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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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in den Augen des Feindes herabgesetzt und damit das Gegentheil des be¬
zweckten Erfolges herbeigeführt. Macht man die Leute stumm, welche uns
rathen, die eroberten Provinzen, welche wir Anderen zu unserer Sicherheit
behalten wollen, wieder an Frankreich zurückzugeben, so schwächt man dadurch
das Gewicht der überwältigenden Mehrheit, welche sich für die Einverleibung
jener Provinzen in Deutschland ausgesprochen hat. Man erweckt die Mei¬
nung, daß die Partei, welche sich nicht äußern darf, viele stille Anhänger
zähle, und ermuthigt den Feind zu Hoffnungen, welche den Friedensschluß
nur erschweren können, statt ihn zu erleichtern.

Es ist zu wünschen, daß das provisorisch geltende preußische Gesetz über
den Belagerungszustand bald durch ein Bundesgesetz abgelöst werde, welches
die Möglichkeit solcher Auslegungen und Anwendungen, wie wir sie unter
der Herrschaft des ersteren jetzt haben erleben müssen, gründlich beseitigt.




Gazaine.

Die neuesten Veröffentlichungen betreffend den Fall von Metz lassen Ba-
zaine's Verhalten in einigermaßen zweifelhaftem Lichte erscheinen. Nicht etwa
was die Nothwendigkeit der Uebergabe im letzten Augenblicke betrifft; der
Mangel an Lebensmitteln, die Krankheiten, die Auslösung der Disciplin
waren offenbar auf einen Grad gestiegen, der kein weiteres Zaudern mehr
erlaubte, und die Mitwirkung des greisen General Changarnier, dessen Pa¬
triotismus allen Haß gegen den Urheber des Staatsstreichs vom 2. Dec.
vergessen ließ, ist eine hinreichende Bürgschaft für die Nothwendigkeit der
Kapitulation.

Aber diese Beweise beziehen sich nur auf die letzte Phase der Belagerung,
sie lassen die Thatsache, daß Bazaine sich einschließen ließ und seit dem
19. August keinen ernsten Versuch zum Durchbrechen machte, ebenso unbe¬
rührt, als seine geheimen Verhandlungen mit der Kaiserin Eugenie und dem
deutschen Hauptquartier. Bis zum 18. August trifft den Marschall kein Vor¬
wurf, er war nicht verantwortlich für Wörth und Spicheren, er war nach
Metz von seinen Vorgesetzten dirigirt, und wenn er dort zu lange zögerte,
so war dies nicht sein Fehler, sondern Napoleons, der es befahl. Sobald er
sein eigener Herr geworden, machte er eine verzweifelte Anstrengung, sich zu
befreien; bei Mars la Tour am 16. war die französische Armee nach König
Wilhelm's eigenem Zeugniß gut geführt und nur die erschöpfte Munition ver¬
hinderte den Durchbruch. Von da an aber wird sein Benehmen geheimniß-


in den Augen des Feindes herabgesetzt und damit das Gegentheil des be¬
zweckten Erfolges herbeigeführt. Macht man die Leute stumm, welche uns
rathen, die eroberten Provinzen, welche wir Anderen zu unserer Sicherheit
behalten wollen, wieder an Frankreich zurückzugeben, so schwächt man dadurch
das Gewicht der überwältigenden Mehrheit, welche sich für die Einverleibung
jener Provinzen in Deutschland ausgesprochen hat. Man erweckt die Mei¬
nung, daß die Partei, welche sich nicht äußern darf, viele stille Anhänger
zähle, und ermuthigt den Feind zu Hoffnungen, welche den Friedensschluß
nur erschweren können, statt ihn zu erleichtern.

Es ist zu wünschen, daß das provisorisch geltende preußische Gesetz über
den Belagerungszustand bald durch ein Bundesgesetz abgelöst werde, welches
die Möglichkeit solcher Auslegungen und Anwendungen, wie wir sie unter
der Herrschaft des ersteren jetzt haben erleben müssen, gründlich beseitigt.




Gazaine.

