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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Die Möglichkeit der Verfassungsänderung darf im neuen deutschen Bund an
keine andern Bedingungen als im norddeutschen Bund geknüpft sein. Ver¬
gegenwärtigen wir uns von Anbeginn, daß der deutsche Staat erst zu schaffen
ist, so bleiben hoffentlich manche Erörterungen erspart, die uns Norddeutschen
vielleicht nicht erspart bleiben konnten.

Es soll nicht versucht werden auf die Competenzabgrenzung im neuen
deutschen Bund vollständig einzugehen. Die Lage der Dinge läßt hoffen,
daß auf zwei wichtigen Gebieten, im Heerwesen und in der Diplomatie,
Bundes- und Sonderinteressen zu befriedigender Ausgleichung gelangen. Die
leitenden Staatsmänner an der Spree haben diese wichtigsten Angelegenheiten
für Norddeutschland mit so vorzüglichem Geschick und Tact geordnet, daß sich
die Lösung derselben in mancher Hinsicht allerdings auch schwierigeren Auf¬
gaben für Nord- und Süddeutschland durch sie mit Sicherheit erwarten läßt.
Anfänge und Anhaltspunkte sind durch einzelne Verträge bereits gewonnen.
Wir gedenken des Abkommens über die Festungscommission, des badisch-
norddeutschen Vertrags über die militärische Freizügigkeit.

Mit minderer Zuversicht ist der Regelung auf dem wichtigen Gebiet ent¬
gegen zu sehen, auf dem der norddeutsche Bund für die Staaten nördlich
des Mains epochemachend wurde und der als das Gebiet des Artikels 3
der norddeutschen Bundesverfassung gekennzeichnet werden kann. Wir meinen
die Festsetzung des deutschen Bundesbürgerrechts und der deutschen bundes¬
bürgerlichen Rechte. Und doch ist dieses Gebiet dasjenige, auf dem Nord-
deutschland keine oder so gut wie keine Zugeständnisse machen kann, auf dem
Süddeutschland Opfer bringen muß, wenn das, was in hervorragendster
Weise zur Herstellung und Sicherung der deutschen Einheit führt, heute noch
ein Opfer ist.

Die Frage der Freizügigkeit und die mit ihr zusammenhängenden Fragen
sind in diesen Jahren nahezu erschöpft worden. Die Nothwendigkeit, daß
ein Staatswesen wie Norddeutschland seine Bürger in Handel und Wandel
von jeder polizeilichen Hemmung befreie, ist allgemein erkannt und -anerkannt,
die Wohlthat, welche die neue Gesetzgebung für den wirtschaftlichen Verkehr,
für das ganze materielle Sein des Volkes ist, wird selten noch verkannt, die
Mittel, mit denen den Nachtheilen dieser Gesetzgebung entgegenzuwirken, sind
hinreichend bekannt. Norddeutschland darf keinen wirklichen Rückschritt auf
diesem Gebiete wagen. Seine besten staatlichen Leistungen sind mit der
folgerecht festgehaltenen freien Wirthschaftspolitik verknüpft.

Der Süden ist auf dem Gebiet auch nicht zurückgeblieben'; manches war
vor Gründung des norddeutschen Bundes, manches ist seit Gründung des¬
selben geschehen. Die kleineren Verhältnisse haben aber manche Be¬
schränkungen beibehalten, sie haben freie Bestimmungen in beschränkterer


Die Möglichkeit der Verfassungsänderung darf im neuen deutschen Bund an
keine andern Bedingungen als im norddeutschen Bund geknüpft sein. Ver¬
gegenwärtigen wir uns von Anbeginn, daß der deutsche Staat erst zu schaffen
ist, so bleiben hoffentlich manche Erörterungen erspart, die uns Norddeutschen
vielleicht nicht erspart bleiben konnten.

Es soll nicht versucht werden auf die Competenzabgrenzung im neuen
deutschen Bund vollständig einzugehen. Die Lage der Dinge läßt hoffen,
daß auf zwei wichtigen Gebieten, im Heerwesen und in der Diplomatie,
Bundes- und Sonderinteressen zu befriedigender Ausgleichung gelangen. Die
leitenden Staatsmänner an der Spree haben diese wichtigsten Angelegenheiten
für Norddeutschland mit so vorzüglichem Geschick und Tact geordnet, daß sich
die Lösung derselben in mancher Hinsicht allerdings auch schwierigeren Auf¬
gaben für Nord- und Süddeutschland durch sie mit Sicherheit erwarten läßt.
Anfänge und Anhaltspunkte sind durch einzelne Verträge bereits gewonnen.
Wir gedenken des Abkommens über die Festungscommission, des badisch-
norddeutschen Vertrags über die militärische Freizügigkeit.

