Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Erbrecht der natürlichen Kinder galt jenem der ehelichen in jeder Beziehung
gleich. Die Pest des Papiergeldes tnficirte alle wirthschaftlichen Verhältnisse:
denn der Pächter prellte den Eigenthümer, der Schuldner den Gläubiger, der
Staat die Beamten, indem er seinen Verpflichtungen nicht in Courant, son¬
dern in Assignaten nachkam. Die Priester, welche nur den Eid auf die
Civilconstitution des Klerus weigerten, aber der Regierung Gehorsam ange¬
lobten, verfielen doch dem Strafgesetze. Die alten Schulen waren zertrüm¬
mert, neue nicht errichtet, so daß das souveräne Volk ohne Bildungsmittel
war. Dazu verarmten, abgesehen natürlich von Paris, die Communen, es
geschah nichts, weder für Straßen und Canäle, noch für Hospitäler und Ge¬
fängnisse. Am schmählichsten verfiel die Rechtspflege, einzelne Tribunale ste it
ten aus Mangel an Lebensmitteln ihre Thätigkeit ein.

Wenn aber -- sagt Sybel sehr schön -- der politische Fortschritt den
Bürger von Haus und Hof verjagt, so wird der Bürger der Politik und
dem Fortschritte den Rücken kehren. Der Masse des Volkes war die Frage
der Staatsform, ob Republik oder Monarchie, völlig gleichgültig geworden;
ehe es in Freiheit leben wollte, wollte es überhaupt leben; es hätte jeden
Despotismus auf sich genommen, welcher ihm die Sicherheit von Gut und
Blut, die Möglichkeit von Erwerb und Bildung zurückgab. Eine pflichtge--
treue Regierung hätte hier ein unermeßliches Arbeitsfeld und auf demselben
die glänzendste Rechtfertigung und Bürgschaft ihres Bestandes gefunden: das
Directorium dachte und handelte anders. Ihm war oberstes Princip, die
Herrschaft der eigenen Partei zu behaupten, und da diese im Wesentlichen
aus den alten Jakobinern bestand, so hielt es auch an allen Irrthümern
und Ausschreitungen der Schreckenszeit fest, nur ihre äußersten Consequenzen,
die unverhüllt kommunistischen Gesetze abweisend. Erst als die Vertreter
dieses Extrems, Babeuf und seine Genossen, das Leben der Machthaber mit
einem vernichtenden Angriff bedrohten, lenkten sie. wenn auch widerstrebend,
in die Bahnen einer rechtlichen und geordneten Politik ein.

In dieser Auffassung des Direktoriums kommt Sybel fast durchweg mit
Barante überein, demjenigen Autor, welcher mit Tocqueville das meiste in
Frankreich für eine unbefangene Beurtheilung der Revolution gethan hat,
aber natürlich durch das Pathos und die Gesinnungstüchtigkeit der Thiers
und Mignet, Lamartine und Blanc in den Schatten gestellt worden ist. Zu
einer erschöpfenden Würdigung auch der auswärtigen Politik des Directoriums
ist freilich Barante nicht gelangt, hauptsächlich weil ihm das erforderliche
Material der fremden Archive fehlte, indeß in der Verurtheilung der Motive,
welche die neue Regierung zur Fortsetzung des Krieges bestimmten, berührt
er sich wieder mit dem deutschen Forscher. Der Friede war die unerläßliche
Voraussetzung für jede Besserung im Innern: er wurde schnöde zurückge-


Erbrecht der natürlichen Kinder galt jenem der ehelichen in jeder Beziehung
gleich. Die Pest des Papiergeldes tnficirte alle wirthschaftlichen Verhältnisse:
denn der Pächter prellte den Eigenthümer, der Schuldner den Gläubiger, der
Staat die Beamten, indem er seinen Verpflichtungen nicht in Courant, son¬
dern in Assignaten nachkam. Die Priester, welche nur den Eid auf die
Civilconstitution des Klerus weigerten, aber der Regierung Gehorsam ange¬
lobten, verfielen doch dem Strafgesetze. Die alten Schulen waren zertrüm¬
mert, neue nicht errichtet, so daß das souveräne Volk ohne Bildungsmittel
war. Dazu verarmten, abgesehen natürlich von Paris, die Communen, es
geschah nichts, weder für Straßen und Canäle, noch für Hospitäler und Ge¬
fängnisse. Am schmählichsten verfiel die Rechtspflege, einzelne Tribunale ste it
ten aus Mangel an Lebensmitteln ihre Thätigkeit ein.

