Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.füllung gehen sieht, und es ist tief bedeutsam, daß es doch die Nation Luther's Dawider würde uns allerdings das Diritto einwenden, man könne füllung gehen sieht, und es ist tief bedeutsam, daß es doch die Nation Luther's Dawider würde uns allerdings das Diritto einwenden, man könne <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0036" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124742"/> <p xml:id="ID_86" prev="#ID_85"> füllung gehen sieht, und es ist tief bedeutsam, daß es doch die Nation Luther's<lb/> hat sein müssen, deren Schwertschläge heut aus weiter Ferne her die Macht<lb/> des alten bösen Feindes zu Falle bringen. Auch ist es nicht anders als ge¬<lb/> recht, daß die Herrschaft, die von jeher am meisten unter allen von frechen<lb/> Lügen gelebt hat, zuletzt durch eine nicht minder freche Lüge aus dem Wege<lb/> geräumt wird; aber wir beneiden die italienische Regierung wahrlich nicht,<lb/> die sich dazu erniedrigt hat, wie der Küchenmeister Papst Alexander's den<lb/> Borgia mit seinen eigenen Confecten zu vergiften. Gemahre es uns nicht<lb/> wirklich an die Zeiten tiefster sittlicher Entartung des edlen Volkes, die einen<lb/> seiner ersten Geister zwangen, zur Rettung des Vaterlandes jede Treu- und<lb/> Ruchlosigkeit dringend anzurathen, so daß noch heute, wer von politischer<lb/> Niederträchtigkeit redet, als kürzesten Ausdruck — freilich ohne historische<lb/> Billigkeit — den Namen des größten italienischen Politikers gebrauchen darf?</p><lb/> <p xml:id="ID_87" next="#ID_88"> Dawider würde uns allerdings das Diritto einwenden, man könne<lb/> berechtigte Wünsche der Nation nicht zugleich verdammen mit den elen¬<lb/> den Winkelzügen, welche eine ungeschickte Regierung macht, um sie ins Leben<lb/> zu rufen. Ganz wohl, aber welche Vorstellung soll man sich machen von<lb/> der Reife und Weisheit einer Nation, deren volksthümlicher Repräsentant<lb/> denkt und redet, wie eben Garibaldi gethan? Wer könnte leugnen, daß er einer<lb/> der reinsten, hochherzigsten öffentlichen Charaktere unserer Tage ist ? Aber während<lb/> wir ihn lieben und verehren, müssen wir mitten in aller Rührung und ohne<lb/> daß ihr eigentlich Eintrag geschähe, doch auch herzlich über ihn lachen. Was<lb/> er für Italien gethan, ist unberechenbar groß, so unberechenbar klein das<lb/> strategische Verdienst seiner Feldzüge sein mag. Man versteht es, warum an<lb/> den Wänden der Bauernhütten sein Bildniß hängt, warum aus den Rosetten<lb/> der Palastthüren sein Reliefkopf blickt, wenn auch der Staat Italien mit gleich<lb/> richtigem Takte seine Zweifrankzettel mit dem Antlitze Cavour's geschmückt<lb/> hat. Aber — o heilige Einfalt! — nun trägt auch er sein Bündelchen Reisig<lb/> herbei zu dem Pariser Scheiterhaufen, um uns Erzketzer gegen die allein¬<lb/> seligmachende Republik so recht gründlich zu Asche zu brennen. Wir haben<lb/> immer eingestimmt, wenn man ihn einen antiken Charakter nannte. Die<lb/> lächerliche Spielerei der letztverwichenen Jahrhunderte, die Helden des Zeit¬<lb/> alters durch Beinamen aus Plutarch und Livius zu zieren, hier wäre sie<lb/> einmal besser am Platze gewesen. Selbst der Wortlaut seiner Depesche an<lb/> Favre und Genossen: „Was von mir übrig ist, steht zu euren Diensten;<lb/> verfügt darüber!" hat noch etwas von dem naiven Pathos, das uns in den<lb/> schönen Tagen der Schulzeit die Seele schwellte. Allein man vergesse doch<lb/> nicht: wem anders galt die rauhe Tugend eines Epaminondas und Camillus,<lb/> eines Hannibal oder Demosthenes, als einzig dem Vaterlande? Kein Römer<lb/> zumal — und an sie denken wir doch vor allem, wenn wir von politischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0036]