Mit minderer Zuversicht ist der Regelung auf dem wichtigen Gebiet ent¬
gegen zu sehen, auf dem der norddeutsche Bund für die Staaten nördlich
des Mains epochemachend wurde und der als das Gebiet des Artikels 3
der norddeutschen Bundesverfassung gekennzeichnet werden kann. Wir meinen
die Festsetzung des deutschen Bundesbürgerrechts und der deutschen bundes¬
bürgerlichen Rechte. Und doch ist dieses Gebiet dasjenige, auf dem Nord-
deutschland keine oder so gut wie keine Zugeständnisse machen kann, auf dem
Süddeutschland Opfer bringen muß, wenn das, was in hervorragendster
Weise zur Herstellung und Sicherung der deutschen Einheit führt, heute noch
ein Opfer ist.

Die Frage der Freizügigkeit und die mit ihr zusammenhängenden Fragen
sind in diesen Jahren nahezu erschöpft worden. Die Nothwendigkeit, daß
ein Staatswesen wie Norddeutschland seine Bürger in Handel und Wandel
von jeder polizeilichen Hemmung befreie, ist allgemein erkannt und -anerkannt,
die Wohlthat, welche die neue Gesetzgebung für den wirtschaftlichen Verkehr,
für das ganze materielle Sein des Volkes ist, wird selten noch verkannt, die
Mittel, mit denen den Nachtheilen dieser Gesetzgebung entgegenzuwirken, sind
hinreichend bekannt. Norddeutschland darf keinen wirklichen Rückschritt auf
diesem Gebiete wagen. Seine besten staatlichen Leistungen sind mit der
folgerecht festgehaltenen freien Wirthschaftspolitik verknüpft.

Der Süden ist auf dem Gebiet auch nicht zurückgeblieben'; manches war
vor Gründung des norddeutschen Bundes, manches ist seit Gründung des¬
selben geschehen. Die kleineren Verhältnisse haben aber manche Be¬
schränkungen beibehalten, sie haben freie Bestimmungen in beschränkterer


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[0042] Die Möglichkeit der Verfassungsänderung darf im neuen deutschen Bund an keine andern Bedingungen als im norddeutschen Bund geknüpft sein. Ver¬ gegenwärtigen wir uns von Anbeginn, daß der deutsche Staat erst zu schaffen ist, so bleiben hoffentlich manche Erörterungen erspart, die uns Norddeutschen vielleicht nicht erspart bleiben konnten. Es soll nicht versucht werden auf die Competenzabgrenzung im neuen deutschen Bund vollständig einzugehen. Die Lage der Dinge läßt hoffen, daß auf zwei wichtigen Gebieten, im Heerwesen und in der Diplomatie, Bundes- und Sonderinteressen zu befriedigender Ausgleichung gelangen. Die leitenden Staatsmänner an der Spree haben diese wichtigsten Angelegenheiten für Norddeutschland mit so vorzüglichem Geschick und Tact geordnet, daß sich die Lösung derselben in mancher Hinsicht allerdings auch schwierigeren Auf¬ gaben für Nord- und Süddeutschland durch sie mit Sicherheit erwarten läßt. Anfänge und Anhaltspunkte sind durch einzelne Verträge bereits gewonnen. Wir gedenken des Abkommens über die Festungscommission, des badisch- norddeutschen Vertrags über die militärische Freizügigkeit. Mit minderer Zuversicht ist der Regelung auf dem wichtigen Gebiet ent¬ gegen zu sehen, auf dem der norddeutsche Bund für die Staaten nördlich des Mains epochemachend wurde und der als das Gebiet des Artikels 3 der norddeutschen Bundesverfassung gekennzeichnet werden kann. Wir meinen die Festsetzung des deutschen Bundesbürgerrechts und der deutschen bundes¬ bürgerlichen Rechte. Und doch ist dieses Gebiet dasjenige, auf dem Nord- deutschland keine oder so gut wie keine Zugeständnisse machen kann, auf dem Süddeutschland Opfer bringen muß, wenn das, was in hervorragendster Weise zur Herstellung und Sicherung der deutschen Einheit führt, heute noch ein Opfer ist. Die Frage der Freizügigkeit und die mit ihr zusammenhängenden Fragen sind in diesen Jahren nahezu erschöpft worden. Die Nothwendigkeit, daß ein Staatswesen wie Norddeutschland seine Bürger in Handel und Wandel von jeder polizeilichen Hemmung befreie, ist allgemein erkannt und -anerkannt, die Wohlthat, welche die neue Gesetzgebung für den wirtschaftlichen Verkehr, für das ganze materielle Sein des Volkes ist, wird selten noch verkannt, die Mittel, mit denen den Nachtheilen dieser Gesetzgebung entgegenzuwirken, sind hinreichend bekannt. Norddeutschland darf keinen wirklichen Rückschritt auf diesem Gebiete wagen. Seine besten staatlichen Leistungen sind mit der folgerecht festgehaltenen freien Wirthschaftspolitik verknüpft. Der Süden ist auf dem Gebiet auch nicht zurückgeblieben'; manches war vor Gründung des norddeutschen Bundes, manches ist seit Gründung des¬ selben geschehen. Die kleineren Verhältnisse haben aber manche Be¬ schränkungen beibehalten, sie haben freie Bestimmungen in beschränkterer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/42>, abgerufen am 22.12.2024.