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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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nur nicht gar zu weit wäre, und Musik ist gewiß ebensowenig in Spanien
zu hören, wie in Düsseldorf. Dennoch kommt nächste Woche Bernhard Rom¬
berg her um Concert zu geben, ferner eine Brüsseler Clavierspielerin Mlle.
Themar, und ein Herr Lewy mit seinem chromatischen Waldhorn war vorige
Woche da und hat dermaßen üsäur u. eis cor und b mol geblasen, und
solche Tonleitern u. so lange Töne ausgehalten, daß allen Leuten der Athem
verging und ihm auch zuweilen. Auch ein blinder Flötenspieler war da, u.
vorgestern wurde der ganze Messias von lauter Dilettanten gesungen, wobei
es Mordlärm, Zank und Streit gab (jedoch keine Prügelei). Eben sehe ich
beim Durchlesen Ihres Briefs, daß Herr Schumann einen Bericht übers
Musikwesen hier wünscht; Immermann wäre der letzte, der einen solchen
geben könnte, da er alle Musik haßt, niemals welche hört u. hören mag,
aber ich bin der vorletzte, denn wenn ich was Zusammenhängendes schreiben
sollte, u. gar dabei denken, es würde gedruckt, so säße ich 14 Tage dran
u. strich am Ende den Anfang wieder aus. Doch ist in Cöln ein Musik¬
freund Dr. Becher, der eine solche Darstellung gewiß gut und lebendig machen
würde, und wenn Hrn. Schumann daran liegt und es ist ihm recht, so wollte
ich es girr übernehmen, ihn zu solch einem Bericht aufzufordern. Hierauf bitte
ich mir ein Paar Worte Antwort aus; aber nun liegt noch das weiße Stamm¬
buchblatt vor mir, guckt mich an, und droht!

Gestern Abend habe ich ein kleines Stück aus us iuol*) auf dem Claviere
gespielt, das will ich drauf schreiben, wenn ich aber ausstreichen muß, so
halten Sie es mir zu Gute, und wenns nichts taugt ebenfalls, denn die
ersten Tage gefallen mir alle meine Stücke sehr, u. ich wollte Ihnen gern etwas
ganz neues, unaufgeschriebenes schicken. Also haben Sie viel Nachsicht u.
leben Sie wohl und froh. Erfreuen Sie mich bald durch eine Antwort, Wenns
Ihre Zeit erlaubt.


Ihr ergebner Felix Mendelssohn-Bartholdy.
4.

Hochgeehrte Frau

Im Drange mancher Arbeiten und Geschäfte schreibe ich diese Zeilen
eilig, da Sie auf Ihren freundlichen Brief eine schnelle Antwort verlangen.
So gern ich auch ein Lied zu dem gewünschten Zwecke schickte so kann ichs
nicht, weil ich nichts der Art liegen habe, das sich für.ein Concert eignet,
und ich muß auf das Vergnügen Verzicht leisten, einem Manne wie Sie
mir Hrn. Abtrieb schildern gefällig zu sein. Es thut mir eigentlich sogar
leid, daß meine emol-Sinfonie in seinem Concerte gemacht werden soll, da



') Als "Gondellicd" im 2. Heft der "Lieder ohne Worte" mit einigen Aenderungen ver¬
öffentlicht.
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nur nicht gar zu weit wäre, und Musik ist gewiß ebensowenig in Spanien
zu hören, wie in Düsseldorf. Dennoch kommt nächste Woche Bernhard Rom¬
berg her um Concert zu geben, ferner eine Brüsseler Clavierspielerin Mlle.
Themar, und ein Herr Lewy mit seinem chromatischen Waldhorn war vorige
Woche da und hat dermaßen üsäur u. eis cor und b mol geblasen, und
solche Tonleitern u. so lange Töne ausgehalten, daß allen Leuten der Athem
verging und ihm auch zuweilen. Auch ein blinder Flötenspieler war da, u.
vorgestern wurde der ganze Messias von lauter Dilettanten gesungen, wobei
es Mordlärm, Zank und Streit gab (jedoch keine Prügelei). Eben sehe ich
beim Durchlesen Ihres Briefs, daß Herr Schumann einen Bericht übers
Musikwesen hier wünscht; Immermann wäre der letzte, der einen solchen
geben könnte, da er alle Musik haßt, niemals welche hört u. hören mag,
aber ich bin der vorletzte, denn wenn ich was Zusammenhängendes schreiben
sollte, u. gar dabei denken, es würde gedruckt, so säße ich 14 Tage dran
u. strich am Ende den Anfang wieder aus. Doch ist in Cöln ein Musik¬
freund Dr. Becher, der eine solche Darstellung gewiß gut und lebendig machen
würde, und wenn Hrn. Schumann daran liegt und es ist ihm recht, so wollte
ich es girr übernehmen, ihn zu solch einem Bericht aufzufordern. Hierauf bitte
ich mir ein Paar Worte Antwort aus; aber nun liegt noch das weiße Stamm¬
buchblatt vor mir, guckt mich an, und droht!

