Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.Wurde sie gewonnen, so waren die letzten Reste der östreichischen Feldarmee Wurde sie gewonnen, so waren die letzten Reste der östreichischen Feldarmee <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125120"/> <p xml:id="ID_1244" prev="#ID_1243" next="#ID_1245"> Wurde sie gewonnen, so waren die letzten Reste der östreichischen Feldarmee<lb/> vernichtet, der Weg in das Herz des feindlichen Landes stand dein Könige<lb/> offen; und wenn Friedrich es wagte, mit seiner kleinen Armee einen über¬<lb/> legenen Feind in vortheilhafter Stellung anzugreifen, mußte er, wenn jemals,<lb/> die ganze Genialität seines Geistes entwickeln; hat sie ihn dort auf Momente<lb/> etwa verlassen? Die Vorgänge, welche den Verlust der Schlacht verschulde¬<lb/> ten, kennen wir freilich, aber wer veranlaßte sie? Wir haben diese Lücke<lb/> in Schäfer's Werk um so mehr bedauert, weil uns dieses Jahr von andrer<lb/> Seite über denselben Gegenstand eine Monographie gebracht hat, welche, weit<lb/> entfernt, die Schuldfrage zu erledigen, nur dazu dienen kann, den alten Streit<lb/> aufs neue zu entflammen. Duncker' s Aufsatz im Juliheft der Zeitschrift für<lb/> preußische Geschichte ist eine umfangreiche Apologie des Königs; die Gewissen¬<lb/> haftigkeit der gegnerischen Gewährsmänner wird in Zweifel gezogen und der<lb/> König erscheint so nach allen Seiten frei von Schuld. Wir behalten uns<lb/> unser Urtheil vor, jedenfalls reizt Dunckers Schrift zum Widerspruch und<lb/> das ist für den Gegenstand selbst von Vortheil. Eine Möglichkeit übrigens,<lb/> die Duncker nicht erwogen hat, die aber einen Theil der widersprechenden Be¬<lb/> richte vereinigen könnte, ist folgende: das Hülsen'sche Corps, welches den<lb/> rechten Flügel des Feindes angreifen sollte, war zu schwach, eine der drei<lb/> aufeinander folgenden Höhenreihen zu nehmen oder gar zu behaupten, es war<lb/> unmöglich den östreichischen rechten Flügel zu werfen, als die preußische Rei¬<lb/> terei ihre Dienste versagte: um aber die immerhin bereits errungenen Vor¬<lb/> theile zu behaupten und mit den vorhandenen Streitkräften einen zweiten<lb/> Stoß gegen den rechten Flügel zu richten, war es nöthig, die Oestreicher zu<lb/> verhindern, diesem Hilfe zu senden; darum sollte Moritz von Anhalt in der<lb/> Front angreifen und die zwischen Hülsen und diesem entstandene Lücke wurde<lb/> durch Reserve-Bataillone ausgefüllt: — ein Manöver, das zwar gewagt war,<lb/> aber zum Ziele führen konnte, wenn der rechte Flügel, den Dispositionen des<lb/> Königs treu, sich intact hielt: er konnte nöthigenfalls als Reserve dienen<lb/> oder zur Verstärkung des Centrums herangezogen werden. Der einzige wirk¬<lb/> liche Fehler kommt dann auf Rechnung des Generals von Manstein, der<lb/> den rechten Flügel trotzdem engagirte; und diesen ehrgeizigen und unbe¬<lb/> sonnenen Führer wird Niemand entschuldigen. Es ist jedenfalls fraglich, ob<lb/> Moritz von Anhalt eigenmächtig das Centrum angreifen ließ, oder ob der<lb/> König nicht selbst diese Nothwendigkeit einsah. Und es war nothwendig;<lb/> an der starken Stellung des Feindes wäre auch Moritz's Infanterie zerschellt,<lb/> wenn sie, dem ursprünglichen Schlachtplan treu, Hülsen gefolgt wäre. Daß<lb/> Friedrichs Berichte über die Schlacht sich nicht gleich bleiben, werde ich, im<lb/> Gegensatz zu Duncker, an andrer Stelle zu beweisen Gelegenheit finden.<lb/> Eine abschließende Darstellung der Vorgänge ist aber deshalb nothwendig,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0414]
