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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Es geschieht wahrlich nicht aus nationaler Eitelkeit, daß wir diesen an¬
erkennenden Worten vom Arno auch in Deutschland Eingang zu verschaffen
wünschen. Wir kennen neben unseren Vorzügen auch unsere Schwächen,
manchen Superlativ des italienischen Lobes werden wir lächelnd abweisen
dürfen; daß in unserem Unterrichtswesen ein so weitherziger Liberalismus
herrsche, hören wir, den mancherlei kleinen Aerger der letzten Jahre im Ge¬
dächtniß, nicht ohne ein Gefühl der Verwunderung. Allein auch hierin hat
der Italiener Recht, denn er denkt dabei offenbar an die ruhige Tiefe un¬
serer altbegründeten Zustände, nicht an den ohnmächtigen Hauch wechselnder
Ministerlaunen, der nur momentan die äußerste Oberfläche unseres Schul-
Wesens leicht kräuselnd zu bewegen vermag. In der Hauptsache ist das
Urtheil des Diritto vollkommen zutreffend, und eben das freut uns wahr¬
zunehmen, daß man drüben, ganz anders als in Frankreich, endlich einmal
bescheiden an die Brust schlägt, daß dort eine Ahnung aufzudämmern be¬
ginnt, welcher harten, entsagenden, unermüdlichen Arbeit von Generationen
in unserem Staate es bedurft habe, um uns dahin zu bringen, wo wir heute
stehen, daß das eherne Standbild unserer Größe, von dem nun plötzlich vor
den staunenden Augen Europas die Hülle herabgesunken ist. nicht über Nacht
vom Himmel niedergefallen ist, sondern daß Millionen fleißiger Hände seit
Jahren in der Stille sich abgemüht haben, es zu schaffen und aufzurichten.
Denn das gerade ist für uns, die wir Italien lieben, das beängstigende,
daß dies Land in den letzten zwölf Jahren in so unerhörtem Maße "der
Götter Gunst erfahren" hat, daß unsere Freunde fort und fort in die
Scheuern sammeln dürfen, was sie nicht gesäet und kaum selber geerntet
haben. Mailand, Florenz, Bologna, Neapel, Venedig und nun gar Rom,
all ihre Wünsche sind ihnen in den Schooß gefallen. Dem einzelnen Men¬
schen gestattet wohl bisweilen das Schicksal in erhabener Geringschätzung
auf die kurze Dauer seines Lebens ein müheloses Glück; für Völker¬
geschicke aber hat die fromme Furcht des Griechen vor dem Neide der Götter
ihre ernste Berechtigung. Es ist für die Italiener die höchste Zeit, das Opfer
desPolykrates zu bringen, sie müssen in sich gehen und an sich arbeiten ler¬
nen, sie müssen endlich verdienen, was sie gewonnen haben.

Es macht einen trüben Eindruck, in denselben Nummern des Diritto die be¬
kannten Rundschreiben Visconti-Venosta's zur Rechtfertigung der Occupation
Roms und hart daneben den Aufruf Garibaldi's zur Unterstützung der Pariser
Republik zu lesen. Gewiß, welchem Deutschen -- man braucht kaum be¬
schränkend zusagen, welchem evangelischen Deutschen -- muß nicht das Herz
im Leibe lachen, wenn er sieht, wie nun endlich der letzte Rest der unglück¬
seligen Schenkung Pipin's von der Geschichte wieder eingefordert wird. Auch
das ist ein "Traum von Jahrhunderten", den unsere wundervolle Zeit in Er-


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Es geschieht wahrlich nicht aus nationaler Eitelkeit, daß wir diesen an¬
erkennenden Worten vom Arno auch in Deutschland Eingang zu verschaffen
wünschen. Wir kennen neben unseren Vorzügen auch unsere Schwächen,
manchen Superlativ des italienischen Lobes werden wir lächelnd abweisen
dürfen; daß in unserem Unterrichtswesen ein so weitherziger Liberalismus
herrsche, hören wir, den mancherlei kleinen Aerger der letzten Jahre im Ge¬
dächtniß, nicht ohne ein Gefühl der Verwunderung. Allein auch hierin hat
der Italiener Recht, denn er denkt dabei offenbar an die ruhige Tiefe un¬
serer altbegründeten Zustände, nicht an den ohnmächtigen Hauch wechselnder
Ministerlaunen, der nur momentan die äußerste Oberfläche unseres Schul-
Wesens leicht kräuselnd zu bewegen vermag. In der Hauptsache ist das
Urtheil des Diritto vollkommen zutreffend, und eben das freut uns wahr¬
zunehmen, daß man drüben, ganz anders als in Frankreich, endlich einmal
bescheiden an die Brust schlägt, daß dort eine Ahnung aufzudämmern be¬
ginnt, welcher harten, entsagenden, unermüdlichen Arbeit von Generationen
in unserem Staate es bedurft habe, um uns dahin zu bringen, wo wir heute
stehen, daß das eherne Standbild unserer Größe, von dem nun plötzlich vor
den staunenden Augen Europas die Hülle herabgesunken ist. nicht über Nacht
vom Himmel niedergefallen ist, sondern daß Millionen fleißiger Hände seit
Jahren in der Stille sich abgemüht haben, es zu schaffen und aufzurichten.
Denn das gerade ist für uns, die wir Italien lieben, das beängstigende,
daß dies Land in den letzten zwölf Jahren in so unerhörtem Maße „der
Götter Gunst erfahren" hat, daß unsere Freunde fort und fort in die
Scheuern sammeln dürfen, was sie nicht gesäet und kaum selber geerntet
haben. Mailand, Florenz, Bologna, Neapel, Venedig und nun gar Rom,
all ihre Wünsche sind ihnen in den Schooß gefallen. Dem einzelnen Men¬
schen gestattet wohl bisweilen das Schicksal in erhabener Geringschätzung
auf die kurze Dauer seines Lebens ein müheloses Glück; für Völker¬
geschicke aber hat die fromme Furcht des Griechen vor dem Neide der Götter
ihre ernste Berechtigung. Es ist für die Italiener die höchste Zeit, das Opfer
desPolykrates zu bringen, sie müssen in sich gehen und an sich arbeiten ler¬
nen, sie müssen endlich verdienen, was sie gewonnen haben.

Es macht einen trüben Eindruck, in denselben Nummern des Diritto die be¬
kannten Rundschreiben Visconti-Venosta's zur Rechtfertigung der Occupation
Roms und hart daneben den Aufruf Garibaldi's zur Unterstützung der Pariser
Republik zu lesen. Gewiß, welchem Deutschen — man braucht kaum be¬
schränkend zusagen, welchem evangelischen Deutschen — muß nicht das Herz
im Leibe lachen, wenn er sieht, wie nun endlich der letzte Rest der unglück¬
seligen Schenkung Pipin's von der Geschichte wieder eingefordert wird. Auch
das ist ein „Traum von Jahrhunderten", den unsere wundervolle Zeit in Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/35>, abgerufen am 23.12.2024.