Wenn aber — sagt Sybel sehr schön — der politische Fortschritt den
Bürger von Haus und Hof verjagt, so wird der Bürger der Politik und
dem Fortschritte den Rücken kehren. Der Masse des Volkes war die Frage
der Staatsform, ob Republik oder Monarchie, völlig gleichgültig geworden;
ehe es in Freiheit leben wollte, wollte es überhaupt leben; es hätte jeden
Despotismus auf sich genommen, welcher ihm die Sicherheit von Gut und
Blut, die Möglichkeit von Erwerb und Bildung zurückgab. Eine pflichtge--
treue Regierung hätte hier ein unermeßliches Arbeitsfeld und auf demselben
die glänzendste Rechtfertigung und Bürgschaft ihres Bestandes gefunden: das
Directorium dachte und handelte anders. Ihm war oberstes Princip, die
Herrschaft der eigenen Partei zu behaupten, und da diese im Wesentlichen
aus den alten Jakobinern bestand, so hielt es auch an allen Irrthümern
und Ausschreitungen der Schreckenszeit fest, nur ihre äußersten Consequenzen,
die unverhüllt kommunistischen Gesetze abweisend. Erst als die Vertreter
dieses Extrems, Babeuf und seine Genossen, das Leben der Machthaber mit
einem vernichtenden Angriff bedrohten, lenkten sie. wenn auch widerstrebend,
in die Bahnen einer rechtlichen und geordneten Politik ein.

