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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Nach den ersten entscheidenden Niederlagen war es offenbar das einzig
richtige, Metz einer entschlossenen Garnison zu überlassen, die ganze Armee
auf die feste Position von Chalons zurückzuziehen und die Lücken durch Mobil¬
garden auszufüllen. Aber der Kaiser fürchtete durch einen so entschiedenen
Rückzug seine Sache zu compromittiren, er wurde genöthigt, das Commando
abzugeben, aber zu spät für Bazaine's freiem Rückzug. Alles spricht dafür,
daß ihm Napoleon Befehl gegeben, in Metz zu bleiben und die Armee für
die Zukunft zu reiten. Dies ist um so wahrscheinlicher, als der Befehl zum
unglücklichen Zuge Mac Mahon's nach Norden weder vom Kaiser ausgegangen,
noch von dem Marschall gebilligt, sondern lediglich von der Pariser Regie¬
rung befohlen ist. Und hiermit stimmt auch vollkommen, daß Paiikao wie¬
derholt im Corps legislatif erklärte, Bazaine könne durchbrechen, wenn er
wolle, er bleibe in seiner Stellung vor Metz zufolge eines bestimmten Planes.

Seit der Katastrophe von Sedan wurde die Lage des Marschalls natür¬
lich immer schwieriger; einerseits befestigten die Deutschen ihre Stellungen
immer mehr, andererseits wußte er immer weniger, was er mit seiner Armee
thun solle, wenn der Durchbruch gelänge. Als entschiedener Imperialist
hätte er sich nicht der provisorischen Negierung zur Verfügung stellen wollen,
aber siine Weigerung hätte den Bürgerkrieg entzündet und wahrscheinlich
konnte er nicht einmal auf seine Truppen bet einer solchen Haltung zählen.

Er klammerte sich daher an Metz, das ihm die Verantwortlichkeit dieser"
Entscheidung ersparte; so lange seine Armee dort 230,000 deutsche Truppen
festhielt, konnte er sagen, daß sie Frankreich große Dienste leiste und dabei
doch die politische Zukunft offen lasse. Aber die Kehrseite dieser Politik war,
daß sie sich nicht auf lange Zeit durchführen ließ; eine so große von allen
Hilfsquellen abgeschnittene Armee mußte die für die Garnison von Metz be¬
stimmten Vorräthe sehr rasch aufzehren, während die Festung an sich noch
lange hätte gehalten werden können. Nach dem Briefe des Generals Cofsi-
nieres in der Jndependance vom 6. Nov- mußte die Festung, die unter nor¬
malen Verhältnissen auf SO--100.000 Seelen, die Garnison miteinbegriffen,
ernähren sollte, während 2^ Monat nahe an 240,000 Menschen unterhalten.
Deshalb begann auch Bazaine sehr bald nach verschiedenen Seiten hin zu unter¬
handeln. Obwohl begreiflich über manchen Punkten dieser Unterhandlungen
noch ein Dunkel schwebt, namentlich über die geheimnißvolle Reise des Generals
Bourbaki, so läßt sich nach uns vorliegenden zuverlässigen Nachrichten doch
Folgendes als ziemlich gewiß annehmen. Bazaine wünschte die Abdankung
des Kaisers zu Gunsten des kaiserlichen Prinzen, er selbst gedachte als aäla,tu3
der Kaiserin factisch Regent zu werden. Um diesen Plan zu verwirklichen, sollte
Graf Bismarck bewogen werden, seine Zustimmung dazu zu geben, daß der
Marschall mit 50,000 M. nach Orleans marschiren dürfe und dorthin die Re-


Nach den ersten entscheidenden Niederlagen war es offenbar das einzig
richtige, Metz einer entschlossenen Garnison zu überlassen, die ganze Armee
auf die feste Position von Chalons zurückzuziehen und die Lücken durch Mobil¬
garden auszufüllen. Aber der Kaiser fürchtete durch einen so entschiedenen
Rückzug seine Sache zu compromittiren, er wurde genöthigt, das Commando
abzugeben, aber zu spät für Bazaine's freiem Rückzug. Alles spricht dafür,
daß ihm Napoleon Befehl gegeben, in Metz zu bleiben und die Armee für
die Zukunft zu reiten. Dies ist um so wahrscheinlicher, als der Befehl zum
unglücklichen Zuge Mac Mahon's nach Norden weder vom Kaiser ausgegangen,
noch von dem Marschall gebilligt, sondern lediglich von der Pariser Regie¬
rung befohlen ist. Und hiermit stimmt auch vollkommen, daß Paiikao wie¬
derholt im Corps legislatif erklärte, Bazaine könne durchbrechen, wenn er
wolle, er bleibe in seiner Stellung vor Metz zufolge eines bestimmten Planes.

Seit der Katastrophe von Sedan wurde die Lage des Marschalls natür¬
lich immer schwieriger; einerseits befestigten die Deutschen ihre Stellungen
immer mehr, andererseits wußte er immer weniger, was er mit seiner Armee
thun solle, wenn der Durchbruch gelänge. Als entschiedener Imperialist
hätte er sich nicht der provisorischen Negierung zur Verfügung stellen wollen,
aber siine Weigerung hätte den Bürgerkrieg entzündet und wahrscheinlich
konnte er nicht einmal auf seine Truppen bet einer solchen Haltung zählen.

