Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dorf vorhergehenden Operationen nicht genügend mit den übrigen ver¬
arbeitet; doch verkennen wir nicht die bedeutende Schwierigkeit, bei einem so
diffusen Stoff die Vorgänge auf den einzelnen Kriegsschauplätzen gleichmäßig
im Auge zu behalten; namentlich wächst die Schwierigkeit bet unserem
Verfasser, welcher, treu seinem Plane, die Besprechung der kriegerischen
Dinge wiederholt durch eine eingehende Darlegung der politischen Con-
stellationen unterbrechen muß.

Auf dieser Seite liegt eben der Hauptvorzug des Schäfer'schen Werkes,
wenngleich wir feinen Urtheilen über politische Vorgänge nicht allerwärts
beipflichten können. So zeigt sich auch in diesem Bande eine augenfällige
Parteinahme für Pitt. Es spricht durchaus nicht für die militärische Scharf¬
sichtigkeit des großen Staatsmannes, daß er nach Ferdinand's Sieg bei Cre-
feld keinen Einfall in Belgien unternahm; Schäfer selbst theilt mit, daß Pitt
an der Möglichkeit und Nützlichkeit eines solchen nicht zweifelte, diese Even¬
tualität aber zu spät in Erwägung zog. Daß Landungen an der französi¬
schen Küste zu einem befriedigenden Resultat nicht führen konnten, mußte
Pitt aus der vereitelten Unternehmung auf Rochefort eben gesehen haben;
mit Handstreichen war nichts zu machen, dazu waren die englischen Anführer
viel zu schwerfällig. Schäfer begnügt sich mit wenigen entschuldigenden
Worten und bescheidet sich, zu urtheilen: "für den wichtigen Zweck, die fran¬
zösische Armee in Flandern oder doch am linken Rheinufer festzuhalten, waren
seine Maßregeln entweder nicht geeignet oder zu spät ergriffen;" -- gewiß
letzteres, das spricht schon Archenhol aus, der sonst über alles, wils seinem Ge¬
sichtskreis ferner liegt, kein allzu klares Urtheil hat; das war auch Friedrich's
Meinung, die Schäfer selbst S. 171 in einer Anmerkung citirt.

Die Anordnung des Stoffes macht dem Verfasser stellenweise viel zu
schaffen; daß Daun den geweihten Degen von Clemens XIII. erhielt, -- ein
an und für sich nicht so gar bedeutendes Factum -- wird zweimal erzählt,
einmal bei Gelegenheit der Schlacht von Hochkirch und nachher bei der Be¬
trachtung der politischen Veränderungen des Jahres 1788. Die wichtigsten
politischen Ereignisse dieses Jahres sind unläugbar der Rücktritt Bernis' und
der geheime Vertrag zwischen Frankreich und Oestreich vom 31. Dec. 1768,
den Schäfer zum ersten Mal aus authentischer Quells mittheilt; für die
Oeffentlichkeit war der Vertrag vom vorhergehenden Tage bestimmt. Von
großem Belang ist denn auch die Beschreibung der Operationen, welche der
Schlacht von Kunersdorf vorhergehen, sowohl des Prinzen Ferdinand, als
auch namentlich des Prinzen Heinrich; die Unternehmungen des Letzteren
waren von bedeutendem strategischen Erfolge wegen der Zerstörung der
östreichischen Magazine in Böhmen. Es ist vielleicht hier der Ort, zu be¬
merken, daß der Prinz Heinrich bei Schäfer in einem sehr üblen Lichte er-


dorf vorhergehenden Operationen nicht genügend mit den übrigen ver¬
arbeitet; doch verkennen wir nicht die bedeutende Schwierigkeit, bei einem so
diffusen Stoff die Vorgänge auf den einzelnen Kriegsschauplätzen gleichmäßig
im Auge zu behalten; namentlich wächst die Schwierigkeit bet unserem
Verfasser, welcher, treu seinem Plane, die Besprechung der kriegerischen
Dinge wiederholt durch eine eingehende Darlegung der politischen Con-
stellationen unterbrechen muß.