In dieser Auffassung des Direktoriums kommt Sybel fast durchweg mit
Barante überein, demjenigen Autor, welcher mit Tocqueville das meiste in
Frankreich für eine unbefangene Beurtheilung der Revolution gethan hat,
aber natürlich durch das Pathos und die Gesinnungstüchtigkeit der Thiers
und Mignet, Lamartine und Blanc in den Schatten gestellt worden ist. Zu
einer erschöpfenden Würdigung auch der auswärtigen Politik des Directoriums
ist freilich Barante nicht gelangt, hauptsächlich weil ihm das erforderliche
Material der fremden Archive fehlte, indeß in der Verurtheilung der Motive,
welche die neue Regierung zur Fortsetzung des Krieges bestimmten, berührt
er sich wieder mit dem deutschen Forscher. Der Friede war die unerläßliche
Voraussetzung für jede Besserung im Innern: er wurde schnöde zurückge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0335" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125041"/>
          <p xml:id="ID_1011" prev="#ID_1010"> Erbrecht der natürlichen Kinder galt jenem der ehelichen in jeder Beziehung<lb/>
gleich. Die Pest des Papiergeldes tnficirte alle wirthschaftlichen Verhältnisse:<lb/>
denn der Pächter prellte den Eigenthümer, der Schuldner den Gläubiger, der<lb/>
Staat die Beamten, indem er seinen Verpflichtungen nicht in Courant, son¬<lb/>
dern in Assignaten nachkam. Die Priester, welche nur den Eid auf die<lb/>
Civilconstitution des Klerus weigerten, aber der Regierung Gehorsam ange¬<lb/>
lobten, verfielen doch dem Strafgesetze. Die alten Schulen waren zertrüm¬<lb/>
mert, neue nicht errichtet, so daß das souveräne Volk ohne Bildungsmittel<lb/>
war. Dazu verarmten, abgesehen natürlich von Paris, die Communen, es<lb/>
geschah nichts, weder für Straßen und Canäle, noch für Hospitäler und Ge¬<lb/>
fängnisse. Am schmählichsten verfiel die Rechtspflege, einzelne Tribunale ste it<lb/>
ten aus Mangel an Lebensmitteln ihre Thätigkeit ein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1012"> Wenn aber &#x2014; sagt Sybel sehr schön &#x2014; der politische Fortschritt den<lb/>
Bürger von Haus und Hof verjagt, so wird der Bürger der Politik und<lb/>
dem Fortschritte den Rücken kehren. Der Masse des Volkes war die Frage<lb/>
der Staatsform, ob Republik oder Monarchie, völlig gleichgültig geworden;<lb/>
ehe es in Freiheit leben wollte, wollte es überhaupt leben; es hätte jeden<lb/>
Despotismus auf sich genommen, welcher ihm die Sicherheit von Gut und<lb/>
Blut, die Möglichkeit von Erwerb und Bildung zurückgab. Eine pflichtge--<lb/>
treue Regierung hätte hier ein unermeßliches Arbeitsfeld und auf demselben<lb/>
die glänzendste Rechtfertigung und Bürgschaft ihres Bestandes gefunden: das<lb/>
Directorium dachte und handelte anders. Ihm war oberstes Princip, die<lb/>
Herrschaft der eigenen Partei zu behaupten, und da diese im Wesentlichen<lb/>
aus den alten Jakobinern bestand, so hielt es auch an allen Irrthümern<lb/>
und Ausschreitungen der Schreckenszeit fest, nur ihre äußersten Consequenzen,<lb/>
die unverhüllt kommunistischen Gesetze abweisend. Erst als die Vertreter<lb/>
dieses Extrems, Babeuf und seine Genossen, das Leben der Machthaber mit<lb/>
einem vernichtenden Angriff bedrohten, lenkten sie. wenn auch widerstrebend,<lb/>
in die Bahnen einer rechtlichen und geordneten Politik ein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1013" next="#ID_1014"> In dieser Auffassung des Direktoriums kommt Sybel fast durchweg mit<lb/>
Barante überein, demjenigen Autor, welcher mit Tocqueville das meiste in<lb/>
Frankreich für eine unbefangene Beurtheilung der Revolution gethan hat,<lb/>
aber natürlich durch das Pathos und die Gesinnungstüchtigkeit der Thiers<lb/>
und Mignet, Lamartine und Blanc in den Schatten gestellt worden ist. Zu<lb/>
einer erschöpfenden Würdigung auch der auswärtigen Politik des Directoriums<lb/>
ist freilich Barante nicht gelangt, hauptsächlich weil ihm das erforderliche<lb/>
Material der fremden Archive fehlte, indeß in der Verurtheilung der Motive,<lb/>
welche die neue Regierung zur Fortsetzung des Krieges bestimmten, berührt<lb/>
er sich wieder mit dem deutschen Forscher. Der Friede war die unerläßliche<lb/>
Voraussetzung für jede Besserung im Innern: er wurde schnöde zurückge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0335] Erbrecht der natürlichen Kinder galt jenem der ehelichen in jeder Beziehung gleich. Die Pest des Papiergeldes tnficirte alle wirthschaftlichen Verhältnisse: denn der Pächter prellte den Eigenthümer, der Schuldner den Gläubiger, der Staat die Beamten, indem er seinen Verpflichtungen nicht in Courant, son¬ dern in Assignaten nachkam. Die Priester, welche nur den Eid auf die Civilconstitution des Klerus weigerten, aber der Regierung Gehorsam ange¬ lobten, verfielen doch dem Strafgesetze. Die alten Schulen waren zertrüm¬ mert, neue nicht errichtet, so daß das souveräne Volk ohne Bildungsmittel war. Dazu verarmten, abgesehen natürlich von Paris, die Communen, es geschah nichts, weder für Straßen und Canäle, noch für Hospitäler und Ge¬ fängnisse. Am schmählichsten verfiel die Rechtspflege, einzelne Tribunale ste it ten aus Mangel an Lebensmitteln ihre Thätigkeit ein. Wenn aber — sagt Sybel sehr schön — der politische Fortschritt den Bürger von Haus und Hof verjagt, so wird der Bürger der Politik und dem Fortschritte den Rücken kehren. Der Masse des Volkes war die Frage der Staatsform, ob Republik oder Monarchie, völlig gleichgültig geworden; ehe es in Freiheit leben wollte, wollte es überhaupt leben; es hätte jeden Despotismus auf sich genommen, welcher ihm die Sicherheit von Gut und Blut, die Möglichkeit von Erwerb und Bildung zurückgab. Eine pflichtge-- treue Regierung hätte hier ein unermeßliches Arbeitsfeld und auf demselben die glänzendste Rechtfertigung und Bürgschaft ihres Bestandes gefunden: das Directorium dachte und handelte anders. Ihm war oberstes Princip, die Herrschaft der eigenen Partei zu behaupten, und da diese im Wesentlichen aus den alten Jakobinern bestand, so hielt es auch an allen Irrthümern und Ausschreitungen der Schreckenszeit fest, nur ihre äußersten Consequenzen, die unverhüllt kommunistischen Gesetze abweisend. Erst als die Vertreter dieses Extrems, Babeuf und seine Genossen, das Leben der Machthaber mit einem vernichtenden Angriff bedrohten, lenkten sie. wenn auch widerstrebend, in die Bahnen einer rechtlichen und geordneten Politik ein. In dieser Auffassung des Direktoriums kommt Sybel fast durchweg mit Barante überein, demjenigen Autor, welcher mit Tocqueville das meiste in Frankreich für eine unbefangene Beurtheilung der Revolution gethan hat, aber natürlich durch das Pathos und die Gesinnungstüchtigkeit der Thiers und Mignet, Lamartine und Blanc in den Schatten gestellt worden ist. Zu einer erschöpfenden Würdigung auch der auswärtigen Politik des Directoriums ist freilich Barante nicht gelangt, hauptsächlich weil ihm das erforderliche Material der fremden Archive fehlte, indeß in der Verurtheilung der Motive, welche die neue Regierung zur Fortsetzung des Krieges bestimmten, berührt er sich wieder mit dem deutschen Forscher. Der Friede war die unerläßliche Voraussetzung für jede Besserung im Innern: er wurde schnöde zurückge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/335
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/335>, abgerufen am 22.12.2024.