>
den, welche für einen Heerführer, der mit geringen Mitteln viel leisten soll,<lb/>
unerläßlich sind, Vorzüge an denen es Friedrich natürlich nicht gebrach, die<lb/>
er aber in den letzten Kriegsjahren geringschätzte. Was war es zu verwun¬<lb/>
dern, wenn seine Generäle murrten! sahen sie doch oft tapfere Kameraden,<lb/>
gegen die allein der Erfolg entschieden, zurückgesetzt und mit Schimpf und<lb/>
Schande casstrt. Friedrich hatte ganz Recht, wenn er im Hinblick auf die<lb/>
verschuldeten und unverschuldeten Niederlagen, auf die Thorheiten seiner Geg¬<lb/>
ner, auf seine eignen Fehler und unverhofften Glücksscille sagte: Geschichte<lb/>
schreiben sei nichts weiter, als menschliche Thorheiten und blinde Zufälle<lb/>
compiliren. Das ist hinsichtlich der letzten Jahre des siebenjährigen Krieges<lb/>
nicht so unrichtig, als es auf den ersten Blick scheinen mag.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1265"> Uebrigens zeigt das Beispiel Ferdinand's von Braunschweig, wie an--<lb/>
haltende, wenn auch nur geringe Unfälle im Stande sind, selbst einen starken<lb/>
Geist niederzudrücken. Ferdinand ließ es im ganzen Frühling des Jahres<lb/>
1789 an aller Energie fehlen und war zu einer kräftigen Offensive so wenig<lb/>
zu bewegen, daß er Friedrich's höchste Unzufriedenheit erregte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1266" next="#ID_1267"> Freilich wäre es Friedrich selbst in diesem Jahre zu wünschen gewesen,<lb/>
daß er etwas von der Vorsicht jener Feldherrn besessen hätte; er setzte, wie<lb/>
ein verzweifelter Spieler alles auf eine Karte: er griff den Feind an, wo er<lb/>
ihn fand, und verlangte dasselbe von seinen Generälen. Wahrlich nicht zum<lb/>
Nutzen seiner Sache! Wollte Dohna die Russen nicht angreifen, weil er sie<lb/>
für zu stark hielt und sich auf seine Truppen nicht besonders verlassen konnte,<lb/>
so schickte er Wedel! mit dem gemessenen Befehl, unter allen Umständen zu<lb/>
schlagen: Wedell folgte; den nächsten Tag nach seiner Ankunft griff er, na¬<lb/>
türlich ohne alle Terrainkcnntniß, an und wurde geschlagen. Friedrich machte<lb/>
ihm keine Vorwürfe; er selbst war ja der intellectuelle Urheber der Nieder¬<lb/>
lage bei Kap. Mit Recht dagegen bestand der König auf einem schnellen<lb/>
Unternehmen gegen die im Posenschen und Preußischen zerstreuten russischen<lb/>
Reservetruppen. Die Wichtigkeit des Wobersnow'schen Zuges unterschätzt<lb/>
Schäfer augenscheinlich. Der Prinz Heinrich und der König versprachen sich<lb/>
gleichviel von dieser Operation: aber zu ihrem Gelingen bedürfte sie der<lb/>
Eile; nun citirt Schäfer freilich aus dem Schreiben des Königs, &#x201E;der Marsch<lb/>
ging nach Schildkrötenart", aber er konnte zur Charakterisirung der Lang¬<lb/>
samkeit wohl hinzusetzen, daß man vom 23.-29. Juni fünf Meilen machte.<lb/>
Schöning entschuldigt das, Friedrich's eigenes Urtheil (Werke V- p. 13) ist</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0421] scheint: daß die Uebereinstimmung hinsichtlich der vorzunehmenden Operationen zwischen beiden Brüdern nicht selten fehlte, ist bekannt; indeß ein so tiefes Zerwürfniß, wie der Verfasser schildert, ist doch überraschend — freilich wohl begründet. Sicherheit in den Dispositionen, ruhige Ueberlegung des Aus¬ führbaren, das waren die Haupteigenschaften des Prinzen Heinrich, Tugen¬ den, welche für einen Heerführer, der mit geringen Mitteln viel leisten soll, unerläßlich sind, Vorzüge an denen es Friedrich natürlich nicht gebrach, die er aber in den letzten Kriegsjahren geringschätzte. Was war es zu verwun¬ dern, wenn seine Generäle murrten! sahen sie doch oft tapfere Kameraden, gegen die allein der Erfolg entschieden, zurückgesetzt und mit Schimpf und Schande casstrt. Friedrich hatte ganz Recht, wenn er im Hinblick auf die verschuldeten und unverschuldeten Niederlagen, auf die Thorheiten seiner Geg¬ ner, auf seine eignen Fehler und unverhofften Glücksscille sagte: Geschichte schreiben sei nichts weiter, als menschliche Thorheiten und blinde Zufälle compiliren. Das ist hinsichtlich der letzten Jahre des siebenjährigen Krieges nicht so unrichtig, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Uebrigens zeigt das Beispiel Ferdinand's von Braunschweig, wie an-- haltende, wenn auch nur geringe Unfälle im Stande sind, selbst einen starken Geist niederzudrücken. Ferdinand ließ es im ganzen Frühling des Jahres 1789 an aller Energie fehlen und war zu einer kräftigen Offensive so wenig zu bewegen, daß er Friedrich's höchste Unzufriedenheit erregte. Freilich wäre es Friedrich selbst in diesem Jahre zu wünschen gewesen, daß er etwas von der Vorsicht jener Feldherrn besessen hätte; er setzte, wie ein verzweifelter Spieler alles auf eine Karte: er griff den Feind an, wo er ihn fand, und verlangte dasselbe von seinen Generälen. Wahrlich nicht zum Nutzen seiner Sache! Wollte Dohna die Russen nicht angreifen, weil er sie für zu stark hielt und sich auf seine Truppen nicht besonders verlassen konnte, so schickte er Wedel! mit dem gemessenen Befehl, unter allen Umständen zu schlagen: Wedell folgte; den nächsten Tag nach seiner Ankunft griff er, na¬ türlich ohne alle Terrainkcnntniß, an und wurde geschlagen. Friedrich machte ihm keine Vorwürfe; er selbst war ja der intellectuelle Urheber der Nieder¬ lage bei Kap. Mit Recht dagegen bestand der König auf einem schnellen Unternehmen gegen die im Posenschen und Preußischen zerstreuten russischen Reservetruppen. Die Wichtigkeit des Wobersnow'schen Zuges unterschätzt Schäfer augenscheinlich. Der Prinz Heinrich und der König versprachen sich gleichviel von dieser Operation: aber zu ihrem Gelingen bedürfte sie der Eile; nun citirt Schäfer freilich aus dem Schreiben des Königs, „der Marsch ging nach Schildkrötenart", aber er konnte zur Charakterisirung der Lang¬ samkeit wohl hinzusetzen, daß man vom 23.-29. Juni fünf Meilen machte. Schöning entschuldigt das, Friedrich's eigenes Urtheil (Werke V- p. 13) ist

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/421
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/421>, abgerufen am 22.12.2024.