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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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dingungen, die in dem eigenthümlichen Wesen der Plastik liegen, stimmen
mit dem Geist der griechischen Mythologie so sehr überein, daß man aus
ihm den Charakter der griechischen Sculptur mit demselben Rechte ableiten
kann, wie aus den Gesetzen der Plastik überhaupt; indem diese Kunst jene
mythologischen Ideale darstellt, genügt sie zugleich aus das Vollkommenste
ihrer eigenen Natur. "Die Plastik", bemerkt Schelling, "kann sich zuhöchst
nur durch Darstellung von Göttern genügen, sie ist die eigentlich götterbil¬
dende Kunst, und diese Behauptung, sagt er, ist nicht empirisch gemeint,
nämlich so, daß die plastische Kunst niemals ihre Höhe erreicht hätte, wäre
sie nicht durch die Religion aufgefordert worden, Götter darzustellen. Die
Meinung sei eigentlich diese, daß die Plastik an und für sich selbst, und wenn
sie nur ihren besonderen Forderungen genügen will, Götter darstellen muß."
Dies paradoxe Wort enthält eine Wahrheit, die jederzeit gefühlt worden ist.
Denn in der That ist keine andere Kunst durch ihr eigenes Wesen so sehr
wie die Plastik zur Darstellung allgemeiner Ideale befähigt und aufgefor¬
dert. Die Ideale der griechischen Götterwelt sind aber der plastischen Ver¬
körperung gleichsam besonders präformirt; die Darstellung eines sinnlich seeli¬
schen Genügens, wie es sich in den heitern Bildern des olympischen Daseins
spiegelt, ist recht eigentlich Sache der Plastik.

Kein Zweifel, daß mit dem Zustand des geistigen Lebens, aus dem der
Glaube an jene Götterwelt entsprang, auch wichtige Bedingungen der plasti¬
schen Kunst verloren gingen. Wohl können einzelne der mythologischen Ge¬
stalten auch jetzt noch angemessene Gegenstände plastischer Darstellung sein,
und zwar nicht blos als allgemeine Typen einer schönen menschlichen Natur,
sie können auch sür uns noch mehr sein, als blos genrehafte Gattungs¬
gestalten, Venus mehr als blos ein schönes Weib, Apollo mehr als nur ein
schöner Jüngling. Auch wir können in ihnen charakteristische Symbole gei¬
stiger Lebensmächte erblicken und sie in diesem Sinn als allegorische Gestal¬
ten, deren die Plastik am wenigsten entbehren kann, unter uns fnrtleben
lassen. Nur wird der Künstler in solchen Gestalten nicht bloße Wieder¬
holungen der antiken Ideale geben dürfen, er muß sie mit dem Hauch un¬
serer eigenen Empfindung beseelen und, wie Ulysses die Schatten der Unter¬
welt, mit dem Blute des Lebens tränken.

Als ein charakteristisches Merkmal des Umschwunges, der im Gefühls¬
leben der neueren Zeit dem Alterthum gegenüber eintrat, hat von jeher ge¬
golten, daß im Gebiet der bildenden Künste die Malerei zur Herrschaft gelangte.
Wie die Plastik schon im Zeitalter der Renaissance von ihr abhängig war, so
wird dies am Ende auch heutzutage nicht anders sein können. Will sie un¬
serem Empfinden genügen, so wird sie eine Vertiefung des persönlich Cha¬
rakteristischen, eine Richtung auf das Individuelle und geschichtlich Bedingte


dingungen, die in dem eigenthümlichen Wesen der Plastik liegen, stimmen
mit dem Geist der griechischen Mythologie so sehr überein, daß man aus
ihm den Charakter der griechischen Sculptur mit demselben Rechte ableiten
kann, wie aus den Gesetzen der Plastik überhaupt; indem diese Kunst jene
mythologischen Ideale darstellt, genügt sie zugleich aus das Vollkommenste
ihrer eigenen Natur. „Die Plastik", bemerkt Schelling, „kann sich zuhöchst
nur durch Darstellung von Göttern genügen, sie ist die eigentlich götterbil¬
dende Kunst, und diese Behauptung, sagt er, ist nicht empirisch gemeint,
nämlich so, daß die plastische Kunst niemals ihre Höhe erreicht hätte, wäre
sie nicht durch die Religion aufgefordert worden, Götter darzustellen. Die
Meinung sei eigentlich diese, daß die Plastik an und für sich selbst, und wenn
sie nur ihren besonderen Forderungen genügen will, Götter darstellen muß."
Dies paradoxe Wort enthält eine Wahrheit, die jederzeit gefühlt worden ist.
Denn in der That ist keine andere Kunst durch ihr eigenes Wesen so sehr
wie die Plastik zur Darstellung allgemeiner Ideale befähigt und aufgefor¬
dert. Die Ideale der griechischen Götterwelt sind aber der plastischen Ver¬
körperung gleichsam besonders präformirt; die Darstellung eines sinnlich seeli¬
schen Genügens, wie es sich in den heitern Bildern des olympischen Daseins
spiegelt, ist recht eigentlich Sache der Plastik.

