Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die Verbände, welche die Armenlasten subsidiär zu tragen, für die Ortsarmenver¬
bände subsidiär einzutreten haben. Der Umfang der subsidiären Verpflichtung
wird vom Bundesgesetz nicht genau bestimmt, sondern den Landesgesetzen zu
bestimmen überlassen. Auch hinsichtlich der Zusammensetzung der Land¬
armenverbände bleibt den territorialen Eigenthümlichkeiten voller Spielraum
gewahrt. Der Regel nach sollen die Landarmenverbände aus einer Mehr¬
heit von Ortsarmenverbänden bestehen, können sich ausnahmsweise aber auf
den Bezirk eines einzigen Ortsarmenverbands beschränken. Wie Berlin,
Potsdam, Frankfurt a/O. werden voraussichtlich Frankfurt a/M., Dresden,
Leipzig, eigene Landarmenverbände bilden, um sich auch nach dieser Seite ihre
städtische Selbständigkeit zu sichern. Die kleinen Staaten ermächtigt das Ge¬
setz, die Funktionen des Landarmenverbands selbst zu übernehmen, eine Er¬
mächtigung, von der die thüringischen Fürstenthümer vermuthlich Gebrauch
machen, wenn sie nicht aus zusammenliegenden Ländertheilen gemeinschaftliche
Landarmenverbände bilden. So gut wie sie zu gemeinschaftlichen Einrich¬
tungen auf den Gebieten der Rechtspflege und Steuerverwaltung geführt
wurden, können sie, ohne ihre staatliche Unabhängigkeit zu gefährden, zu ähn¬
lichen Vereinigungen bezüglich des Armenwesens schreiten. Für ein Land,
wie Sachsen, scheint die Möglichkeit, einen einzigen Landarmenverband zu
bilden, ausgeschlossen. Nicht der Größe wegen, denn, Provinzen wie West¬
falen, Rheinland, Sachsen haben sich zu Landarmenverbänden gestaltet, Han¬
nover wird es, Dank seinem Provinzialfonds, Schleswig-Holstein, vermöge
seiner "Ungetheiltheit", wahrscheinlich thun. Es liegt im Wesen der Land¬
armenpflege, daß ihre Lasten besser getragen, ihre Anstalten besser eingerichtet
werden, je größer die Bezirke sind, welche die Lasten tragen und die Anstalten
einrichten. Dem kleineren Staat sind, indeß eigene Bedingungen für sein
staatliches Sein vorgezeichnet und wenn er sich aus dem Fuße eines Gro߬
staats organisiren wollte, würde das sein und seiner Bürger Nachtheil sein.
Die Erfahrungen, welche die Rheinbundszeit in dieser Beziehung brachte,
dürfen für unverloren gelten. In den Regierenden lebt das Bewußtsein,
daß sie nur dann ihren Aufgaben gerecht werden, wenn sie den Verhältnissen
volle Rechnung tragen, wenn sie ihre Anschauungen nach den Zuständen
modeln, nicht umgekehrt diese nach jenen modeln wollen.

Faßt man die Bildung der sächsischen Landarmenverbände näher ins
Auge, so macht sich ein Mangel bemerkbar, der bewußt und unbewußt schon
vielfach empfunden, dem aber bisher nicht abgeholfen worden, es ist der
Mangel größerer Verwaltungskreise, die Aufgaben, wie die Landarmenpflege,
aNein oder gemeinschaftlich zu übernehmen vermögen. Die vier Regierungs¬
kreise tragen, mit Ausnahme des Lausitzer, rein administrativen Charakter
und sind aller Wahrscheinlichkeit nach keine dauernde Eintheilung, an die
"


