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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Widersinn, der in der Vorstellung einer plastischen Reproduction Rubens¬
scher Gestalten liegt, wurde in den Sculpturen Bernini's in der That erreicht.

Dieser maßlose Manierismus, in dessen Verirrungen häufig sehr aus¬
gezeichnete Talente ihre Kräfte verschwendeten, verbreitete sich von Italien
über alle kunsttreibenden Länder Europas und gedieh besonders in der üppigen
Atmosphäre Frankreichs, wo im Jahrhundert Ludwig's XIV. Puget mit sei¬
nen theatralischen Bravourstücken Bernini noch überbernifirte. Nur in weni¬
gen Ausnahmen, namentlich in den Werken Schlüter's in Deutschland, zeigte
sich während dieser Epoche, die bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahr¬
hunderts hineinreichte, ein gesundes plastisches Gefühl. Vergleicht man eine
Statue Thorwaldsen's mit einer Arbeit aus der letzten Zeit dieser barocken
Sculpturverwilderung. so möchte man für unmöglich halten, daß so völlig
entgegengesetzte Erscheinungen zeitlich so nahe neben einander entstehen konn¬
ten. "IKorvaläsen; e'eLt l'meormu" ist ein mehrfach citirtes Wort Napo¬
leons, und in der That, beschränkt man den Blick auf die Vorgängerschaft
des Meisters im Gebiet seiner Kunst, so kann die geistige Herkunft desselben
wie ein Räthsel erscheinen, die Gesammtheit seiner Werke wie eine xroles
sins matrs creata.

Die geschichtlich vorbereitenden Momente für Thorwaldsen's epoche¬
machende Wiederherstellung der Plastik liegen wesentlich in anderen Zusam¬
menhängen; das Wichtigste, auf das wir schon hingedeutet, war die große
Erkenntniß, welche Winckelmann's tiefsinnige Erklärungen der alten Kunst
dem Jahrhundert eröffnet hatten. Die Nebel der barocken Vorstellungen,
welche die antike Welt umlagerten, hatte der Hauch seines Geistes gelichtet,
sein offenbarendes Wort hatte das Gefühl aufs Neue erschlossen für die stille
Größe und hohe Einfalt der hellenischen Kunst. Aber nicht sogleich war
das neue Kunstevangelium auch künstlerisch in bedeutender Weise fruchtbar
geworden. Was die Malerei betrifft, so läßt zwar Mengs, der vertraute
Freund Winckelmann's, in der Art seiner Formengebung die läuternden Ein¬
flüsse einer richtiger angeschauter Antike nicht verkennen; aber er erhebt
sich nur wenig über jene kühle Nachahmung classischer Formen, welche in
den Arbeiten noch geringerer Talente die ganz abstracte Idealität einer
matten und leeren Schönheit und eine völlige Entfremdung von der eigent¬
lichen Aufgabe der Malerei zur Folge hatte. In der Sculptur ist Canova
eine dem Mengs sehr verwandte Erscheinung. Obgleich von entschieden grö¬
ßerer künstlerischer Begabung als dieser und lebhafter, als jeder andere zeit¬
genössische Plastiker, von den Einwirkungen der neuerwachten Antike berührt,
bleibt er doch noch stark in den Manieren der Zopfkunst befangen. Eine
gewisse elegante und kokette Classicität ist der vorherrschende Charakter sei¬
ner Werke, und wenn es ein Irrthum wäre, Mengs als den Anfänger einer


Widersinn, der in der Vorstellung einer plastischen Reproduction Rubens¬
scher Gestalten liegt, wurde in den Sculpturen Bernini's in der That erreicht.

Dieser maßlose Manierismus, in dessen Verirrungen häufig sehr aus¬
gezeichnete Talente ihre Kräfte verschwendeten, verbreitete sich von Italien
über alle kunsttreibenden Länder Europas und gedieh besonders in der üppigen
Atmosphäre Frankreichs, wo im Jahrhundert Ludwig's XIV. Puget mit sei¬
nen theatralischen Bravourstücken Bernini noch überbernifirte. Nur in weni¬
gen Ausnahmen, namentlich in den Werken Schlüter's in Deutschland, zeigte
sich während dieser Epoche, die bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahr¬
hunderts hineinreichte, ein gesundes plastisches Gefühl. Vergleicht man eine
Statue Thorwaldsen's mit einer Arbeit aus der letzten Zeit dieser barocken
Sculpturverwilderung. so möchte man für unmöglich halten, daß so völlig
entgegengesetzte Erscheinungen zeitlich so nahe neben einander entstehen konn¬
ten. „IKorvaläsen; e'eLt l'meormu" ist ein mehrfach citirtes Wort Napo¬
leons, und in der That, beschränkt man den Blick auf die Vorgängerschaft
des Meisters im Gebiet seiner Kunst, so kann die geistige Herkunft desselben
wie ein Räthsel erscheinen, die Gesammtheit seiner Werke wie eine xroles
sins matrs creata.

