Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.Thormaldsen und die neuere MdnerKunfl. Inmitten dieser kriegerischen Tage ward uns das friedliche Andenken Die moderne Plastik hat seit den Tagen Thorwaldsen's mannigfache Grcuzbotcii IV. 1870. 4g
Thormaldsen und die neuere MdnerKunfl. Inmitten dieser kriegerischen Tage ward uns das friedliche Andenken Die moderne Plastik hat seit den Tagen Thorwaldsen's mannigfache Grcuzbotcii IV. 1870. 4g
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Thormaldsen und die neuere MdnerKunfl.
Inmitten dieser kriegerischen Tage ward uns das friedliche Andenken
eines großen Künstlers wachgerufen; es waren am 19. November hundert
Jahre, daß Thorwaldsen geboren wurde, der Begründer der modernen Plastik.
Wir in Deutschland haben ein besonderes Recht, des dänischen Meisters mit
Ruhm zu gedenken, wir dürfen ihn in gewissem Sinne den unseren nennen.
Seine Kunst hatte mit der Geschichte unserer neuern Cultur einen nahen
Zusammenhang, sie empfing von dem Geiste unserer classischen Epoche ma߬
gebende Einflüsse, die Lehre Winckelmann's, die eigentliche Quelle der Classi-
cität dieses Zeitalters, wurde in Thorwaldsens Werken mit schöpferischer
Kraft lebendig. Die Heimath des Künstlers, Dänemark, entbehrte bis auf
ihn einer selbständigen Kunstgeschichte und jeder bedeutenden künstlerischen
Tradition. Erst mit dem Augenblick, wo der Sohn des scandinavischen Nor¬
dens in den Zusammenhang jener großen, von Winckelmann angeregten
Gedankenbewegung eintrat, erst in Rom, das damals, wie später noch ein¬
mal, eine Colonie deutschen Culturlebens bildete, begann seine eigentliche
künstlerische Entwickelung, erst hier wurde er zu dem, als den wir ihn kennen-
Ohne Anmaßung darf deshalb die deutsche Kunstgeschichte seinen Namen in
ihre Denkbücher verzeichnen.
Die moderne Plastik hat seit den Tagen Thorwaldsen's mannigfache
Wandlungen durchlaufen, gegenwärtig ist sie von ganz unmittelbaren Ein¬
flüssen seiner Kunstweise nur in vereinzelten Fällen berührt, nur selten wird
ein Künstler der Gegenwart Neigung haben, den Stil Thorwaldsens sich
ganz unbedingt zum Muster zu machen. Rigoristische Vertreter der classi¬
schen Ueberlieferung müssen eine solche Gesinnung sür häretisch erklären, eine
liberalere Kritik gesteht dem herrschenden Drang, die strengen Regeln der
Sculptur zu lockern und freiere Formen zu gewinnen, seine Berechtigung zu.
Aber auch sie, wenn ihr der künstlerische Maßstab nicht abhanden gekommen,
muß erkennen, welche Gefahren die ungebundnere Bewegung einer kühnen
und warm erregten Phantasie bedrohen, wie leicht diese die seine Linie über¬
schreitet, welche das Künstlerische vom Unkünstlerischen trennt. Die Erinne-
Grcuzbotcii IV. 1870. 4g
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