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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Charakteren des Alterthums reden -- hätte jemals für eine Idee oder gar
für ein Wort im Dienste der Fremde das Schwert gezogen. Einzig um Roms
willen focht Sertorius mit den Spaniern gegen Rom; nicht weil die Republik
überhaupt, sondern weil die Republik in Rom zu Grunde gegangen war,
nahm sich Cato das Leben. Mögen uns die Radikalen dreist die engherzige
nationale Bornirtheit der Alten einwerfen, in der Praxis ist diese Bornirtheit
allein richtig. Das Herz des modernen Menschen darf und soll für die ganze
Welt schlagen, sein Arm jedoch nach wie vor allein für Volk und Vaterland.
Alles für die Menschheit, aber alles durch die Nation! dieser Wahlspruch
allein scheint uns antike und moderne Sittlichkeit zu vermählen. Daß Gari-
baldi in früheren Jahrzehnten, als Italien hoffnungslos darniederzuliegen schien,
in den Ebenen des La-Plata gekämpft hat, mag ihm hingehen; heute aber
sehen wir mit innigem Bedauern, daß der beste Held Italiens sich doch
wieder nur als Condottiere fühlt, wenn auch nicht um schnöden Lohn und
wenn auch nur als Condotterie der -- vermeintlichen -- Freiheit. --

Wir haben eben jene römischen Schatten heraufbeschworen, von denen
ein deutscher Romfahrer des 18. Jahrhunderts in zügelloser Begeisterung
ausrief, daß ihrer einer mehr werth sei, als dies ganze Geschlecht. Er meinte,
für sie sei nur Platz, wenn die göttliche Anarchie in Rom und die himmlische
Wüstenei um Rom erhalten bleibe. Es waren ihm schreckliche Dinge, wenn
man die Lg.iuxagna> al Roms, anbauen und Rom zu einer polizirten Stadt
machen wollte, in der kein Mensch mehr Messer trüge? Wie nun? Die
Stunde scheint gekommen, in der die heiligen Schatten wirklich den Platz
räumen müssen und vor wem? Vor einem Schattenspiel an der Wand.! Wir sollen
es also erleben, was uns immer wie ein Traum bedünkte, ein neues xlvbis-
oitum liomÄnum, einen neuen Triumpfzug aufs Capitol, das Volk der ita¬
lischen Halbinsel will wieder vom Tiberstrand aus sich seine Gesetze geben.
Das liest sich freilich zum Malen schön, aber eben auch nur schön zum Malen.
Der Schreiber dieser Zeilen wohnte vor zwei Jahren einmal in Florenz der
Vorstellung eines jener culturhistorischen Ballets bei, deren unsere zugleich
sinnliche und mit Bildungsbrocken übersättigte Zeit auch bei uns einige zu
Tage gefördert hat. Die Pantomime, die damals täglich mit vielem Beifall
wiederholt wurde, hieß "Firenze" und stellte in einer Reihe von Bildern die
großen Momente der geistreichen Toskanerstadt dar. Zum Schlüsse aber
verwandelte sich die Scene: man erblickte das Capitol; droben auf dem Platze
thronten Papst und Cardinäle, am Fuße der großen Treppe jedoch saß trau¬
ernd die gefesselte Roma. Plötzlich brachen als Bersaglieri zierlich verkleidete
Tänzerinnen herein, die Klerisei floh mit geschürzten Talare. Roma ward
von den Schwesterprovinzen entfesselt und stieg mit ihnen die Stufen empor;
die Bersaglieri hatten keine Verluste. Nur wer die Italiener im Theater


Charakteren des Alterthums reden — hätte jemals für eine Idee oder gar
für ein Wort im Dienste der Fremde das Schwert gezogen. Einzig um Roms
willen focht Sertorius mit den Spaniern gegen Rom; nicht weil die Republik
überhaupt, sondern weil die Republik in Rom zu Grunde gegangen war,
nahm sich Cato das Leben. Mögen uns die Radikalen dreist die engherzige
nationale Bornirtheit der Alten einwerfen, in der Praxis ist diese Bornirtheit
allein richtig. Das Herz des modernen Menschen darf und soll für die ganze
Welt schlagen, sein Arm jedoch nach wie vor allein für Volk und Vaterland.
Alles für die Menschheit, aber alles durch die Nation! dieser Wahlspruch
allein scheint uns antike und moderne Sittlichkeit zu vermählen. Daß Gari-
baldi in früheren Jahrzehnten, als Italien hoffnungslos darniederzuliegen schien,
in den Ebenen des La-Plata gekämpft hat, mag ihm hingehen; heute aber
sehen wir mit innigem Bedauern, daß der beste Held Italiens sich doch
wieder nur als Condottiere fühlt, wenn auch nicht um schnöden Lohn und
wenn auch nur als Condotterie der — vermeintlichen — Freiheit. —

Wir haben eben jene römischen Schatten heraufbeschworen, von denen
ein deutscher Romfahrer des 18. Jahrhunderts in zügelloser Begeisterung
ausrief, daß ihrer einer mehr werth sei, als dies ganze Geschlecht. Er meinte,
für sie sei nur Platz, wenn die göttliche Anarchie in Rom und die himmlische
Wüstenei um Rom erhalten bleibe. Es waren ihm schreckliche Dinge, wenn
man die Lg.iuxagna> al Roms, anbauen und Rom zu einer polizirten Stadt
machen wollte, in der kein Mensch mehr Messer trüge? Wie nun? Die
Stunde scheint gekommen, in der die heiligen Schatten wirklich den Platz
räumen müssen und vor wem? Vor einem Schattenspiel an der Wand.! Wir sollen
es also erleben, was uns immer wie ein Traum bedünkte, ein neues xlvbis-
oitum liomÄnum, einen neuen Triumpfzug aufs Capitol, das Volk der ita¬
lischen Halbinsel will wieder vom Tiberstrand aus sich seine Gesetze geben.
Das liest sich freilich zum Malen schön, aber eben auch nur schön zum Malen.
Der Schreiber dieser Zeilen wohnte vor zwei Jahren einmal in Florenz der
Vorstellung eines jener culturhistorischen Ballets bei, deren unsere zugleich
sinnliche und mit Bildungsbrocken übersättigte Zeit auch bei uns einige zu
Tage gefördert hat. Die Pantomime, die damals täglich mit vielem Beifall
wiederholt wurde, hieß „Firenze" und stellte in einer Reihe von Bildern die
großen Momente der geistreichen Toskanerstadt dar. Zum Schlüsse aber
verwandelte sich die Scene: man erblickte das Capitol; droben auf dem Platze
thronten Papst und Cardinäle, am Fuße der großen Treppe jedoch saß trau¬
ernd die gefesselte Roma. Plötzlich brachen als Bersaglieri zierlich verkleidete
Tänzerinnen herein, die Klerisei floh mit geschürzten Talare. Roma ward
von den Schwesterprovinzen entfesselt und stieg mit ihnen die Stufen empor;
die Bersaglieri hatten keine Verluste. Nur wer die Italiener im Theater


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/37>, abgerufen am 23.12.2024.