Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.gebauten gefunden hätte. Zwar fehlte es nicht an Rabenpropheten, welche Grenzboten IV. 1870. 43
gebauten gefunden hätte. Zwar fehlte es nicht an Rabenpropheten, welche Grenzboten IV. 1870. 43
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gebauten gefunden hätte. Zwar fehlte es nicht an Rabenpropheten, welche
Oestreichs Gefühle für 1866 für unversöhnlich erklärten, indessen wir waren
stets der Zuversicht, daß wie überall so auch hier mit der Zeit die Vernunft
siegen würde, welche Oestreich lehren mußte, daß es dem Jahre 1866 der
Sache nach großen Dank schuldete, dafür daß es durch die Ereignisse dessel¬
ben in vollem Maße der Lösung seiner bedeutenden inneren Aufgaben
zurückgegeben und gezwungen wurde, auf übergreifende Aufgaben end-
giltig zu verzichten, deren gedeihliche Behandlung ihm ohne vorhergehende
Lösung der inneren Schwierigkeiten doch stets unmöglich bleiben mußte. Aber
wenn wir auch auf den endlichen Sieg dieser Einsicht in Oestreich hofften,
so wagten wir doch kaum anzunehmen, daß schon jetzt jeder Rachegedanke
in der Brust der Deutschöstreicher erloschen könnte. Um so größer war daher
der Jubel in ganz Deutschland, als gleich nach dem Ausbruch des französi¬
schen Krieges die deutsche Presse und die deutschen Vereine in Oestreich weder
eine drohende, noch eine kühl diplomatische, sondern eine durchaus sympathi¬
sche Haltung annahmen, als endlich bei den deutschen Siegen das nationale
Gefühl der Zusammengehörigkeit bei den Deutschöstreichern zu hellen Flam¬
men der Begeisterung aufloderte, und offen das Bedauern kund gegeben
wurde, daß es ihnen nicht vergönnt war, an unserer Seite für den deutschen
Rhein zu kämpfen und zu siegen. Und nicht gering war unsere Freude, als
wir sahen, wie der herrliche Ausschwung der deutschen Nation auch rückwärts
den Deutschen in Oestreich zu gute kam, und dazu beitrug, den Fall einer
antideutschen Regierung, die mit der systematischen Unvernunft unreifer
Natiönchen vernünftig pactiren zu können wähnte, .zu beschleunigen, und die
Deutschen, als die allein dazu Berufenen, von Neuem an das Staatsruder
Westöstretchs zu bringen. Eine schöne Perspective eröffnete sich da: glück¬
licher als in irgend einem der letzten Jahrhunderte schienen die Auspicien für
das Deutschthum. seine große Culturmission im Donaureiche mit frischer
Kraft und frischem Muthe, mit dem Rückhalt einer politisch mächtigen und
geeinten deutschen Nation, in Angriff zu nehmen. Hoffnungsvoll erschien
auch die Aussicht für Deutschland, durch den Zusammenschluß mit diesem
von deutschem Geiste beherrschten Oestreich als unerschütterlicher centraleuro-
päischer Kern eine Aera des Friedens zu inauguriren, wie sie seit dem römi¬
schen Jmperatorenreich Europa nicht mehr gekannt hatte. Schon erklärten
die maßgebenden Organe Oestreichs das Bündniß mit dem deutschen Reich
für ihr Zukunftsprogramm, schon begannen in Wien die Anfänge einer
immerhin verfrühten Agitation für Zolleinigung mit Zollparlament, — da
fällt, wenn auch vielfach vorherverkündigt, doch überraschend, die russische Note
in diesen schönen Traum. Oestreich fühlt sich formell verletzt, materiell be¬
droht durch eine eventuelle Umarmung Rußlands von Seiten der Türkeicher.
Grenzboten IV. 1870. 43
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