Auf dieser Seite liegt eben der Hauptvorzug des Schäfer'schen Werkes,
wenngleich wir feinen Urtheilen über politische Vorgänge nicht allerwärts
beipflichten können. So zeigt sich auch in diesem Bande eine augenfällige
Parteinahme für Pitt. Es spricht durchaus nicht für die militärische Scharf¬
sichtigkeit des großen Staatsmannes, daß er nach Ferdinand's Sieg bei Cre-
feld keinen Einfall in Belgien unternahm; Schäfer selbst theilt mit, daß Pitt
an der Möglichkeit und Nützlichkeit eines solchen nicht zweifelte, diese Even¬
tualität aber zu spät in Erwägung zog. Daß Landungen an der französi¬
schen Küste zu einem befriedigenden Resultat nicht führen konnten, mußte
Pitt aus der vereitelten Unternehmung auf Rochefort eben gesehen haben;
mit Handstreichen war nichts zu machen, dazu waren die englischen Anführer
viel zu schwerfällig. Schäfer begnügt sich mit wenigen entschuldigenden
Worten und bescheidet sich, zu urtheilen: „für den wichtigen Zweck, die fran¬
zösische Armee in Flandern oder doch am linken Rheinufer festzuhalten, waren
seine Maßregeln entweder nicht geeignet oder zu spät ergriffen;" — gewiß
letzteres, das spricht schon Archenhol aus, der sonst über alles, wils seinem Ge¬
sichtskreis ferner liegt, kein allzu klares Urtheil hat; das war auch Friedrich's
Meinung, die Schäfer selbst S. 171 in einer Anmerkung citirt.