4S

die Verbände, welche die Armenlasten subsidiär zu tragen, für die Ortsarmenver¬
bände subsidiär einzutreten haben. Der Umfang der subsidiären Verpflichtung
wird vom Bundesgesetz nicht genau bestimmt, sondern den Landesgesetzen zu
bestimmen überlassen. Auch hinsichtlich der Zusammensetzung der Land¬
armenverbände bleibt den territorialen Eigenthümlichkeiten voller Spielraum
gewahrt. Der Regel nach sollen die Landarmenverbände aus einer Mehr¬
heit von Ortsarmenverbänden bestehen, können sich ausnahmsweise aber auf
den Bezirk eines einzigen Ortsarmenverbands beschränken. Wie Berlin,
Potsdam, Frankfurt a/O. werden voraussichtlich Frankfurt a/M., Dresden,
Leipzig, eigene Landarmenverbände bilden, um sich auch nach dieser Seite ihre
städtische Selbständigkeit zu sichern. Die kleinen Staaten ermächtigt das Ge¬
setz, die Funktionen des Landarmenverbands selbst zu übernehmen, eine Er¬
mächtigung, von der die thüringischen Fürstenthümer vermuthlich Gebrauch
machen, wenn sie nicht aus zusammenliegenden Ländertheilen gemeinschaftliche
Landarmenverbände bilden. So gut wie sie zu gemeinschaftlichen Einrich¬
tungen auf den Gebieten der Rechtspflege und Steuerverwaltung geführt
wurden, können sie, ohne ihre staatliche Unabhängigkeit zu gefährden, zu ähn¬
lichen Vereinigungen bezüglich des Armenwesens schreiten. Für ein Land,
wie Sachsen, scheint die Möglichkeit, einen einzigen Landarmenverband zu
bilden, ausgeschlossen. Nicht der Größe wegen, denn, Provinzen wie West¬
falen, Rheinland, Sachsen haben sich zu Landarmenverbänden gestaltet, Han¬
nover wird es, Dank seinem Provinzialfonds, Schleswig-Holstein, vermöge
seiner „Ungetheiltheit", wahrscheinlich thun. Es liegt im Wesen der Land¬
armenpflege, daß ihre Lasten besser getragen, ihre Anstalten besser eingerichtet
werden, je größer die Bezirke sind, welche die Lasten tragen und die Anstalten
einrichten. Dem kleineren Staat sind, indeß eigene Bedingungen für sein
staatliches Sein vorgezeichnet und wenn er sich aus dem Fuße eines Gro߬
staats organisiren wollte, würde das sein und seiner Bürger Nachtheil sein.
Die Erfahrungen, welche die Rheinbundszeit in dieser Beziehung brachte,
dürfen für unverloren gelten. In den Regierenden lebt das Bewußtsein,
daß sie nur dann ihren Aufgaben gerecht werden, wenn sie den Verhältnissen
volle Rechnung tragen, wenn sie ihre Anschauungen nach den Zuständen
modeln, nicht umgekehrt diese nach jenen modeln wollen.

Faßt man die Bildung der sächsischen Landarmenverbände näher ins
Auge, so macht sich ein Mangel bemerkbar, der bewußt und unbewußt schon
vielfach empfunden, dem aber bisher nicht abgeholfen worden, es ist der
Mangel größerer Verwaltungskreise, die Aufgaben, wie die Landarmenpflege,
aNein oder gemeinschaftlich zu übernehmen vermögen. Die vier Regierungs¬
kreise tragen, mit Ausnahme des Lausitzer, rein administrativen Charakter
und sind aller Wahrscheinlichkeit nach keine dauernde Eintheilung, an die
"