Die neuesten Veröffentlichungen betreffend den Fall von Metz lassen Ba-
zaine's Verhalten in einigermaßen zweifelhaftem Lichte erscheinen. Nicht etwa
was die Nothwendigkeit der Uebergabe im letzten Augenblicke betrifft; der
Mangel an Lebensmitteln, die Krankheiten, die Auslösung der Disciplin
waren offenbar auf einen Grad gestiegen, der kein weiteres Zaudern mehr
erlaubte, und die Mitwirkung des greisen General Changarnier, dessen Pa¬
triotismus allen Haß gegen den Urheber des Staatsstreichs vom 2. Dec.
vergessen ließ, ist eine hinreichende Bürgschaft für die Nothwendigkeit der
Kapitulation.

Aber diese Beweise beziehen sich nur auf die letzte Phase der Belagerung,
sie lassen die Thatsache, daß Bazaine sich einschließen ließ und seit dem
19. August keinen ernsten Versuch zum Durchbrechen machte, ebenso unbe¬
rührt, als seine geheimen Verhandlungen mit der Kaiserin Eugenie und dem
deutschen Hauptquartier. Bis zum 18. August trifft den Marschall kein Vor¬
wurf, er war nicht verantwortlich für Wörth und Spicheren, er war nach
Metz von seinen Vorgesetzten dirigirt, und wenn er dort zu lange zögerte,
so war dies nicht sein Fehler, sondern Napoleons, der es befahl. Sobald er
sein eigener Herr geworden, machte er eine verzweifelte Anstrengung, sich zu
befreien; bei Mars la Tour am 16. war die französische Armee nach König
Wilhelm's eigenem Zeugniß gut geführt und nur die erschöpfte Munition ver¬
hinderte den Durchbruch. Von da an aber wird sein Benehmen geheimniß-


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[0320] in den Augen des Feindes herabgesetzt und damit das Gegentheil des be¬ zweckten Erfolges herbeigeführt. Macht man die Leute stumm, welche uns rathen, die eroberten Provinzen, welche wir Anderen zu unserer Sicherheit behalten wollen, wieder an Frankreich zurückzugeben, so schwächt man dadurch das Gewicht der überwältigenden Mehrheit, welche sich für die Einverleibung jener Provinzen in Deutschland ausgesprochen hat. Man erweckt die Mei¬ nung, daß die Partei, welche sich nicht äußern darf, viele stille Anhänger zähle, und ermuthigt den Feind zu Hoffnungen, welche den Friedensschluß nur erschweren können, statt ihn zu erleichtern. Es ist zu wünschen, daß das provisorisch geltende preußische Gesetz über den Belagerungszustand bald durch ein Bundesgesetz abgelöst werde, welches die Möglichkeit solcher Auslegungen und Anwendungen, wie wir sie unter der Herrschaft des ersteren jetzt haben erleben müssen, gründlich beseitigt. Gazaine. Die neuesten Veröffentlichungen betreffend den Fall von Metz lassen Ba- zaine's Verhalten in einigermaßen zweifelhaftem Lichte erscheinen. Nicht etwa was die Nothwendigkeit der Uebergabe im letzten Augenblicke betrifft; der Mangel an Lebensmitteln, die Krankheiten, die Auslösung der Disciplin waren offenbar auf einen Grad gestiegen, der kein weiteres Zaudern mehr erlaubte, und die Mitwirkung des greisen General Changarnier, dessen Pa¬ triotismus allen Haß gegen den Urheber des Staatsstreichs vom 2. Dec. vergessen ließ, ist eine hinreichende Bürgschaft für die Nothwendigkeit der Kapitulation. Aber diese Beweise beziehen sich nur auf die letzte Phase der Belagerung, sie lassen die Thatsache, daß Bazaine sich einschließen ließ und seit dem 19. August keinen ernsten Versuch zum Durchbrechen machte, ebenso unbe¬ rührt, als seine geheimen Verhandlungen mit der Kaiserin Eugenie und dem deutschen Hauptquartier. Bis zum 18. August trifft den Marschall kein Vor¬ wurf, er war nicht verantwortlich für Wörth und Spicheren, er war nach Metz von seinen Vorgesetzten dirigirt, und wenn er dort zu lange zögerte, so war dies nicht sein Fehler, sondern Napoleons, der es befahl. Sobald er sein eigener Herr geworden, machte er eine verzweifelte Anstrengung, sich zu befreien; bei Mars la Tour am 16. war die französische Armee nach König Wilhelm's eigenem Zeugniß gut geführt und nur die erschöpfte Munition ver¬ hinderte den Durchbruch. Von da an aber wird sein Benehmen geheimniß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/320>, abgerufen am 23.12.2024.