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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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gentschaft den Senat und gesetzgebenden Körper berufe, um den Frieden mit
Deutschland zu vereinbaren. Diese Proposition legte, nachdem sie in Wil¬
helmshöhe gebilligt war, der General Boyer im deutschen Hauptquartier vor.
Graf Bismarck, der nach dem preußischerseits nicht dementirten Lommuniqu"
der Kaiserin in -den Daily News vom 26. October derselben schon früher
Frtedensvorschläge auf der Basis übermittelt hatte, daß Straßburg mit einem
Rayon von 260,000 Einwohnern abgetreten werde, ging auf die Idee des
Marschalls ein. Wie groß die Territorialabtretung war, die er forderte,
liegt nicht klar vor, es scheint indeß, daß sie keine unübersteigliche Schwie¬
rigkeit bot, denn der General Boyer reiste vom Hauptquartier nach Chisel-
hurst, um die Zustimmung der Kaiserin Eugenie zu erhalten. Diese aber
ward hartnäckig verweigert, die Regentin hielt darin fest, daß ein solches mit
Hilfe der Sieger eingesetztes Regiment unhaltbar sein würde, selbst wenn der
Plan gelinge.

Inzwischen versuchte Bazaine die Generäle und Offiziere für seinen Plan
zu bearbeiten, indem er denselben ein Bild von der Lage Frankreichs gab,
nach welchem dasselbe bereits vollständig der Anarchie anheimgefallen. In
der den Offizieren am 19. October von ihren Chefs nun endlich gemachten
Mittheilung hieß es, daß Paris ausgehungert sei und in wenigen Tagen den
Preußen seine Thore öffnen müsse. Die Zwietracht lahme die Vertheidigung,
die Mitglieder der provisorischen Regierung hätten das Heft nicht mehr in
Händen, die Hälfte der Mitglieder sei in Tours, die rothe Fahne wehe in
Lyon, Marseille und Bordeaux (?), die von Räuberbanden heimgesuchte Nor-
mandie habe die Preußen gerufen, um die Ordnung herzustellen. Havre, Elboeuf
und Rouen hätten bereits preußische Garnisonen, ein religiöser Aufstand sei
in der Wendete ausgebrochen. Preußen verlange Elsaß-Lothringen und mehrere
Milliarden Kriegskosten; Italien Savoyen, Nizza, .Corsica; die preußische
Regierung, welche zu Friedensunterhandlungen geneigt sei, könne nicht mit
der Anarchie pactiren, sondern sich nur an die legale Regentschaft wenden;
es sei noch unbekannt, ob die Regentin auf den Vorschlag eingehen werde.

Zweierlei ist bei dieser Mittheilung, welche sofort von den Offizieren
gemeinsam schriftlich redigirt und später im Inäöneuäövt 6s Is. ÄlossUiz ver¬
öffentlicht ward, hervorzuheben. Einmal, daß das gegebene Bild von Frankreichs
Zustand nicht blos parteiisch gefärbt war. sondern daß mehrere der angeführten
Thatsachen geradezu falsch warew weder waren Havre. Rouen und Elboeuf
in preußischen Händen, noch hatte die Normandie die Deutschen gerufen, noch
war ein religiöser Aufstand in der Wendete ausgebrochen,' noch endlich hatte
Italien irgend eine Gebietsforderung erhoben. Die Angaben erscheinen daher
als Vorspiegelungen, um das von der übrigen Welt abgeschnittene Offizier-
corps zu täuschen und für die imperialistischen Pläne seines Führers zu ge-


gentschaft den Senat und gesetzgebenden Körper berufe, um den Frieden mit
Deutschland zu vereinbaren. Diese Proposition legte, nachdem sie in Wil¬
helmshöhe gebilligt war, der General Boyer im deutschen Hauptquartier vor.
Graf Bismarck, der nach dem preußischerseits nicht dementirten Lommuniqu«
der Kaiserin in -den Daily News vom 26. October derselben schon früher
Frtedensvorschläge auf der Basis übermittelt hatte, daß Straßburg mit einem
Rayon von 260,000 Einwohnern abgetreten werde, ging auf die Idee des
Marschalls ein. Wie groß die Territorialabtretung war, die er forderte,
liegt nicht klar vor, es scheint indeß, daß sie keine unübersteigliche Schwie¬
rigkeit bot, denn der General Boyer reiste vom Hauptquartier nach Chisel-
hurst, um die Zustimmung der Kaiserin Eugenie zu erhalten. Diese aber
ward hartnäckig verweigert, die Regentin hielt darin fest, daß ein solches mit
Hilfe der Sieger eingesetztes Regiment unhaltbar sein würde, selbst wenn der
Plan gelinge.

Inzwischen versuchte Bazaine die Generäle und Offiziere für seinen Plan
zu bearbeiten, indem er denselben ein Bild von der Lage Frankreichs gab,
nach welchem dasselbe bereits vollständig der Anarchie anheimgefallen. In
der den Offizieren am 19. October von ihren Chefs nun endlich gemachten
Mittheilung hieß es, daß Paris ausgehungert sei und in wenigen Tagen den
Preußen seine Thore öffnen müsse. Die Zwietracht lahme die Vertheidigung,
die Mitglieder der provisorischen Regierung hätten das Heft nicht mehr in
Händen, die Hälfte der Mitglieder sei in Tours, die rothe Fahne wehe in
Lyon, Marseille und Bordeaux (?), die von Räuberbanden heimgesuchte Nor-
mandie habe die Preußen gerufen, um die Ordnung herzustellen. Havre, Elboeuf
und Rouen hätten bereits preußische Garnisonen, ein religiöser Aufstand sei
in der Wendete ausgebrochen. Preußen verlange Elsaß-Lothringen und mehrere
Milliarden Kriegskosten; Italien Savoyen, Nizza, .Corsica; die preußische
Regierung, welche zu Friedensunterhandlungen geneigt sei, könne nicht mit
der Anarchie pactiren, sondern sich nur an die legale Regentschaft wenden;
es sei noch unbekannt, ob die Regentin auf den Vorschlag eingehen werde.

Zweierlei ist bei dieser Mittheilung, welche sofort von den Offizieren
gemeinsam schriftlich redigirt und später im Inäöneuäövt 6s Is. ÄlossUiz ver¬
öffentlicht ward, hervorzuheben. Einmal, daß das gegebene Bild von Frankreichs
Zustand nicht blos parteiisch gefärbt war. sondern daß mehrere der angeführten
Thatsachen geradezu falsch warew weder waren Havre. Rouen und Elboeuf
in preußischen Händen, noch hatte die Normandie die Deutschen gerufen, noch
war ein religiöser Aufstand in der Wendete ausgebrochen,' noch endlich hatte
Italien irgend eine Gebietsforderung erhoben. Die Angaben erscheinen daher
als Vorspiegelungen, um das von der übrigen Welt abgeschnittene Offizier-
corps zu täuschen und für die imperialistischen Pläne seines Führers zu ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/323>, abgerufen am 22.12.2024.