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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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gemeine Wehrpflicht mit der Prämie, welche sie vermöge des Instituts der
Einjährig-Freiwilligen auf höhere Schulbildung setzt, Geltung erlangt hat,
für zahlreiche junge Leute folglich auf einmal die Nothwendigkeit entstanden
ist, ihre allgemeine geistige Ausrüstung zu erweitern. Der Vorsprung, der in
dieser Richtung z. B. bei Rheinländern wahrzunehmen war, da wo sie, wie
in auswärtigen Handelsplätzen, Seite an Seite mit Hanseaten standen, muß
offenbar baldmöglichst eingeholt werden. Ist der Entschluß so zu thun aber
einmal gefaßt, so kommt den Hansestädten ihre privilegirte Lage auch hiefür
außerordentlich zu Statten. In Preußen muß der angehende Kaufmann
wohl oder übel mit dem vorlieb nehmen, was in seiner eigenen Stadt oder irgend
einer benachbarten ihm innerhalb des engen Rahmens der vom Cultusminister
patentirter Formen von Bildungsanstalten dargeboten wird; Hamburg und
Bremen hingegen sind frei, ihr Unterrichtswesen nach den in ihnen vornehm¬
lich lebenden Bedürfnissen zuzuschneiden, wenn sie sich nur nicht selber aus
Geistesträgheit oder Mangel an Muth einer fremden Schablone sclavisch
unterwerfen. Hier braucht also die höhere Bildung, deren Nothwendigkeit
das Freiwilligenexamen mit heilsamem Zwange Vielen aus einmal vor die
Seele geführt hat, nicht lediglich in den vorhandenen Gleisen des Gymnasial¬
oder Realschulunterrichts gesucht zu werden. Es können neue Anstalten ent¬
stehen, die dasselbe Ziel mit geringerem Müheaufwand in kürzerer Frist oder
ein erhabeneres Ziel mit demselben Maß von Zeit und Anstrengung errei¬
chen lassen. Hamburg, Bremen und Lübeck in erster Linie, Danzig, Leipzig,
Nürnberg, Frankfurt u. s. f. in zweiter, sind augenscheinlich berufen, nach
dieser Seite hin bahnbrechend voranzugehen.

In den drei Hansestädten hat man sich denn auch bereits einigermaßen
in die wünschenswerthe Bewegung gesetzt. Vorab in Hamburg, wo das
verkümmerte Vermächtniß der Vorzeit, das akademische Gymnasium, nach
einer Entscheidung seines Schicksals drängt, und die Regungen, welche in
allen drei angeführten Städten auftauchen, vermöge der Größe und Bedeu¬
tung des Platzes am massenhaftesten hervortreten. Ein ehemaliger Theater-
director, der jetzt Mitglied der Bürgerschaft ist, Herr Th. Fürst, regte im
Frühjahr 1869 die Sache in dieser Körperschaft an. Man ernannte einen
Ausschuß und dieser hat nun kürzlich wohl durch den geeignetsten Mann, der
dafür überhaupt zu finden war, durch den ebenso geistreichen als vielseitig
unterrichteten, gründlich arbeitenden und praktisch denkenden Bürgerschafts-
prästdenten Obergerichtsrath Dr. Baumeister Bericht erstattet.

Wir haben im Wesentlichen diesem Bericht entnommen, was oben über
die Geschichte des akademischen Gymnasiums und die verschiedenen Vorschläge
zu seiner Reform gesagt worden ist. Gern würden wir ihm auch seinen posi¬
tiven und actuellen Theil entnehmen, fürchteten wir nicht, dem einen oder


gemeine Wehrpflicht mit der Prämie, welche sie vermöge des Instituts der
Einjährig-Freiwilligen auf höhere Schulbildung setzt, Geltung erlangt hat,
für zahlreiche junge Leute folglich auf einmal die Nothwendigkeit entstanden
ist, ihre allgemeine geistige Ausrüstung zu erweitern. Der Vorsprung, der in
dieser Richtung z. B. bei Rheinländern wahrzunehmen war, da wo sie, wie
in auswärtigen Handelsplätzen, Seite an Seite mit Hanseaten standen, muß
offenbar baldmöglichst eingeholt werden. Ist der Entschluß so zu thun aber
einmal gefaßt, so kommt den Hansestädten ihre privilegirte Lage auch hiefür
außerordentlich zu Statten. In Preußen muß der angehende Kaufmann
wohl oder übel mit dem vorlieb nehmen, was in seiner eigenen Stadt oder irgend
einer benachbarten ihm innerhalb des engen Rahmens der vom Cultusminister
patentirter Formen von Bildungsanstalten dargeboten wird; Hamburg und
Bremen hingegen sind frei, ihr Unterrichtswesen nach den in ihnen vornehm¬
lich lebenden Bedürfnissen zuzuschneiden, wenn sie sich nur nicht selber aus
Geistesträgheit oder Mangel an Muth einer fremden Schablone sclavisch
unterwerfen. Hier braucht also die höhere Bildung, deren Nothwendigkeit
das Freiwilligenexamen mit heilsamem Zwange Vielen aus einmal vor die
Seele geführt hat, nicht lediglich in den vorhandenen Gleisen des Gymnasial¬
oder Realschulunterrichts gesucht zu werden. Es können neue Anstalten ent¬
stehen, die dasselbe Ziel mit geringerem Müheaufwand in kürzerer Frist oder
ein erhabeneres Ziel mit demselben Maß von Zeit und Anstrengung errei¬
chen lassen. Hamburg, Bremen und Lübeck in erster Linie, Danzig, Leipzig,
Nürnberg, Frankfurt u. s. f. in zweiter, sind augenscheinlich berufen, nach
dieser Seite hin bahnbrechend voranzugehen.

In den drei Hansestädten hat man sich denn auch bereits einigermaßen
in die wünschenswerthe Bewegung gesetzt. Vorab in Hamburg, wo das
verkümmerte Vermächtniß der Vorzeit, das akademische Gymnasium, nach
einer Entscheidung seines Schicksals drängt, und die Regungen, welche in
allen drei angeführten Städten auftauchen, vermöge der Größe und Bedeu¬
tung des Platzes am massenhaftesten hervortreten. Ein ehemaliger Theater-
director, der jetzt Mitglied der Bürgerschaft ist, Herr Th. Fürst, regte im
Frühjahr 1869 die Sache in dieser Körperschaft an. Man ernannte einen
Ausschuß und dieser hat nun kürzlich wohl durch den geeignetsten Mann, der
dafür überhaupt zu finden war, durch den ebenso geistreichen als vielseitig
unterrichteten, gründlich arbeitenden und praktisch denkenden Bürgerschafts-
prästdenten Obergerichtsrath Dr. Baumeister Bericht erstattet.

Wir haben im Wesentlichen diesem Bericht entnommen, was oben über
die Geschichte des akademischen Gymnasiums und die verschiedenen Vorschläge
zu seiner Reform gesagt worden ist. Gern würden wir ihm auch seinen posi¬
tiven und actuellen Theil entnehmen, fürchteten wir nicht, dem einen oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/391>, abgerufen am 23.12.2024.