füllung gehen sieht, und es ist tief bedeutsam, daß es doch die Nation Luther's
hat sein müssen, deren Schwertschläge heut aus weiter Ferne her die Macht
des alten bösen Feindes zu Falle bringen. Auch ist es nicht anders als ge¬
recht, daß die Herrschaft, die von jeher am meisten unter allen von frechen
Lügen gelebt hat, zuletzt durch eine nicht minder freche Lüge aus dem Wege
geräumt wird; aber wir beneiden die italienische Regierung wahrlich nicht,
die sich dazu erniedrigt hat, wie der Küchenmeister Papst Alexander's den
Borgia mit seinen eigenen Confecten zu vergiften. Gemahre es uns nicht
wirklich an die Zeiten tiefster sittlicher Entartung des edlen Volkes, die einen
seiner ersten Geister zwangen, zur Rettung des Vaterlandes jede Treu- und
Ruchlosigkeit dringend anzurathen, so daß noch heute, wer von politischer
Niederträchtigkeit redet, als kürzesten Ausdruck — freilich ohne historische
Billigkeit — den Namen des größten italienischen Politikers gebrauchen darf?
Dawider würde uns allerdings das Diritto einwenden, man könne
berechtigte Wünsche der Nation nicht zugleich verdammen mit den elen¬
den Winkelzügen, welche eine ungeschickte Regierung macht, um sie ins Leben
zu rufen. Ganz wohl, aber welche Vorstellung soll man sich machen von
der Reife und Weisheit einer Nation, deren volksthümlicher Repräsentant
denkt und redet, wie eben Garibaldi gethan? Wer könnte leugnen, daß er einer
der reinsten, hochherzigsten öffentlichen Charaktere unserer Tage ist ? Aber während
wir ihn lieben und verehren, müssen wir mitten in aller Rührung und ohne
daß ihr eigentlich Eintrag geschähe, doch auch herzlich über ihn lachen. Was
er für Italien gethan, ist unberechenbar groß, so unberechenbar klein das
strategische Verdienst seiner Feldzüge sein mag. Man versteht es, warum an
den Wänden der Bauernhütten sein Bildniß hängt, warum aus den Rosetten
der Palastthüren sein Reliefkopf blickt, wenn auch der Staat Italien mit gleich
richtigem Takte seine Zweifrankzettel mit dem Antlitze Cavour's geschmückt
hat. Aber — o heilige Einfalt! — nun trägt auch er sein Bündelchen Reisig
herbei zu dem Pariser Scheiterhaufen, um uns Erzketzer gegen die allein¬
seligmachende Republik so recht gründlich zu Asche zu brennen. Wir haben
immer eingestimmt, wenn man ihn einen antiken Charakter nannte. Die
lächerliche Spielerei der letztverwichenen Jahrhunderte, die Helden des Zeit¬
alters durch Beinamen aus Plutarch und Livius zu zieren, hier wäre sie
einmal besser am Platze gewesen. Selbst der Wortlaut seiner Depesche an
Favre und Genossen: „Was von mir übrig ist, steht zu euren Diensten;
verfügt darüber!" hat noch etwas von dem naiven Pathos, das uns in den
schönen Tagen der Schulzeit die Seele schwellte. Allein man vergesse doch
nicht: wem anders galt die rauhe Tugend eines Epaminondas und Camillus,
eines Hannibal oder Demosthenes, als einzig dem Vaterlande? Kein Römer
zumal — und an sie denken wir doch vor allem, wenn wir von politischen
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