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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Gar nicht für dieselbe bestimmt ist trotz seiner dramatischen Form der
"Merlin", die Tragödie des Widerspruchs, aber kaum eines seiner Werke ist so
unmittelbar aus der Tiefe seiner Natur gequollen. Der Dualismus der
idealen Sehnsucht nach den höchsten Zielen der Menschheit und der Ver¬
suchungen des natürlichen Menschen, welcher im Dichter selbst so schwer
kämpfte, wird hier in einer Mythenwelt dargestellt, welche alles in sich schließt,
was unser Geschlecht an Räthseln und Fragen über den letzten Zusammen¬
hang der Dinge in sich schließt. Es mühte somit ein andrer Faust werden,
wie ihn auch Geibel genannt hat, aber ungleich der Goethe'schen Schöpfung
wird der Merlin nur auf eine kleine Gemeinde beschränkt bleiben. Goethe
behandelte seinen Stoff mit der glücklichsten Benutzung volksthümlicher Ge¬
stalten, als er selbst schon sich zur innern Klarheit durchgerungen halte, der
Merlin trägt die dunkeln Lehren der Gnostiker und Sabelltaner in die bunte
Fabelwelt der celtischen Sagenkreise, die außer den Gelehrten kaum bekannt
sind, und weil der Dichter selbst die Lösung des Räthsels, in das er sich ver¬
senkt, noch nicht gefunden, so kann auch die Dichtung zu keiner innern Klar¬
heit gelangen, sondern bewegt sich in aphoristischer Behandlung einer Ueber¬
fülle von sinnlichen Anschauungen; darum müssen auch die Versuche, das
Gedicht zu erklären, scheitern. Aber für alle die, welche über die letzten Fragen
und Geheimnisse des Lebens nachzusinnen sich die Mühe geben, bietet der Merlin
eine Fundgrube, nicht nur von großen poetischen Schönheiten, sondern von
tiefen Gedanken. Wäre es dem Dichter vergönnt gewesen, in spätern Jahren
den Merlin umzuarbeiten, so hätte bei der wachsenden Klarheit seiner reli¬
giösen Anschauungen die Dichtung unendlich gewinnen müssen.

Immermann stand dem positiven Kirchenthum ferne, das ihn durch die
Schaalheit des herrschenden Rationalismus abstieß, aber er war doch eine
positiv-religiöse Natur und seine Entwicklung schritt in dieser Richtung fort,
das zeigen die mitgetheilten späteren Briefe an seinen Bruder und an seine
Braut unwiderleglich. Eben so war er in der Politik, soweit er sich mit ihr
beschäftigte, viel eher konservativ als liberal, oder doch jedenfalls in gutem
Sinne ein liberaler Aristokrat.

Die altpreußischen Traditionen hatten in ihm einen lebhaften Staatssinn
großgezogen, kopfschüttelnd sah er der liberalen Agitation mancher Freunde
in den kleinen Ständekammern zu und meinte, dadurch müsse alle Autorität
zerrieben werden. Manche seiner Urtheile über die süddeutschen Zustände
im Reisejournal waren zu scharf, sogar ungerecht, aber im Großen und Gan¬
zen halten wir noch heute seine Anschauung für richtig. Er war ein freige¬
borener Mann, hoch über jedem Servilismus, und strenge Worte finden sich
in seinen Tagebüchern über die Stagnation der letzten 20 Jahre von Frie¬
drich Wilhelms III. Regierung, die kleinlich alles eigentliche Leben unter-


Gar nicht für dieselbe bestimmt ist trotz seiner dramatischen Form der
„Merlin", die Tragödie des Widerspruchs, aber kaum eines seiner Werke ist so
unmittelbar aus der Tiefe seiner Natur gequollen. Der Dualismus der
idealen Sehnsucht nach den höchsten Zielen der Menschheit und der Ver¬
suchungen des natürlichen Menschen, welcher im Dichter selbst so schwer
kämpfte, wird hier in einer Mythenwelt dargestellt, welche alles in sich schließt,
was unser Geschlecht an Räthseln und Fragen über den letzten Zusammen¬
hang der Dinge in sich schließt. Es mühte somit ein andrer Faust werden,
wie ihn auch Geibel genannt hat, aber ungleich der Goethe'schen Schöpfung
wird der Merlin nur auf eine kleine Gemeinde beschränkt bleiben. Goethe
behandelte seinen Stoff mit der glücklichsten Benutzung volksthümlicher Ge¬
stalten, als er selbst schon sich zur innern Klarheit durchgerungen halte, der
Merlin trägt die dunkeln Lehren der Gnostiker und Sabelltaner in die bunte
Fabelwelt der celtischen Sagenkreise, die außer den Gelehrten kaum bekannt
sind, und weil der Dichter selbst die Lösung des Räthsels, in das er sich ver¬
senkt, noch nicht gefunden, so kann auch die Dichtung zu keiner innern Klar¬
heit gelangen, sondern bewegt sich in aphoristischer Behandlung einer Ueber¬
fülle von sinnlichen Anschauungen; darum müssen auch die Versuche, das
Gedicht zu erklären, scheitern. Aber für alle die, welche über die letzten Fragen
und Geheimnisse des Lebens nachzusinnen sich die Mühe geben, bietet der Merlin
eine Fundgrube, nicht nur von großen poetischen Schönheiten, sondern von
tiefen Gedanken. Wäre es dem Dichter vergönnt gewesen, in spätern Jahren
den Merlin umzuarbeiten, so hätte bei der wachsenden Klarheit seiner reli¬
giösen Anschauungen die Dichtung unendlich gewinnen müssen.

Immermann stand dem positiven Kirchenthum ferne, das ihn durch die
Schaalheit des herrschenden Rationalismus abstieß, aber er war doch eine
positiv-religiöse Natur und seine Entwicklung schritt in dieser Richtung fort,
das zeigen die mitgetheilten späteren Briefe an seinen Bruder und an seine
Braut unwiderleglich. Eben so war er in der Politik, soweit er sich mit ihr
beschäftigte, viel eher konservativ als liberal, oder doch jedenfalls in gutem
Sinne ein liberaler Aristokrat.

Die altpreußischen Traditionen hatten in ihm einen lebhaften Staatssinn
großgezogen, kopfschüttelnd sah er der liberalen Agitation mancher Freunde
in den kleinen Ständekammern zu und meinte, dadurch müsse alle Autorität
zerrieben werden. Manche seiner Urtheile über die süddeutschen Zustände
im Reisejournal waren zu scharf, sogar ungerecht, aber im Großen und Gan¬
zen halten wir noch heute seine Anschauung für richtig. Er war ein freige¬
borener Mann, hoch über jedem Servilismus, und strenge Worte finden sich
in seinen Tagebüchern über die Stagnation der letzten 20 Jahre von Frie¬
drich Wilhelms III. Regierung, die kleinlich alles eigentliche Leben unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/295>, abgerufen am 23.12.2024.