4S
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0395" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125101"/>
          <p xml:id="ID_1191" prev="#ID_1190"> die Verbände, welche die Armenlasten subsidiär zu tragen, für die Ortsarmenver¬<lb/>
bände subsidiär einzutreten haben. Der Umfang der subsidiären Verpflichtung<lb/>
wird vom Bundesgesetz nicht genau bestimmt, sondern den Landesgesetzen zu<lb/>
bestimmen überlassen. Auch hinsichtlich der Zusammensetzung der Land¬<lb/>
armenverbände bleibt den territorialen Eigenthümlichkeiten voller Spielraum<lb/>
gewahrt. Der Regel nach sollen die Landarmenverbände aus einer Mehr¬<lb/>
heit von Ortsarmenverbänden bestehen, können sich ausnahmsweise aber auf<lb/>
den Bezirk eines einzigen Ortsarmenverbands beschränken. Wie Berlin,<lb/>
Potsdam, Frankfurt a/O. werden voraussichtlich Frankfurt a/M., Dresden,<lb/>
Leipzig, eigene Landarmenverbände bilden, um sich auch nach dieser Seite ihre<lb/>
städtische Selbständigkeit zu sichern. Die kleinen Staaten ermächtigt das Ge¬<lb/>
setz, die Funktionen des Landarmenverbands selbst zu übernehmen, eine Er¬<lb/>
mächtigung, von der die thüringischen Fürstenthümer vermuthlich Gebrauch<lb/>
machen, wenn sie nicht aus zusammenliegenden Ländertheilen gemeinschaftliche<lb/>
Landarmenverbände bilden. So gut wie sie zu gemeinschaftlichen Einrich¬<lb/>
tungen auf den Gebieten der Rechtspflege und Steuerverwaltung geführt<lb/>
wurden, können sie, ohne ihre staatliche Unabhängigkeit zu gefährden, zu ähn¬<lb/>
lichen Vereinigungen bezüglich des Armenwesens schreiten. Für ein Land,<lb/>
wie Sachsen, scheint die Möglichkeit, einen einzigen Landarmenverband zu<lb/>
bilden, ausgeschlossen. Nicht der Größe wegen, denn, Provinzen wie West¬<lb/>
falen, Rheinland, Sachsen haben sich zu Landarmenverbänden gestaltet, Han¬<lb/>
nover wird es, Dank seinem Provinzialfonds, Schleswig-Holstein, vermöge<lb/>
seiner &#x201E;Ungetheiltheit", wahrscheinlich thun. Es liegt im Wesen der Land¬<lb/>
armenpflege, daß ihre Lasten besser getragen, ihre Anstalten besser eingerichtet<lb/>
werden, je größer die Bezirke sind, welche die Lasten tragen und die Anstalten<lb/>
einrichten. Dem kleineren Staat sind, indeß eigene Bedingungen für sein<lb/>
staatliches Sein vorgezeichnet und wenn er sich aus dem Fuße eines Gro߬<lb/>
staats organisiren wollte, würde das sein und seiner Bürger Nachtheil sein.<lb/>
Die Erfahrungen, welche die Rheinbundszeit in dieser Beziehung brachte,<lb/>
dürfen für unverloren gelten. In den Regierenden lebt das Bewußtsein,<lb/>
daß sie nur dann ihren Aufgaben gerecht werden, wenn sie den Verhältnissen<lb/>
volle Rechnung tragen, wenn sie ihre Anschauungen nach den Zuständen<lb/>
modeln, nicht umgekehrt diese nach jenen modeln wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1192" next="#ID_1193"> Faßt man die Bildung der sächsischen Landarmenverbände näher ins<lb/>
Auge, so macht sich ein Mangel bemerkbar, der bewußt und unbewußt schon<lb/>
vielfach empfunden, dem aber bisher nicht abgeholfen worden, es ist der<lb/>
Mangel größerer Verwaltungskreise, die Aufgaben, wie die Landarmenpflege,<lb/>
aNein oder gemeinschaftlich zu übernehmen vermögen. Die vier Regierungs¬<lb/>
kreise tragen, mit Ausnahme des Lausitzer, rein administrativen Charakter<lb/>
und sind aller Wahrscheinlichkeit nach keine dauernde Eintheilung, an die<lb/>
"</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 4S</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0395] die Verbände, welche die Armenlasten subsidiär zu tragen, für die Ortsarmenver¬ bände subsidiär einzutreten haben. Der Umfang der subsidiären Verpflichtung wird vom Bundesgesetz nicht genau bestimmt, sondern den Landesgesetzen zu bestimmen überlassen. Auch hinsichtlich der Zusammensetzung der Land¬ armenverbände bleibt den territorialen Eigenthümlichkeiten voller Spielraum gewahrt. Der Regel nach sollen die Landarmenverbände aus einer Mehr¬ heit von Ortsarmenverbänden bestehen, können sich ausnahmsweise aber auf den Bezirk eines einzigen Ortsarmenverbands beschränken. Wie Berlin, Potsdam, Frankfurt a/O. werden voraussichtlich Frankfurt a/M., Dresden, Leipzig, eigene Landarmenverbände bilden, um sich auch nach dieser Seite ihre städtische Selbständigkeit zu sichern. Die kleinen Staaten ermächtigt das Ge¬ setz, die Funktionen des Landarmenverbands selbst zu übernehmen, eine Er¬ mächtigung, von der die thüringischen Fürstenthümer vermuthlich Gebrauch machen, wenn sie nicht aus zusammenliegenden Ländertheilen gemeinschaftliche Landarmenverbände bilden. So gut wie sie zu gemeinschaftlichen Einrich¬ tungen auf den Gebieten der Rechtspflege und Steuerverwaltung geführt wurden, können sie, ohne ihre staatliche Unabhängigkeit zu gefährden, zu ähn¬ lichen Vereinigungen bezüglich des Armenwesens schreiten. Für ein Land, wie Sachsen, scheint die Möglichkeit, einen einzigen Landarmenverband zu bilden, ausgeschlossen. Nicht der Größe wegen, denn, Provinzen wie West¬ falen, Rheinland, Sachsen haben sich zu Landarmenverbänden gestaltet, Han¬ nover wird es, Dank seinem Provinzialfonds, Schleswig-Holstein, vermöge seiner „Ungetheiltheit", wahrscheinlich thun. Es liegt im Wesen der Land¬ armenpflege, daß ihre Lasten besser getragen, ihre Anstalten besser eingerichtet werden, je größer die Bezirke sind, welche die Lasten tragen und die Anstalten einrichten. Dem kleineren Staat sind, indeß eigene Bedingungen für sein staatliches Sein vorgezeichnet und wenn er sich aus dem Fuße eines Gro߬ staats organisiren wollte, würde das sein und seiner Bürger Nachtheil sein. Die Erfahrungen, welche die Rheinbundszeit in dieser Beziehung brachte, dürfen für unverloren gelten. In den Regierenden lebt das Bewußtsein, daß sie nur dann ihren Aufgaben gerecht werden, wenn sie den Verhältnissen volle Rechnung tragen, wenn sie ihre Anschauungen nach den Zuständen modeln, nicht umgekehrt diese nach jenen modeln wollen. Faßt man die Bildung der sächsischen Landarmenverbände näher ins Auge, so macht sich ein Mangel bemerkbar, der bewußt und unbewußt schon vielfach empfunden, dem aber bisher nicht abgeholfen worden, es ist der Mangel größerer Verwaltungskreise, die Aufgaben, wie die Landarmenpflege, aNein oder gemeinschaftlich zu übernehmen vermögen. Die vier Regierungs¬ kreise tragen, mit Ausnahme des Lausitzer, rein administrativen Charakter und sind aller Wahrscheinlichkeit nach keine dauernde Eintheilung, an die " 4S

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/395
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/395>, abgerufen am 22.12.2024.