Wurde sie gewonnen, so waren die letzten Reste der östreichischen Feldarmee
vernichtet, der Weg in das Herz des feindlichen Landes stand dein Könige
offen; und wenn Friedrich es wagte, mit seiner kleinen Armee einen über¬
legenen Feind in vortheilhafter Stellung anzugreifen, mußte er, wenn jemals,
die ganze Genialität seines Geistes entwickeln; hat sie ihn dort auf Momente
etwa verlassen? Die Vorgänge, welche den Verlust der Schlacht verschulde¬
ten, kennen wir freilich, aber wer veranlaßte sie? Wir haben diese Lücke
in Schäfer's Werk um so mehr bedauert, weil uns dieses Jahr von andrer
Seite über denselben Gegenstand eine Monographie gebracht hat, welche, weit
entfernt, die Schuldfrage zu erledigen, nur dazu dienen kann, den alten Streit
aufs neue zu entflammen. Duncker' s Aufsatz im Juliheft der Zeitschrift für
preußische Geschichte ist eine umfangreiche Apologie des Königs; die Gewissen¬
haftigkeit der gegnerischen Gewährsmänner wird in Zweifel gezogen und der
König erscheint so nach allen Seiten frei von Schuld. Wir behalten uns
unser Urtheil vor, jedenfalls reizt Dunckers Schrift zum Widerspruch und
das ist für den Gegenstand selbst von Vortheil. Eine Möglichkeit übrigens,
die Duncker nicht erwogen hat, die aber einen Theil der widersprechenden Be¬
richte vereinigen könnte, ist folgende: das Hülsen'sche Corps, welches den
rechten Flügel des Feindes angreifen sollte, war zu schwach, eine der drei
aufeinander folgenden Höhenreihen zu nehmen oder gar zu behaupten, es war
unmöglich den östreichischen rechten Flügel zu werfen, als die preußische Rei¬
terei ihre Dienste versagte: um aber die immerhin bereits errungenen Vor¬
theile zu behaupten und mit den vorhandenen Streitkräften einen zweiten
Stoß gegen den rechten Flügel zu richten, war es nöthig, die Oestreicher zu
verhindern, diesem Hilfe zu senden; darum sollte Moritz von Anhalt in der
Front angreifen und die zwischen Hülsen und diesem entstandene Lücke wurde
durch Reserve-Bataillone ausgefüllt: — ein Manöver, das zwar gewagt war,
aber zum Ziele führen konnte, wenn der rechte Flügel, den Dispositionen des
Königs treu, sich intact hielt: er konnte nöthigenfalls als Reserve dienen
oder zur Verstärkung des Centrums herangezogen werden. Der einzige wirk¬
liche Fehler kommt dann auf Rechnung des Generals von Manstein, der
den rechten Flügel trotzdem engagirte; und diesen ehrgeizigen und unbe¬
sonnenen Führer wird Niemand entschuldigen. Es ist jedenfalls fraglich, ob
Moritz von Anhalt eigenmächtig das Centrum angreifen ließ, oder ob der
König nicht selbst diese Nothwendigkeit einsah. Und es war nothwendig;
an der starken Stellung des Feindes wäre auch Moritz's Infanterie zerschellt,
wenn sie, dem ursprünglichen Schlachtplan treu, Hülsen gefolgt wäre. Daß
Friedrichs Berichte über die Schlacht sich nicht gleich bleiben, werde ich, im
Gegensatz zu Duncker, an andrer Stelle zu beweisen Gelegenheit finden.
Eine abschließende Darstellung der Vorgänge ist aber deshalb nothwendig,
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