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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Rom nie einen nationalen, sondern stets einen internationalen und antinatio¬
nalen Charakter gehabt hat.

Wir haben bisher von Rom gesprochen, ohne des Papstes zu gedenken,
und gesehen, daß auch in dem unwahrscheinlichen, ja fast undenkbaren Falle,
daß er hinauszöge oder hinausgeworfen würde, Rom eine schlechte Haupt¬
stadt abgäbe. Wenn er nun aber bleibt -- und es ist dabei einerlei, ob man
ihn mit seinen Priestern in der Leonina internirt, was doch stark an die
Judenviertel des Mittelalters erinnert --, wenn er bleibt, so eröffnet sich eine
Fernsicht von Schwierigkeiten, die wir wenigstens gar nicht abzusehen ver¬
mögen. Will man die Erfahrung des Mittelalters noch einmal machen,
sollen nun im engsten Raum das geistliche und das weltliche Schwert noch
einmal auf einander stoßen? Wir haben oben den Romzug Italiens mit den
Kreuzfahrten verglichen: der Geschichtskundige weiß, daß die Krone der Bal-
duine von Jerusalem vornehmlich über dem Hader der allzu nah bei einander
angesiedelten kirchlichen und politischen Gewalten verloren gegangen ist.


a/D.


Künftige Verfassungsfragen. (Korrespondenz aus Gaoen.

Mit demselben Eifer, und sagen wir es gleich, mit derselben Besonnen¬
heit, mit welcher sie die Zurückweisung des welschen Angriffs unternahm,
geht die Nation an das Werk der staatlichen Einigung von Norden und
Süden. Früheres Mißgeschick ist nicht vergessen, die Gunst des Augenblicks
soll nicht zum zweiten oder dritten Mal versäumt werden. Wie anders
schicken wir uns heute an, Hand an Errichtung des deutschen Staates zu
legen, unter wie ernsteren zwingenden Umständen sind wir freilich auch an¬
gewiesen, es zu thun! Könnte der Augenblick ungenutzt oder nicht völlig ge¬
nutzt verstreichen, welche Folgen müßte dies haben? welcher neue weltgeschicht¬
liche Anlaß sollte uns befähigen, die Lösung der deutschen Frage entscheidend
anzufassen?

Der deutschen theoretischen Neigung entsprechend tritt der organisatorische
Gesichtspunkt in den Vordergrund. Wie Regierung und Vertretung des
neuen deutschen Bundes beschaffen, wie sie genannt sein sollen, beschäftigt
viele Köpfe und die alten Wünsche nach dem deutschen Reiche werden wieder
laut. Ist es doch, als ob der romantische Schimmer jenes vergangenen
Staatsgebildes so lange seinen verlockenden und trügerischen Zauber bewah¬
ren sollte, bis die gerechten Ansprüche der Nation auf staatliche Zusammen-


Rom nie einen nationalen, sondern stets einen internationalen und antinatio¬
nalen Charakter gehabt hat.

Wir haben bisher von Rom gesprochen, ohne des Papstes zu gedenken,
und gesehen, daß auch in dem unwahrscheinlichen, ja fast undenkbaren Falle,
daß er hinauszöge oder hinausgeworfen würde, Rom eine schlechte Haupt¬
stadt abgäbe. Wenn er nun aber bleibt — und es ist dabei einerlei, ob man
ihn mit seinen Priestern in der Leonina internirt, was doch stark an die
Judenviertel des Mittelalters erinnert —, wenn er bleibt, so eröffnet sich eine
Fernsicht von Schwierigkeiten, die wir wenigstens gar nicht abzusehen ver¬
mögen. Will man die Erfahrung des Mittelalters noch einmal machen,
sollen nun im engsten Raum das geistliche und das weltliche Schwert noch
einmal auf einander stoßen? Wir haben oben den Romzug Italiens mit den
Kreuzfahrten verglichen: der Geschichtskundige weiß, daß die Krone der Bal-
duine von Jerusalem vornehmlich über dem Hader der allzu nah bei einander
angesiedelten kirchlichen und politischen Gewalten verloren gegangen ist.


a/D.


Künftige Verfassungsfragen. (Korrespondenz aus Gaoen.

Mit demselben Eifer, und sagen wir es gleich, mit derselben Besonnen¬
heit, mit welcher sie die Zurückweisung des welschen Angriffs unternahm,
geht die Nation an das Werk der staatlichen Einigung von Norden und
Süden. Früheres Mißgeschick ist nicht vergessen, die Gunst des Augenblicks
soll nicht zum zweiten oder dritten Mal versäumt werden. Wie anders
schicken wir uns heute an, Hand an Errichtung des deutschen Staates zu
legen, unter wie ernsteren zwingenden Umständen sind wir freilich auch an¬
gewiesen, es zu thun! Könnte der Augenblick ungenutzt oder nicht völlig ge¬
nutzt verstreichen, welche Folgen müßte dies haben? welcher neue weltgeschicht¬
liche Anlaß sollte uns befähigen, die Lösung der deutschen Frage entscheidend
anzufassen?

Der deutschen theoretischen Neigung entsprechend tritt der organisatorische
Gesichtspunkt in den Vordergrund. Wie Regierung und Vertretung des
neuen deutschen Bundes beschaffen, wie sie genannt sein sollen, beschäftigt
viele Köpfe und die alten Wünsche nach dem deutschen Reiche werden wieder
laut. Ist es doch, als ob der romantische Schimmer jenes vergangenen
Staatsgebildes so lange seinen verlockenden und trügerischen Zauber bewah¬
ren sollte, bis die gerechten Ansprüche der Nation auf staatliche Zusammen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/40>, abgerufen am 22.12.2024.