Die Anordnung des Stoffes macht dem Verfasser stellenweise viel zu
schaffen; daß Daun den geweihten Degen von Clemens XIII. erhielt, — ein
an und für sich nicht so gar bedeutendes Factum — wird zweimal erzählt,
einmal bei Gelegenheit der Schlacht von Hochkirch und nachher bei der Be¬
trachtung der politischen Veränderungen des Jahres 1788. Die wichtigsten
politischen Ereignisse dieses Jahres sind unläugbar der Rücktritt Bernis' und
der geheime Vertrag zwischen Frankreich und Oestreich vom 31. Dec. 1768,
den Schäfer zum ersten Mal aus authentischer Quells mittheilt; für die
Oeffentlichkeit war der Vertrag vom vorhergehenden Tage bestimmt. Von
großem Belang ist denn auch die Beschreibung der Operationen, welche der
Schlacht von Kunersdorf vorhergehen, sowohl des Prinzen Ferdinand, als
auch namentlich des Prinzen Heinrich; die Unternehmungen des Letzteren
waren von bedeutendem strategischen Erfolge wegen der Zerstörung der
östreichischen Magazine in Böhmen. Es ist vielleicht hier der Ort, zu be¬
merken, daß der Prinz Heinrich bei Schäfer in einem sehr üblen Lichte er-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0420" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125126"/>
          <p xml:id="ID_1261" prev="#ID_1260"> dorf vorhergehenden Operationen nicht genügend mit den übrigen ver¬<lb/>
arbeitet; doch verkennen wir nicht die bedeutende Schwierigkeit, bei einem so<lb/>
diffusen Stoff die Vorgänge auf den einzelnen Kriegsschauplätzen gleichmäßig<lb/>
im Auge zu behalten; namentlich wächst die Schwierigkeit bet unserem<lb/>
Verfasser, welcher, treu seinem Plane, die Besprechung der kriegerischen<lb/>
Dinge wiederholt durch eine eingehende Darlegung der politischen Con-<lb/>
stellationen unterbrechen muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1262"> Auf dieser Seite liegt eben der Hauptvorzug des Schäfer'schen Werkes,<lb/>
wenngleich wir feinen Urtheilen über politische Vorgänge nicht allerwärts<lb/>
beipflichten können. So zeigt sich auch in diesem Bande eine augenfällige<lb/>
Parteinahme für Pitt. Es spricht durchaus nicht für die militärische Scharf¬<lb/>
sichtigkeit des großen Staatsmannes, daß er nach Ferdinand's Sieg bei Cre-<lb/>
feld keinen Einfall in Belgien unternahm; Schäfer selbst theilt mit, daß Pitt<lb/>
an der Möglichkeit und Nützlichkeit eines solchen nicht zweifelte, diese Even¬<lb/>
tualität aber zu spät in Erwägung zog. Daß Landungen an der französi¬<lb/>
schen Küste zu einem befriedigenden Resultat nicht führen konnten, mußte<lb/>
Pitt aus der vereitelten Unternehmung auf Rochefort eben gesehen haben;<lb/>
mit Handstreichen war nichts zu machen, dazu waren die englischen Anführer<lb/>
viel zu schwerfällig. Schäfer begnügt sich mit wenigen entschuldigenden<lb/>
Worten und bescheidet sich, zu urtheilen: &#x201E;für den wichtigen Zweck, die fran¬<lb/>
zösische Armee in Flandern oder doch am linken Rheinufer festzuhalten, waren<lb/>
seine Maßregeln entweder nicht geeignet oder zu spät ergriffen;" &#x2014; gewiß<lb/>
letzteres, das spricht schon Archenhol aus, der sonst über alles, wils seinem Ge¬<lb/>
sichtskreis ferner liegt, kein allzu klares Urtheil hat; das war auch Friedrich's<lb/>
Meinung, die Schäfer selbst S. 171 in einer Anmerkung citirt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1263" next="#ID_1264"> Die Anordnung des Stoffes macht dem Verfasser stellenweise viel zu<lb/>
schaffen; daß Daun den geweihten Degen von Clemens XIII. erhielt, &#x2014; ein<lb/>
an und für sich nicht so gar bedeutendes Factum &#x2014; wird zweimal erzählt,<lb/>
einmal bei Gelegenheit der Schlacht von Hochkirch und nachher bei der Be¬<lb/>
trachtung der politischen Veränderungen des Jahres 1788. Die wichtigsten<lb/>
politischen Ereignisse dieses Jahres sind unläugbar der Rücktritt Bernis' und<lb/>
der geheime Vertrag zwischen Frankreich und Oestreich vom 31. Dec. 1768,<lb/>
den Schäfer zum ersten Mal aus authentischer Quells mittheilt; für die<lb/>
Oeffentlichkeit war der Vertrag vom vorhergehenden Tage bestimmt. Von<lb/>
großem Belang ist denn auch die Beschreibung der Operationen, welche der<lb/>
Schlacht von Kunersdorf vorhergehen, sowohl des Prinzen Ferdinand, als<lb/>
auch namentlich des Prinzen Heinrich; die Unternehmungen des Letzteren<lb/>
waren von bedeutendem strategischen Erfolge wegen der Zerstörung der<lb/>
östreichischen Magazine in Böhmen. Es ist vielleicht hier der Ort, zu be¬<lb/>
merken, daß der Prinz Heinrich bei Schäfer in einem sehr üblen Lichte er-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0420] dorf vorhergehenden Operationen nicht genügend mit den übrigen ver¬ arbeitet; doch verkennen wir nicht die bedeutende Schwierigkeit, bei einem so diffusen Stoff die Vorgänge auf den einzelnen Kriegsschauplätzen gleichmäßig im Auge zu behalten; namentlich wächst die Schwierigkeit bet unserem Verfasser, welcher, treu seinem Plane, die Besprechung der kriegerischen Dinge wiederholt durch eine eingehende Darlegung der politischen Con- stellationen unterbrechen muß. Auf dieser Seite liegt eben der Hauptvorzug des Schäfer'schen Werkes, wenngleich wir feinen Urtheilen über politische Vorgänge nicht allerwärts beipflichten können. So zeigt sich auch in diesem Bande eine augenfällige Parteinahme für Pitt. Es spricht durchaus nicht für die militärische Scharf¬ sichtigkeit des großen Staatsmannes, daß er nach Ferdinand's Sieg bei Cre- feld keinen Einfall in Belgien unternahm; Schäfer selbst theilt mit, daß Pitt an der Möglichkeit und Nützlichkeit eines solchen nicht zweifelte, diese Even¬ tualität aber zu spät in Erwägung zog. Daß Landungen an der französi¬ schen Küste zu einem befriedigenden Resultat nicht führen konnten, mußte Pitt aus der vereitelten Unternehmung auf Rochefort eben gesehen haben; mit Handstreichen war nichts zu machen, dazu waren die englischen Anführer viel zu schwerfällig. Schäfer begnügt sich mit wenigen entschuldigenden Worten und bescheidet sich, zu urtheilen: „für den wichtigen Zweck, die fran¬ zösische Armee in Flandern oder doch am linken Rheinufer festzuhalten, waren seine Maßregeln entweder nicht geeignet oder zu spät ergriffen;" — gewiß letzteres, das spricht schon Archenhol aus, der sonst über alles, wils seinem Ge¬ sichtskreis ferner liegt, kein allzu klares Urtheil hat; das war auch Friedrich's Meinung, die Schäfer selbst S. 171 in einer Anmerkung citirt. Die Anordnung des Stoffes macht dem Verfasser stellenweise viel zu schaffen; daß Daun den geweihten Degen von Clemens XIII. erhielt, — ein an und für sich nicht so gar bedeutendes Factum — wird zweimal erzählt, einmal bei Gelegenheit der Schlacht von Hochkirch und nachher bei der Be¬ trachtung der politischen Veränderungen des Jahres 1788. Die wichtigsten politischen Ereignisse dieses Jahres sind unläugbar der Rücktritt Bernis' und der geheime Vertrag zwischen Frankreich und Oestreich vom 31. Dec. 1768, den Schäfer zum ersten Mal aus authentischer Quells mittheilt; für die Oeffentlichkeit war der Vertrag vom vorhergehenden Tage bestimmt. Von großem Belang ist denn auch die Beschreibung der Operationen, welche der Schlacht von Kunersdorf vorhergehen, sowohl des Prinzen Ferdinand, als auch namentlich des Prinzen Heinrich; die Unternehmungen des Letzteren waren von bedeutendem strategischen Erfolge wegen der Zerstörung der östreichischen Magazine in Böhmen. Es ist vielleicht hier der Ort, zu be¬ merken, daß der Prinz Heinrich bei Schäfer in einem sehr üblen Lichte er-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/420
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/420>, abgerufen am 23.12.2024.