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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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alter bei kleinern Städten nichts Ungewöhnliches. Man bewegte sich überall auf
dem Gebiete des einfachen Privatrechts. Die Stadt war ein Complex von
Sachen und Rechten, der den Gegenstand des Verkehrs bildete, wie ein ein¬
zelnes Grundstück oder ein einzelnes Gut mit seinem Zubehör; die Stadt
wurde vererbt, verkauft, vertauscht, verpfändet gleich jedem andern
Rechtsobject. Der Erwerber der Stadt oder eines ihrer Theile war aber
deshalb keineswegs der Eigenthümer jedes einzelnen Hauses und Stadt¬
grundstücks, vielmehr befanden sich die meisten Häuser in anderen Händen,
entweder ohne alle Beziehung zum Herrn der Stadt oder so, daß sie von
ihm den Einwohnern zu Leihe gegeben und deshalb ihm zinspflichtig waren.
Gewöhnlich blieb nur ein Schloß mit den nöthigen Wirthschastsländereien
dem Herrn zu eigener Nutzung vorbehalten; im Uebrigen zog er seine Zinsen,
Bußen und Zölle. --

Nachdem die Westerburg durch die Oeffnung der Liebenau für den Bischof
ein fremdes Element in die dortigen Verhältnisse gebracht und sich der Ein¬
wirkung auf die Stadt mehr als vorher entäußert hatten, mußte den Papen-
heim daran liegen, ein festes Freundschaftsband mit dem Paderborner Bischof
einerseits und den Grafen von Waldeck andererseits, die von Haus aus den
Westerburg, nicht aber den Papenheim verwandt waren, zu schließen. Das
Mittel hierzu würden wir heutzutage bei großen Fürsten und Herren in
einem kriegsrechtlichen Schutz- und Trutzbündniß erblicken, nach damaligen
Begriffen war es ein Privatvertrag, ein sogenannter "Burgfriede" oder
eine "Burghut" d. h. ein Vertrag, durch welchen sich die Contrahenten ver¬
pflichten, im Falle einer unter ihnen ausbrechenden Fehde innerhalb eines
nach bestimmten Grenzen fixirten Gebiets Frieden zu halten und sich bei
etwaigem Fnedensbruche einem selbstgewählten Friedensgerichte zu unter¬
werfen.

Gleichzeitig mit dem theilweisen Erwerbe Liebenau's durch Bischof Bal-
duin von Paderborn verabredeten deshalb die Papenheim einen doppelten
Burgfrieden, sowohl mit Balduin als mit dem Grafen v. Waldeck; beide
letzteren versprachen, bei etwaigem Friedensbruche auf Anforderung der Pa¬
penheim "binnen vierzehn Nächten")" unverzüglich sechs Bürgen und Freunde
in die Liebenau einleiten zu lassen, welche richten sollen, "als Burgfriedens¬
recht ist", und bis dies geschehen, in Liebenau bleiben.

Gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts hat der Paderborner Bischof
auch den Rest des Westerburger Antheils von Liebenau erworben, also die



') Die Rechnung nach Nächten statt nach Tagen ist eine nltgermanifchc. schon von Tauen"
bemerkte Eigenthümlichkeit. Die Nacht wird als dem Tage vorausgehend betrachtet: "Die Nacht
führt den Tag." "Drei vierzehn Nachte" geben die alisächsischc Frist von 6 Wochen und 3 Tagen.

alter bei kleinern Städten nichts Ungewöhnliches. Man bewegte sich überall auf
dem Gebiete des einfachen Privatrechts. Die Stadt war ein Complex von
Sachen und Rechten, der den Gegenstand des Verkehrs bildete, wie ein ein¬
zelnes Grundstück oder ein einzelnes Gut mit seinem Zubehör; die Stadt
wurde vererbt, verkauft, vertauscht, verpfändet gleich jedem andern
Rechtsobject. Der Erwerber der Stadt oder eines ihrer Theile war aber
deshalb keineswegs der Eigenthümer jedes einzelnen Hauses und Stadt¬
grundstücks, vielmehr befanden sich die meisten Häuser in anderen Händen,
entweder ohne alle Beziehung zum Herrn der Stadt oder so, daß sie von
ihm den Einwohnern zu Leihe gegeben und deshalb ihm zinspflichtig waren.
Gewöhnlich blieb nur ein Schloß mit den nöthigen Wirthschastsländereien
dem Herrn zu eigener Nutzung vorbehalten; im Uebrigen zog er seine Zinsen,
Bußen und Zölle. —

Nachdem die Westerburg durch die Oeffnung der Liebenau für den Bischof
ein fremdes Element in die dortigen Verhältnisse gebracht und sich der Ein¬
wirkung auf die Stadt mehr als vorher entäußert hatten, mußte den Papen-
heim daran liegen, ein festes Freundschaftsband mit dem Paderborner Bischof
einerseits und den Grafen von Waldeck andererseits, die von Haus aus den
Westerburg, nicht aber den Papenheim verwandt waren, zu schließen. Das
Mittel hierzu würden wir heutzutage bei großen Fürsten und Herren in
einem kriegsrechtlichen Schutz- und Trutzbündniß erblicken, nach damaligen
Begriffen war es ein Privatvertrag, ein sogenannter „Burgfriede" oder
eine „Burghut" d. h. ein Vertrag, durch welchen sich die Contrahenten ver¬
pflichten, im Falle einer unter ihnen ausbrechenden Fehde innerhalb eines
nach bestimmten Grenzen fixirten Gebiets Frieden zu halten und sich bei
etwaigem Fnedensbruche einem selbstgewählten Friedensgerichte zu unter¬
werfen.

