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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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haltend, gelangt dann der Verfasser bei der Beurtheilung der französischen
militärischen, wie politischen Maßnahmen zu Resultaten, welche zwar nicht
ganz neu, aber doch selten mit gleich unerbittlicher Schärfe dargelegt sind.
Ueber die Vorgänge vor und während der Schlacht bei Prag, die auch etwas
complicirter Natur ist, erhalten wir nichts Neues, sind aber dem Verfasser
zu Dank verpflichtet für die Ausführlichkeit, mit welcher er den Mayr'schen
Zug "in's Reich" erzählt. Mayr ist eine Persönlichkeit, die auch wohl eine
ausführliche Biographie verdiente; unter den Zeitgenossen ist er sehr gefeiert
worden und in den damals so beliebten "Todtengesprächen" spielt er -- nach
1759 -- eine bedeutende Rolle. Bekannt ist auch das Urtheil, welches Prinz
Heinrich kurz nach seinem Tode aussprach, "um einen eben so fähigen Mann,
wie den Verstorbenen zu finden, würde man vergeblich drei Armeen durch¬
wühlen". DerkühneZng des verwegenen Parteigängers -- der damals höch¬
stens in Ziethen. später in Schill und v. Colomb seines Gleichen hat -- zeigt
deutlich, was ein tüchtiger Führer mit einer noch so unbedeutenden Anzahl
muthiger, wohldisciplinirter Leute leisten kann. In Böhmen nalM er die
Magazine weg, in Nürnberg stellte er als angeblicher Vortrab von 15,000 M.
exorbitante Forderungen, schlug sich im fränkischen Kreise mit der Vierhänder An¬
zahl Reichstruppen siegreich herum; die bayrische Regierung hielt es für gerathen,
sich von allen feindlichen Schritten loszusagen, die Kölner Offiziere machten
aus ihren Sympathien für die preußische Sache kein Hehl, die Würtenberger
entliefen in hellen Haufen ihren Fahnen und gingen zum kühnen Mayr nach
Franken.

Wir haben oben bemerkt, daß Schäfer's Werk, so eminente Vorzüge es
auch für eine Kenntniß der politischen Verhandlungen hat, an nicht wenigen
Stellen den im Stiche läßt, der sich zwar begnügt, die militärischen Actionen
in zweiter Linie zu finden, aber nicht sie als Nebensachen behandelt und ver¬
nachlässigt zu sehen. Eine solche Stelle, an welcher die schärfste Prüfung des
Thatbestandes geboten erscheint, ist die Schlacht von Kollin. Die Vorgänge,
welche den unglücklichen Ausgang verschuldeten, haben eine ungemeine Zahl von
Schriften hervorgerufen. Anfeindungen gegen, Rechtfertigungen für den König.
Die militärischen Leser -- und man sollte meinen, daß auch für diese die
Geschichte des siebenjährigen Krieges geschrieben sein sollte, werden es dem
Verfasser wenig Dank wissen, daß er über jene Dinge fast ganz schweigt.
Freilich mahnen uns häufigere Citate an dieser Stelle, daß wir uns auf
streitigen Boden befinden, aber es genügte nicht, das anzudeuten. Wir ver¬
zeihen es dem Verfasser gern, wenn er, obwohl eifrig bemüht, auch nicht die
geringfügigsten diplomatischen Winkelzüge zu übersehen, sich über das mili¬
tärische Detail an unwichtigen Punkten hinwegsetzt, aber nicht bei der Be¬
schreibung der Kolliner Schlacht, einer Action von entscheidender Bedeutung.


haltend, gelangt dann der Verfasser bei der Beurtheilung der französischen
militärischen, wie politischen Maßnahmen zu Resultaten, welche zwar nicht
ganz neu, aber doch selten mit gleich unerbittlicher Schärfe dargelegt sind.
Ueber die Vorgänge vor und während der Schlacht bei Prag, die auch etwas
complicirter Natur ist, erhalten wir nichts Neues, sind aber dem Verfasser
zu Dank verpflichtet für die Ausführlichkeit, mit welcher er den Mayr'schen
Zug „in's Reich" erzählt. Mayr ist eine Persönlichkeit, die auch wohl eine
ausführliche Biographie verdiente; unter den Zeitgenossen ist er sehr gefeiert
worden und in den damals so beliebten „Todtengesprächen" spielt er — nach
1759 — eine bedeutende Rolle. Bekannt ist auch das Urtheil, welches Prinz
Heinrich kurz nach seinem Tode aussprach, „um einen eben so fähigen Mann,
wie den Verstorbenen zu finden, würde man vergeblich drei Armeen durch¬
wühlen". DerkühneZng des verwegenen Parteigängers — der damals höch¬
stens in Ziethen. später in Schill und v. Colomb seines Gleichen hat — zeigt
deutlich, was ein tüchtiger Führer mit einer noch so unbedeutenden Anzahl
muthiger, wohldisciplinirter Leute leisten kann. In Böhmen nalM er die
Magazine weg, in Nürnberg stellte er als angeblicher Vortrab von 15,000 M.
exorbitante Forderungen, schlug sich im fränkischen Kreise mit der Vierhänder An¬
zahl Reichstruppen siegreich herum; die bayrische Regierung hielt es für gerathen,
sich von allen feindlichen Schritten loszusagen, die Kölner Offiziere machten
aus ihren Sympathien für die preußische Sache kein Hehl, die Würtenberger
entliefen in hellen Haufen ihren Fahnen und gingen zum kühnen Mayr nach
Franken.

Wir haben oben bemerkt, daß Schäfer's Werk, so eminente Vorzüge es
auch für eine Kenntniß der politischen Verhandlungen hat, an nicht wenigen
Stellen den im Stiche läßt, der sich zwar begnügt, die militärischen Actionen
in zweiter Linie zu finden, aber nicht sie als Nebensachen behandelt und ver¬
nachlässigt zu sehen. Eine solche Stelle, an welcher die schärfste Prüfung des
Thatbestandes geboten erscheint, ist die Schlacht von Kollin. Die Vorgänge,
welche den unglücklichen Ausgang verschuldeten, haben eine ungemeine Zahl von
Schriften hervorgerufen. Anfeindungen gegen, Rechtfertigungen für den König.
Die militärischen Leser — und man sollte meinen, daß auch für diese die
Geschichte des siebenjährigen Krieges geschrieben sein sollte, werden es dem
Verfasser wenig Dank wissen, daß er über jene Dinge fast ganz schweigt.
Freilich mahnen uns häufigere Citate an dieser Stelle, daß wir uns auf
streitigen Boden befinden, aber es genügte nicht, das anzudeuten. Wir ver¬
zeihen es dem Verfasser gern, wenn er, obwohl eifrig bemüht, auch nicht die
geringfügigsten diplomatischen Winkelzüge zu übersehen, sich über das mili¬
tärische Detail an unwichtigen Punkten hinwegsetzt, aber nicht bei der Be¬
schreibung der Kolliner Schlacht, einer Action von entscheidender Bedeutung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/413>, abgerufen am 23.12.2024.