Die geschichtlich vorbereitenden Momente für Thorwaldsen's epoche¬
machende Wiederherstellung der Plastik liegen wesentlich in anderen Zusam¬
menhängen; das Wichtigste, auf das wir schon hingedeutet, war die große
Erkenntniß, welche Winckelmann's tiefsinnige Erklärungen der alten Kunst
dem Jahrhundert eröffnet hatten. Die Nebel der barocken Vorstellungen,
welche die antike Welt umlagerten, hatte der Hauch seines Geistes gelichtet,
sein offenbarendes Wort hatte das Gefühl aufs Neue erschlossen für die stille
Größe und hohe Einfalt der hellenischen Kunst. Aber nicht sogleich war
das neue Kunstevangelium auch künstlerisch in bedeutender Weise fruchtbar
geworden. Was die Malerei betrifft, so läßt zwar Mengs, der vertraute
Freund Winckelmann's, in der Art seiner Formengebung die läuternden Ein¬
flüsse einer richtiger angeschauter Antike nicht verkennen; aber er erhebt
sich nur wenig über jene kühle Nachahmung classischer Formen, welche in
den Arbeiten noch geringerer Talente die ganz abstracte Idealität einer
matten und leeren Schönheit und eine völlige Entfremdung von der eigent¬
lichen Aufgabe der Malerei zur Folge hatte. In der Sculptur ist Canova
eine dem Mengs sehr verwandte Erscheinung. Obgleich von entschieden grö¬
ßerer künstlerischer Begabung als dieser und lebhafter, als jeder andere zeit¬
genössische Plastiker, von den Einwirkungen der neuerwachten Antike berührt,
bleibt er doch noch stark in den Manieren der Zopfkunst befangen. Eine
gewisse elegante und kokette Classicität ist der vorherrschende Charakter sei¬
ner Werke, und wenn es ein Irrthum wäre, Mengs als den Anfänger einer


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[0371] Widersinn, der in der Vorstellung einer plastischen Reproduction Rubens¬ scher Gestalten liegt, wurde in den Sculpturen Bernini's in der That erreicht. Dieser maßlose Manierismus, in dessen Verirrungen häufig sehr aus¬ gezeichnete Talente ihre Kräfte verschwendeten, verbreitete sich von Italien über alle kunsttreibenden Länder Europas und gedieh besonders in der üppigen Atmosphäre Frankreichs, wo im Jahrhundert Ludwig's XIV. Puget mit sei¬ nen theatralischen Bravourstücken Bernini noch überbernifirte. Nur in weni¬ gen Ausnahmen, namentlich in den Werken Schlüter's in Deutschland, zeigte sich während dieser Epoche, die bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahr¬ hunderts hineinreichte, ein gesundes plastisches Gefühl. Vergleicht man eine Statue Thorwaldsen's mit einer Arbeit aus der letzten Zeit dieser barocken Sculpturverwilderung. so möchte man für unmöglich halten, daß so völlig entgegengesetzte Erscheinungen zeitlich so nahe neben einander entstehen konn¬ ten. „IKorvaläsen; e'eLt l'meormu" ist ein mehrfach citirtes Wort Napo¬ leons, und in der That, beschränkt man den Blick auf die Vorgängerschaft des Meisters im Gebiet seiner Kunst, so kann die geistige Herkunft desselben wie ein Räthsel erscheinen, die Gesammtheit seiner Werke wie eine xroles sins matrs creata. Die geschichtlich vorbereitenden Momente für Thorwaldsen's epoche¬ machende Wiederherstellung der Plastik liegen wesentlich in anderen Zusam¬ menhängen; das Wichtigste, auf das wir schon hingedeutet, war die große Erkenntniß, welche Winckelmann's tiefsinnige Erklärungen der alten Kunst dem Jahrhundert eröffnet hatten. Die Nebel der barocken Vorstellungen, welche die antike Welt umlagerten, hatte der Hauch seines Geistes gelichtet, sein offenbarendes Wort hatte das Gefühl aufs Neue erschlossen für die stille Größe und hohe Einfalt der hellenischen Kunst. Aber nicht sogleich war das neue Kunstevangelium auch künstlerisch in bedeutender Weise fruchtbar geworden. Was die Malerei betrifft, so läßt zwar Mengs, der vertraute Freund Winckelmann's, in der Art seiner Formengebung die läuternden Ein¬ flüsse einer richtiger angeschauter Antike nicht verkennen; aber er erhebt sich nur wenig über jene kühle Nachahmung classischer Formen, welche in den Arbeiten noch geringerer Talente die ganz abstracte Idealität einer matten und leeren Schönheit und eine völlige Entfremdung von der eigent¬ lichen Aufgabe der Malerei zur Folge hatte. In der Sculptur ist Canova eine dem Mengs sehr verwandte Erscheinung. Obgleich von entschieden grö¬ ßerer künstlerischer Begabung als dieser und lebhafter, als jeder andere zeit¬ genössische Plastiker, von den Einwirkungen der neuerwachten Antike berührt, bleibt er doch noch stark in den Manieren der Zopfkunst befangen. Eine gewisse elegante und kokette Classicität ist der vorherrschende Charakter sei¬ ner Werke, und wenn es ein Irrthum wäre, Mengs als den Anfänger einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/371>, abgerufen am 22.12.2024.