Er klammerte sich daher an Metz, das ihm die Verantwortlichkeit dieser"
Entscheidung ersparte; so lange seine Armee dort 230,000 deutsche Truppen
festhielt, konnte er sagen, daß sie Frankreich große Dienste leiste und dabei
doch die politische Zukunft offen lasse. Aber die Kehrseite dieser Politik war,
daß sie sich nicht auf lange Zeit durchführen ließ; eine so große von allen
Hilfsquellen abgeschnittene Armee mußte die für die Garnison von Metz be¬
stimmten Vorräthe sehr rasch aufzehren, während die Festung an sich noch
lange hätte gehalten werden können. Nach dem Briefe des Generals Cofsi-
nieres in der Jndependance vom 6. Nov- mußte die Festung, die unter nor¬
malen Verhältnissen auf SO—100.000 Seelen, die Garnison miteinbegriffen,
ernähren sollte, während 2^ Monat nahe an 240,000 Menschen unterhalten.
Deshalb begann auch Bazaine sehr bald nach verschiedenen Seiten hin zu unter¬
handeln. Obwohl begreiflich über manchen Punkten dieser Unterhandlungen
noch ein Dunkel schwebt, namentlich über die geheimnißvolle Reise des Generals
Bourbaki, so läßt sich nach uns vorliegenden zuverlässigen Nachrichten doch
Folgendes als ziemlich gewiß annehmen. Bazaine wünschte die Abdankung
des Kaisers zu Gunsten des kaiserlichen Prinzen, er selbst gedachte als aäla,tu3
der Kaiserin factisch Regent zu werden. Um diesen Plan zu verwirklichen, sollte
Graf Bismarck bewogen werden, seine Zustimmung dazu zu geben, daß der
Marschall mit 50,000 M. nach Orleans marschiren dürfe und dorthin die Re-


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[0322] Nach den ersten entscheidenden Niederlagen war es offenbar das einzig richtige, Metz einer entschlossenen Garnison zu überlassen, die ganze Armee auf die feste Position von Chalons zurückzuziehen und die Lücken durch Mobil¬ garden auszufüllen. Aber der Kaiser fürchtete durch einen so entschiedenen Rückzug seine Sache zu compromittiren, er wurde genöthigt, das Commando abzugeben, aber zu spät für Bazaine's freiem Rückzug. Alles spricht dafür, daß ihm Napoleon Befehl gegeben, in Metz zu bleiben und die Armee für die Zukunft zu reiten. Dies ist um so wahrscheinlicher, als der Befehl zum unglücklichen Zuge Mac Mahon's nach Norden weder vom Kaiser ausgegangen, noch von dem Marschall gebilligt, sondern lediglich von der Pariser Regie¬ rung befohlen ist. Und hiermit stimmt auch vollkommen, daß Paiikao wie¬ derholt im Corps legislatif erklärte, Bazaine könne durchbrechen, wenn er wolle, er bleibe in seiner Stellung vor Metz zufolge eines bestimmten Planes. Seit der Katastrophe von Sedan wurde die Lage des Marschalls natür¬ lich immer schwieriger; einerseits befestigten die Deutschen ihre Stellungen immer mehr, andererseits wußte er immer weniger, was er mit seiner Armee thun solle, wenn der Durchbruch gelänge. Als entschiedener Imperialist hätte er sich nicht der provisorischen Negierung zur Verfügung stellen wollen, aber siine Weigerung hätte den Bürgerkrieg entzündet und wahrscheinlich konnte er nicht einmal auf seine Truppen bet einer solchen Haltung zählen. Er klammerte sich daher an Metz, das ihm die Verantwortlichkeit dieser" Entscheidung ersparte; so lange seine Armee dort 230,000 deutsche Truppen festhielt, konnte er sagen, daß sie Frankreich große Dienste leiste und dabei doch die politische Zukunft offen lasse. Aber die Kehrseite dieser Politik war, daß sie sich nicht auf lange Zeit durchführen ließ; eine so große von allen Hilfsquellen abgeschnittene Armee mußte die für die Garnison von Metz be¬ stimmten Vorräthe sehr rasch aufzehren, während die Festung an sich noch lange hätte gehalten werden können. Nach dem Briefe des Generals Cofsi- nieres in der Jndependance vom 6. Nov- mußte die Festung, die unter nor¬ malen Verhältnissen auf SO—100.000 Seelen, die Garnison miteinbegriffen, ernähren sollte, während 2^ Monat nahe an 240,000 Menschen unterhalten. Deshalb begann auch Bazaine sehr bald nach verschiedenen Seiten hin zu unter¬ handeln. Obwohl begreiflich über manchen Punkten dieser Unterhandlungen noch ein Dunkel schwebt, namentlich über die geheimnißvolle Reise des Generals Bourbaki, so läßt sich nach uns vorliegenden zuverlässigen Nachrichten doch Folgendes als ziemlich gewiß annehmen. Bazaine wünschte die Abdankung des Kaisers zu Gunsten des kaiserlichen Prinzen, er selbst gedachte als aäla,tu3 der Kaiserin factisch Regent zu werden. Um diesen Plan zu verwirklichen, sollte Graf Bismarck bewogen werden, seine Zustimmung dazu zu geben, daß der Marschall mit 50,000 M. nach Orleans marschiren dürfe und dorthin die Re-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/322>, abgerufen am 23.12.2024.