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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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sidien anbot -- die der König damals noch entbehren zu können glaubte --
was nützte es, wenn er wiederholt und nachdrücklich die Aufrechterhaltung
des Königs von Preußen, nicht den Schutz Hannovers als das wichtigste
betonte und doch das wirksamste Mittel, Preußen gegen die Russen zu
schützen, nicht anwenden wollte! Der König blieb nun einmal der wettsich¬
tigere Stratege und mit welchem Recht er noch im December 1767 auf der
Absendung eines englischen Ostseegeschwaders bestand, zeigte sich bereits im
Januar 1788, als Fermor mit den Russen in Ostpreußen einrückte. Schäfer
sagt einfach, Pitt habe es nicht gekonnt: allein wenn er zu unglücklichen
Landungsversuchen in Frankreich stets Schiffe übrig hatte, konnte er in der
That auch einige wenige in die Ostsee schicken. Mochte er auch immer den
größten Theil der englischen Seemacht in Amerika verwenden oder für einen
Hauptschlag in den europäischen Meeren in Reserve halten, wenige Schiffe
genügten, um den ohnedies nicht sehr eifrigen Russen einen heilsamen
Schrecken einzuflößen. Eine große Hemmung für Pitt war freilich die ge¬
botene Rücksichtnahme auf die Parteiungen Englands, welche die Leistungs¬
fähigkeit desselben außerordentlich verringerten. Aber eine gewisse Eigenwillig¬
keit zeigt sich auch in Pitt's Beharren auf der Abberufung Mttchells, und
Friedrich der Große hatte allen Grund zu sagen: "ich habe mich geweigert,
mich von Königen regieren zu lassen, ich lasse mich auch nicht von Herrn
Pitt regieren." Daß Pitt aber in diesem Punkt nur eigensinnig war, zeigt
schon der Umstand, daß er Mitchell auf seinem Posten beließ, weil sein prä-
sumtiver Nachfolger Borke im Haag unabkömmlich war. Es scheint mithin,
daß Schäfer der Stellung Pitt's zu seinen widerwilligen Amtsgenossen allzu
viel Rechnung trägt: war er wirklich der Mann, für den ihn Schäfer gelten
lassen will, so mußte er durch Umsicht und Einsicht zu verhindern wissen,
daß so untergeordnete Fragen zu Kabinetsfragen wurden. Friedrich's Aus¬
stellungen an dem englischen Bündniß, die er gegen Uorke machte, sind in
der That begründet: es komme darauf an, meinte er, in ihre gemeinschaft¬
liche Action ein System zu bringen; das hätten seine Gegner gethan, wäh¬
rend sie selbst nur von einem Tag zum andern gesorgt hätten. Das ist der
Charakter auch der Pitt'schen Maßregeln -- mögen sie noch so sehr durch
die Nothwendigkeit empfohlen worden sein -- und somit können wir dem
Urtheil nicht vollkommen beipflichten, welches Schäfer auf der letzten Seite
des ersten Bandes über Pitt fällt.

Von den Beilagen des ersten Bandes nimmt am meisten Interesse in
Anspruch Nummer 5, der Vertrag zwischen Maria Theresia und der Kaiserin
aller Reußen vom 22. Januar (2. Februar) 1757, nach dem im Hauptarchiv
des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten zu Moskau befindlichen
Original. Die Maßnahmen des früheren Vertrages vom 22. Mai 1746


sidien anbot — die der König damals noch entbehren zu können glaubte —
was nützte es, wenn er wiederholt und nachdrücklich die Aufrechterhaltung
des Königs von Preußen, nicht den Schutz Hannovers als das wichtigste
betonte und doch das wirksamste Mittel, Preußen gegen die Russen zu
schützen, nicht anwenden wollte! Der König blieb nun einmal der wettsich¬
tigere Stratege und mit welchem Recht er noch im December 1767 auf der
Absendung eines englischen Ostseegeschwaders bestand, zeigte sich bereits im
Januar 1788, als Fermor mit den Russen in Ostpreußen einrückte. Schäfer
sagt einfach, Pitt habe es nicht gekonnt: allein wenn er zu unglücklichen
Landungsversuchen in Frankreich stets Schiffe übrig hatte, konnte er in der
That auch einige wenige in die Ostsee schicken. Mochte er auch immer den
größten Theil der englischen Seemacht in Amerika verwenden oder für einen
Hauptschlag in den europäischen Meeren in Reserve halten, wenige Schiffe
genügten, um den ohnedies nicht sehr eifrigen Russen einen heilsamen
Schrecken einzuflößen. Eine große Hemmung für Pitt war freilich die ge¬
botene Rücksichtnahme auf die Parteiungen Englands, welche die Leistungs¬
fähigkeit desselben außerordentlich verringerten. Aber eine gewisse Eigenwillig¬
keit zeigt sich auch in Pitt's Beharren auf der Abberufung Mttchells, und
Friedrich der Große hatte allen Grund zu sagen: „ich habe mich geweigert,
mich von Königen regieren zu lassen, ich lasse mich auch nicht von Herrn
Pitt regieren." Daß Pitt aber in diesem Punkt nur eigensinnig war, zeigt
schon der Umstand, daß er Mitchell auf seinem Posten beließ, weil sein prä-
sumtiver Nachfolger Borke im Haag unabkömmlich war. Es scheint mithin,
daß Schäfer der Stellung Pitt's zu seinen widerwilligen Amtsgenossen allzu
viel Rechnung trägt: war er wirklich der Mann, für den ihn Schäfer gelten
lassen will, so mußte er durch Umsicht und Einsicht zu verhindern wissen,
daß so untergeordnete Fragen zu Kabinetsfragen wurden. Friedrich's Aus¬
stellungen an dem englischen Bündniß, die er gegen Uorke machte, sind in
der That begründet: es komme darauf an, meinte er, in ihre gemeinschaft¬
liche Action ein System zu bringen; das hätten seine Gegner gethan, wäh¬
rend sie selbst nur von einem Tag zum andern gesorgt hätten. Das ist der
Charakter auch der Pitt'schen Maßregeln — mögen sie noch so sehr durch
die Nothwendigkeit empfohlen worden sein — und somit können wir dem
Urtheil nicht vollkommen beipflichten, welches Schäfer auf der letzten Seite
des ersten Bandes über Pitt fällt.

Von den Beilagen des ersten Bandes nimmt am meisten Interesse in
Anspruch Nummer 5, der Vertrag zwischen Maria Theresia und der Kaiserin
aller Reußen vom 22. Januar (2. Februar) 1757, nach dem im Hauptarchiv
des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten zu Moskau befindlichen
Original. Die Maßnahmen des früheren Vertrages vom 22. Mai 1746


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/416>, abgerufen am 23.12.2024.