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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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ordnung verletzt, welche die Entziehung der Befugniß zur Herausgabe einer
Druckschrift oder zum Vertriebe derselben verbietet, ebenso die des §, 4
des Bundesgesetzes über das Postwesen, nach welcher keine im Gebiete des
norddeutschen Bundes erscheinende politische Zeitung von dem Postoebit aus¬
geschlossen werden darf.

Ferner veröffentlichte das Großherzogliche Ministerium des Innern am
30. September, diesmal jedoch durch bloßen Abdruck, ohne die Zuthat einer
Einleitung, den "Gouvernements-Befehl" vom 24. September, welcher die Ab¬
haltung von Volksversammlungen der Socialisten und die Theilnahme an
solchen Versammlungen verbietet und die Uebertretung dieses Verbots gleich¬
falls mit Bestrafung in Gemäßheit des Gesetzes über den Belagerungszustand
bedroht. Zwar gewähren die mecklenburgischen Landesgesetze nicht das Recht
zur Veranstaltung politischer Versammlungen, die Erlaubniß dazu muß viel¬
mehr erst in jedem einzelnen Falle vom Minister des Innern in Schwerin
eingeholt werden. Aber auch in Mecklenburg besteht das Recht, zum Betrieb
der den Reichstag betreffenden Wahlangelegenheiten Vereine zu bilden und
in geschlossenen Räumen unbewaffnete öffentliche Versammlungen zu veran¬
stalten. Dieses Recht gründet sich auf den Z. 17 des durch den Kriegszu¬
stand nicht aufgehobenen Wahlgesetzes für den Reichstag, und mit dieser Be¬
stimmung ist es, so lange nicht die Suspension der Gesetze über das Ver¬
sammlungsrecht ausdrücklich und in der vorgeschriebenen Form allgemein
ausgesprochen ist, nicht vereinbar, wenn einer auch noch so kleinen Partei das
Versammlungsrecht für die Dauer des Knegszustandes absolut entzogen wird.

Können hiernach diese Verfügungen und die noch tiefer einschneidenden,
durch welche ohne nachfolgendes gerichtliches Verfahren einzelne Personen zur
Haft gebracht oder internirt worden sind, nicht für die Anwendung einer
aus dem preußischen Gesetz über den Belagerungszustand abgeleiteten Befug¬
niß erachtet werden, so haben dieselben ebensowenig Anspruch daraus, als
ein politisch nützliches oder nothwendiges Werk zu gelten. Die Beobachtung
der gesetzlichen Form wird dem politischen Interesse niemals schaden können,
dagegen wird eine Abweichung von derselben niemals das Wohl des Ganzen
und die patriotische Gesinnung fördern. Vollends aber dem Feinde gegen¬
über kann es keinen Gewinn bringen, wenn auf dem Gebiete der inneren
Politik nur solche Aeußerungen in Worten und Thaten Duldung erfahren,
welche dem militärischen Machthaber genehm sind. Vielmehr wird der Feind
aus der Unterdrückung der von dem General-Gouverneur für unpatriotisch
erachteten Ansichten und Bestrebungen, wie wenig Beifall dieselben auch ver¬
dienen mögen, gerade den Schluß ziehen, daß die unterdrückte Partei bedeu¬
tender und einflußreicher sei, als sie es in Wirklichkeit ist. Durch die Unter¬
drückung der einen Kundgebung wird gerade der Werth der entgegenstehenden


ordnung verletzt, welche die Entziehung der Befugniß zur Herausgabe einer
Druckschrift oder zum Vertriebe derselben verbietet, ebenso die des §, 4
des Bundesgesetzes über das Postwesen, nach welcher keine im Gebiete des
norddeutschen Bundes erscheinende politische Zeitung von dem Postoebit aus¬
geschlossen werden darf.

Ferner veröffentlichte das Großherzogliche Ministerium des Innern am
30. September, diesmal jedoch durch bloßen Abdruck, ohne die Zuthat einer
Einleitung, den „Gouvernements-Befehl" vom 24. September, welcher die Ab¬
haltung von Volksversammlungen der Socialisten und die Theilnahme an
solchen Versammlungen verbietet und die Uebertretung dieses Verbots gleich¬
falls mit Bestrafung in Gemäßheit des Gesetzes über den Belagerungszustand
bedroht. Zwar gewähren die mecklenburgischen Landesgesetze nicht das Recht
zur Veranstaltung politischer Versammlungen, die Erlaubniß dazu muß viel¬
mehr erst in jedem einzelnen Falle vom Minister des Innern in Schwerin
eingeholt werden. Aber auch in Mecklenburg besteht das Recht, zum Betrieb
der den Reichstag betreffenden Wahlangelegenheiten Vereine zu bilden und
in geschlossenen Räumen unbewaffnete öffentliche Versammlungen zu veran¬
stalten. Dieses Recht gründet sich auf den Z. 17 des durch den Kriegszu¬
stand nicht aufgehobenen Wahlgesetzes für den Reichstag, und mit dieser Be¬
stimmung ist es, so lange nicht die Suspension der Gesetze über das Ver¬
sammlungsrecht ausdrücklich und in der vorgeschriebenen Form allgemein
ausgesprochen ist, nicht vereinbar, wenn einer auch noch so kleinen Partei das
Versammlungsrecht für die Dauer des Knegszustandes absolut entzogen wird.

Können hiernach diese Verfügungen und die noch tiefer einschneidenden,
durch welche ohne nachfolgendes gerichtliches Verfahren einzelne Personen zur
Haft gebracht oder internirt worden sind, nicht für die Anwendung einer
aus dem preußischen Gesetz über den Belagerungszustand abgeleiteten Befug¬
niß erachtet werden, so haben dieselben ebensowenig Anspruch daraus, als
ein politisch nützliches oder nothwendiges Werk zu gelten. Die Beobachtung
der gesetzlichen Form wird dem politischen Interesse niemals schaden können,
dagegen wird eine Abweichung von derselben niemals das Wohl des Ganzen
und die patriotische Gesinnung fördern. Vollends aber dem Feinde gegen¬
über kann es keinen Gewinn bringen, wenn auf dem Gebiete der inneren
Politik nur solche Aeußerungen in Worten und Thaten Duldung erfahren,
welche dem militärischen Machthaber genehm sind. Vielmehr wird der Feind
aus der Unterdrückung der von dem General-Gouverneur für unpatriotisch
erachteten Ansichten und Bestrebungen, wie wenig Beifall dieselben auch ver¬
dienen mögen, gerade den Schluß ziehen, daß die unterdrückte Partei bedeu¬
tender und einflußreicher sei, als sie es in Wirklichkeit ist. Durch die Unter¬
drückung der einen Kundgebung wird gerade der Werth der entgegenstehenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/319>, abgerufen am 23.12.2024.