Gestern Abend habe ich ein kleines Stück aus us iuol*) auf dem Claviere
gespielt, das will ich drauf schreiben, wenn ich aber ausstreichen muß, so
halten Sie es mir zu Gute, und wenns nichts taugt ebenfalls, denn die
ersten Tage gefallen mir alle meine Stücke sehr, u. ich wollte Ihnen gern etwas
ganz neues, unaufgeschriebenes schicken. Also haben Sie viel Nachsicht u.
leben Sie wohl und froh. Erfreuen Sie mich bald durch eine Antwort, Wenns
Ihre Zeit erlaubt.


Ihr ergebner Felix Mendelssohn-Bartholdy.
4.

Hochgeehrte Frau

Im Drange mancher Arbeiten und Geschäfte schreibe ich diese Zeilen
eilig, da Sie auf Ihren freundlichen Brief eine schnelle Antwort verlangen.
So gern ich auch ein Lied zu dem gewünschten Zwecke schickte so kann ichs
nicht, weil ich nichts der Art liegen habe, das sich für.ein Concert eignet,
und ich muß auf das Vergnügen Verzicht leisten, einem Manne wie Sie
mir Hrn. Abtrieb schildern gefällig zu sein. Es thut mir eigentlich sogar
leid, daß meine emol-Sinfonie in seinem Concerte gemacht werden soll, da



') Als „Gondellicd" im 2. Heft der „Lieder ohne Worte" mit einigen Aenderungen ver¬
öffentlicht.
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[0355] nur nicht gar zu weit wäre, und Musik ist gewiß ebensowenig in Spanien zu hören, wie in Düsseldorf. Dennoch kommt nächste Woche Bernhard Rom¬ berg her um Concert zu geben, ferner eine Brüsseler Clavierspielerin Mlle. Themar, und ein Herr Lewy mit seinem chromatischen Waldhorn war vorige Woche da und hat dermaßen üsäur u. eis cor und b mol geblasen, und solche Tonleitern u. so lange Töne ausgehalten, daß allen Leuten der Athem verging und ihm auch zuweilen. Auch ein blinder Flötenspieler war da, u. vorgestern wurde der ganze Messias von lauter Dilettanten gesungen, wobei es Mordlärm, Zank und Streit gab (jedoch keine Prügelei). Eben sehe ich beim Durchlesen Ihres Briefs, daß Herr Schumann einen Bericht übers Musikwesen hier wünscht; Immermann wäre der letzte, der einen solchen geben könnte, da er alle Musik haßt, niemals welche hört u. hören mag, aber ich bin der vorletzte, denn wenn ich was Zusammenhängendes schreiben sollte, u. gar dabei denken, es würde gedruckt, so säße ich 14 Tage dran u. strich am Ende den Anfang wieder aus. Doch ist in Cöln ein Musik¬ freund Dr. Becher, der eine solche Darstellung gewiß gut und lebendig machen würde, und wenn Hrn. Schumann daran liegt und es ist ihm recht, so wollte ich es girr übernehmen, ihn zu solch einem Bericht aufzufordern. Hierauf bitte ich mir ein Paar Worte Antwort aus; aber nun liegt noch das weiße Stamm¬ buchblatt vor mir, guckt mich an, und droht! Gestern Abend habe ich ein kleines Stück aus us iuol*) auf dem Claviere gespielt, das will ich drauf schreiben, wenn ich aber ausstreichen muß, so halten Sie es mir zu Gute, und wenns nichts taugt ebenfalls, denn die ersten Tage gefallen mir alle meine Stücke sehr, u. ich wollte Ihnen gern etwas ganz neues, unaufgeschriebenes schicken. Also haben Sie viel Nachsicht u. leben Sie wohl und froh. Erfreuen Sie mich bald durch eine Antwort, Wenns Ihre Zeit erlaubt. Ihr ergebner Felix Mendelssohn-Bartholdy. 4. Hochgeehrte Frau Im Drange mancher Arbeiten und Geschäfte schreibe ich diese Zeilen eilig, da Sie auf Ihren freundlichen Brief eine schnelle Antwort verlangen. So gern ich auch ein Lied zu dem gewünschten Zwecke schickte so kann ichs nicht, weil ich nichts der Art liegen habe, das sich für.ein Concert eignet, und ich muß auf das Vergnügen Verzicht leisten, einem Manne wie Sie mir Hrn. Abtrieb schildern gefällig zu sein. Es thut mir eigentlich sogar leid, daß meine emol-Sinfonie in seinem Concerte gemacht werden soll, da ') Als „Gondellicd" im 2. Heft der „Lieder ohne Worte" mit einigen Aenderungen ver¬ öffentlicht. 44 >

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/355>, abgerufen am 22.12.2024.