Kein Zweifel, daß mit dem Zustand des geistigen Lebens, aus dem der
Glaube an jene Götterwelt entsprang, auch wichtige Bedingungen der plasti¬
schen Kunst verloren gingen. Wohl können einzelne der mythologischen Ge¬
stalten auch jetzt noch angemessene Gegenstände plastischer Darstellung sein,
und zwar nicht blos als allgemeine Typen einer schönen menschlichen Natur,
sie können auch sür uns noch mehr sein, als blos genrehafte Gattungs¬
gestalten, Venus mehr als blos ein schönes Weib, Apollo mehr als nur ein
schöner Jüngling. Auch wir können in ihnen charakteristische Symbole gei¬
stiger Lebensmächte erblicken und sie in diesem Sinn als allegorische Gestal¬
ten, deren die Plastik am wenigsten entbehren kann, unter uns fnrtleben
lassen. Nur wird der Künstler in solchen Gestalten nicht bloße Wieder¬
holungen der antiken Ideale geben dürfen, er muß sie mit dem Hauch un¬
serer eigenen Empfindung beseelen und, wie Ulysses die Schatten der Unter¬
welt, mit dem Blute des Lebens tränken.

Als ein charakteristisches Merkmal des Umschwunges, der im Gefühls¬
leben der neueren Zeit dem Alterthum gegenüber eintrat, hat von jeher ge¬
golten, daß im Gebiet der bildenden Künste die Malerei zur Herrschaft gelangte.
Wie die Plastik schon im Zeitalter der Renaissance von ihr abhängig war, so
wird dies am Ende auch heutzutage nicht anders sein können. Will sie un¬
serem Empfinden genügen, so wird sie eine Vertiefung des persönlich Cha¬
rakteristischen, eine Richtung auf das Individuelle und geschichtlich Bedingte


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[0376] dingungen, die in dem eigenthümlichen Wesen der Plastik liegen, stimmen mit dem Geist der griechischen Mythologie so sehr überein, daß man aus ihm den Charakter der griechischen Sculptur mit demselben Rechte ableiten kann, wie aus den Gesetzen der Plastik überhaupt; indem diese Kunst jene mythologischen Ideale darstellt, genügt sie zugleich aus das Vollkommenste ihrer eigenen Natur. „Die Plastik", bemerkt Schelling, „kann sich zuhöchst nur durch Darstellung von Göttern genügen, sie ist die eigentlich götterbil¬ dende Kunst, und diese Behauptung, sagt er, ist nicht empirisch gemeint, nämlich so, daß die plastische Kunst niemals ihre Höhe erreicht hätte, wäre sie nicht durch die Religion aufgefordert worden, Götter darzustellen. Die Meinung sei eigentlich diese, daß die Plastik an und für sich selbst, und wenn sie nur ihren besonderen Forderungen genügen will, Götter darstellen muß." Dies paradoxe Wort enthält eine Wahrheit, die jederzeit gefühlt worden ist. Denn in der That ist keine andere Kunst durch ihr eigenes Wesen so sehr wie die Plastik zur Darstellung allgemeiner Ideale befähigt und aufgefor¬ dert. Die Ideale der griechischen Götterwelt sind aber der plastischen Ver¬ körperung gleichsam besonders präformirt; die Darstellung eines sinnlich seeli¬ schen Genügens, wie es sich in den heitern Bildern des olympischen Daseins spiegelt, ist recht eigentlich Sache der Plastik. Kein Zweifel, daß mit dem Zustand des geistigen Lebens, aus dem der Glaube an jene Götterwelt entsprang, auch wichtige Bedingungen der plasti¬ schen Kunst verloren gingen. Wohl können einzelne der mythologischen Ge¬ stalten auch jetzt noch angemessene Gegenstände plastischer Darstellung sein, und zwar nicht blos als allgemeine Typen einer schönen menschlichen Natur, sie können auch sür uns noch mehr sein, als blos genrehafte Gattungs¬ gestalten, Venus mehr als blos ein schönes Weib, Apollo mehr als nur ein schöner Jüngling. Auch wir können in ihnen charakteristische Symbole gei¬ stiger Lebensmächte erblicken und sie in diesem Sinn als allegorische Gestal¬ ten, deren die Plastik am wenigsten entbehren kann, unter uns fnrtleben lassen. Nur wird der Künstler in solchen Gestalten nicht bloße Wieder¬ holungen der antiken Ideale geben dürfen, er muß sie mit dem Hauch un¬ serer eigenen Empfindung beseelen und, wie Ulysses die Schatten der Unter¬ welt, mit dem Blute des Lebens tränken. Als ein charakteristisches Merkmal des Umschwunges, der im Gefühls¬ leben der neueren Zeit dem Alterthum gegenüber eintrat, hat von jeher ge¬ golten, daß im Gebiet der bildenden Künste die Malerei zur Herrschaft gelangte. Wie die Plastik schon im Zeitalter der Renaissance von ihr abhängig war, so wird dies am Ende auch heutzutage nicht anders sein können. Will sie un¬ serem Empfinden genügen, so wird sie eine Vertiefung des persönlich Cha¬ rakteristischen, eine Richtung auf das Individuelle und geschichtlich Bedingte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/376>, abgerufen am 22.12.2024.