Gleichzeitig mit dem theilweisen Erwerbe Liebenau's durch Bischof Bal-
duin von Paderborn verabredeten deshalb die Papenheim einen doppelten
Burgfrieden, sowohl mit Balduin als mit dem Grafen v. Waldeck; beide
letzteren versprachen, bei etwaigem Friedensbruche auf Anforderung der Pa¬
penheim „binnen vierzehn Nächten")" unverzüglich sechs Bürgen und Freunde
in die Liebenau einleiten zu lassen, welche richten sollen, „als Burgfriedens¬
recht ist", und bis dies geschehen, in Liebenau bleiben.

Gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts hat der Paderborner Bischof
auch den Rest des Westerburger Antheils von Liebenau erworben, also die



') Die Rechnung nach Nächten statt nach Tagen ist eine nltgermanifchc. schon von Tauen«
bemerkte Eigenthümlichkeit. Die Nacht wird als dem Tage vorausgehend betrachtet: „Die Nacht
führt den Tag." „Drei vierzehn Nachte" geben die alisächsischc Frist von 6 Wochen und 3 Tagen.
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[0341] alter bei kleinern Städten nichts Ungewöhnliches. Man bewegte sich überall auf dem Gebiete des einfachen Privatrechts. Die Stadt war ein Complex von Sachen und Rechten, der den Gegenstand des Verkehrs bildete, wie ein ein¬ zelnes Grundstück oder ein einzelnes Gut mit seinem Zubehör; die Stadt wurde vererbt, verkauft, vertauscht, verpfändet gleich jedem andern Rechtsobject. Der Erwerber der Stadt oder eines ihrer Theile war aber deshalb keineswegs der Eigenthümer jedes einzelnen Hauses und Stadt¬ grundstücks, vielmehr befanden sich die meisten Häuser in anderen Händen, entweder ohne alle Beziehung zum Herrn der Stadt oder so, daß sie von ihm den Einwohnern zu Leihe gegeben und deshalb ihm zinspflichtig waren. Gewöhnlich blieb nur ein Schloß mit den nöthigen Wirthschastsländereien dem Herrn zu eigener Nutzung vorbehalten; im Uebrigen zog er seine Zinsen, Bußen und Zölle. — Nachdem die Westerburg durch die Oeffnung der Liebenau für den Bischof ein fremdes Element in die dortigen Verhältnisse gebracht und sich der Ein¬ wirkung auf die Stadt mehr als vorher entäußert hatten, mußte den Papen- heim daran liegen, ein festes Freundschaftsband mit dem Paderborner Bischof einerseits und den Grafen von Waldeck andererseits, die von Haus aus den Westerburg, nicht aber den Papenheim verwandt waren, zu schließen. Das Mittel hierzu würden wir heutzutage bei großen Fürsten und Herren in einem kriegsrechtlichen Schutz- und Trutzbündniß erblicken, nach damaligen Begriffen war es ein Privatvertrag, ein sogenannter „Burgfriede" oder eine „Burghut" d. h. ein Vertrag, durch welchen sich die Contrahenten ver¬ pflichten, im Falle einer unter ihnen ausbrechenden Fehde innerhalb eines nach bestimmten Grenzen fixirten Gebiets Frieden zu halten und sich bei etwaigem Fnedensbruche einem selbstgewählten Friedensgerichte zu unter¬ werfen. Gleichzeitig mit dem theilweisen Erwerbe Liebenau's durch Bischof Bal- duin von Paderborn verabredeten deshalb die Papenheim einen doppelten Burgfrieden, sowohl mit Balduin als mit dem Grafen v. Waldeck; beide letzteren versprachen, bei etwaigem Friedensbruche auf Anforderung der Pa¬ penheim „binnen vierzehn Nächten")" unverzüglich sechs Bürgen und Freunde in die Liebenau einleiten zu lassen, welche richten sollen, „als Burgfriedens¬ recht ist", und bis dies geschehen, in Liebenau bleiben. Gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts hat der Paderborner Bischof auch den Rest des Westerburger Antheils von Liebenau erworben, also die ') Die Rechnung nach Nächten statt nach Tagen ist eine nltgermanifchc. schon von Tauen« bemerkte Eigenthümlichkeit. Die Nacht wird als dem Tage vorausgehend betrachtet: „Die Nacht führt den Tag." „Drei vierzehn Nachte" geben die alisächsischc Frist von 6 Wochen und 3 Tagen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/341>, abgerufen am 23.12.2024.