Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.später allzu scharf, indem er den Hohenstaufen das dramatische Blut ab¬ Das letzte historische Trauerspiel Immermann's ist die Trilogie "Alexis". später allzu scharf, indem er den Hohenstaufen das dramatische Blut ab¬ Das letzte historische Trauerspiel Immermann's ist die Trilogie „Alexis". <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125000"/> <p xml:id="ID_893" prev="#ID_892"> später allzu scharf, indem er den Hohenstaufen das dramatische Blut ab¬<lb/> sprach, aber gerade Friedrich scheint uns für eine Darstellung des großen,<lb/> echt dramatischen Kampfes der zwei Schwerter sehr geeignet. „Die Hand¬<lb/> lung", sagt der Dichter in einem Briefe an M. Beer, „besteht in Friedrich<lb/> darin, daß der Kaiser durch seine Opposition gegen die Kirche und durch die<lb/> tiefere, dieser zum Grunde liegende, gegen die positiven Elemente, auf denen<lb/> die Welt beruht, die Welt verliert." Den Fehler des Stückes möchten wir<lb/> nun weniger mit der Biographie darin suchen, daß wir im Beginne den<lb/> Kaiser schon auf der Höhe finden, welche im Drama erst erreicht werden soll,<lb/> (auch im Wallenstein ist das der Fall) sondern darin, daß jene großen Gegen¬<lb/> sätze nicht mit der Intensität und Leidenschaft zur Darstellung gebracht sind,<lb/> welche uns erst wahres Interesse einflößen kann. Was Friedrich gegen die<lb/> Hierarchie vertritt, ist nicht die Selbständigkeit des Staates oder des Ge-<lb/> Wissens, sondern eine ziemlich matte Freigeisterei, die uns nicht begreisen läßt,<lb/> wie der Kaiser so Großes hat vollführen können, und die eben deshalb dra¬<lb/> matisch selbst der herrschsüchtigen Kirche gegenüber keine Berechtigung hat.<lb/> Der Cardinal seinerseits stellt nicht genug die Leidenschaft der Hierarchie dar,<lb/> wie sie sich in Innocenz verkörperte, sondern wirkt zu sehr aus Motiven des<lb/> persönlichen Ehrgeizes. Trotzdem steht der poetische Gehalt der Tragödie<lb/> hoch, denn er ruht auf einer großen Weltanschauung, die Charakteristik ist<lb/> tüchtig und mit zweckmäßiger Beschneidung des zu stark hervortretenden<lb/> oratorischen Elements würde das Drama auch noch heute auf der Bühne<lb/> Wirksam sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_894"> Das letzte historische Trauerspiel Immermann's ist die Trilogie „Alexis".<lb/> Von geistvoller Conception und großer Wirkung halten wir es trotz der<lb/> einzelnen hohen Schönheiten im Hauptpunkte für verfehlt und zwar aus einem<lb/> Grunde, den wir des Dichters eigenen Worten entnehmen. In einem Briefe<lb/> an Tieck bezeichnet er den Vorwurf des Alexis selbst als den eines unge¬<lb/> heuren Irrthums. „Aus Slaven, denen von jeher das geistig Zeugende fehlte,<lb/> will Peter der Große ein weltbestimmendes Volk machen, er bleibt selbst<lb/> ein Slave, dem die Aufgabe auf Nachahmung und Aneignung hinausläuft",<lb/> und setzen wir hinzu, er bleibt auch im Stücke selbst ein Barbar. Ein volles<lb/> dramatisches Interesse könnten wir für Peter nur haben, wenn der Dichter<lb/> ihn unsrer Anschauung mit ähnlich idealisirender Freiheit nahe gebracht hätte,<lb/> wie Schiller es mit dem Abenteurer Wallenstein gethan. Und dieser Bar¬<lb/> bar opfert den Sohn nicht um des Staates willen, sondern für ein diesem<lb/> aufgedrungnes fremdes Machwerk, dessen Nichtigkeit der Vater selbst sich nicht<lb/> verhehlt. Das ist unsrer Auffassung nach nicht dramatisch und deshalb<lb/> halten wir den Alexis, von der erschwerenden Gestalt der Trilogie abgesehen,<lb/> am wenigsten von Immermann's Stücken noch für die Bühne geeignet.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0294]
später allzu scharf, indem er den Hohenstaufen das dramatische Blut ab¬
sprach, aber gerade Friedrich scheint uns für eine Darstellung des großen,
echt dramatischen Kampfes der zwei Schwerter sehr geeignet. „Die Hand¬
lung", sagt der Dichter in einem Briefe an M. Beer, „besteht in Friedrich
darin, daß der Kaiser durch seine Opposition gegen die Kirche und durch die
tiefere, dieser zum Grunde liegende, gegen die positiven Elemente, auf denen
die Welt beruht, die Welt verliert." Den Fehler des Stückes möchten wir
nun weniger mit der Biographie darin suchen, daß wir im Beginne den
Kaiser schon auf der Höhe finden, welche im Drama erst erreicht werden soll,
(auch im Wallenstein ist das der Fall) sondern darin, daß jene großen Gegen¬
sätze nicht mit der Intensität und Leidenschaft zur Darstellung gebracht sind,
welche uns erst wahres Interesse einflößen kann. Was Friedrich gegen die
Hierarchie vertritt, ist nicht die Selbständigkeit des Staates oder des Ge-
Wissens, sondern eine ziemlich matte Freigeisterei, die uns nicht begreisen läßt,
wie der Kaiser so Großes hat vollführen können, und die eben deshalb dra¬
matisch selbst der herrschsüchtigen Kirche gegenüber keine Berechtigung hat.
Der Cardinal seinerseits stellt nicht genug die Leidenschaft der Hierarchie dar,
wie sie sich in Innocenz verkörperte, sondern wirkt zu sehr aus Motiven des
persönlichen Ehrgeizes. Trotzdem steht der poetische Gehalt der Tragödie
hoch, denn er ruht auf einer großen Weltanschauung, die Charakteristik ist
tüchtig und mit zweckmäßiger Beschneidung des zu stark hervortretenden
oratorischen Elements würde das Drama auch noch heute auf der Bühne
Wirksam sein.
Das letzte historische Trauerspiel Immermann's ist die Trilogie „Alexis".
Von geistvoller Conception und großer Wirkung halten wir es trotz der
einzelnen hohen Schönheiten im Hauptpunkte für verfehlt und zwar aus einem
Grunde, den wir des Dichters eigenen Worten entnehmen. In einem Briefe
an Tieck bezeichnet er den Vorwurf des Alexis selbst als den eines unge¬
heuren Irrthums. „Aus Slaven, denen von jeher das geistig Zeugende fehlte,
will Peter der Große ein weltbestimmendes Volk machen, er bleibt selbst
ein Slave, dem die Aufgabe auf Nachahmung und Aneignung hinausläuft",
und setzen wir hinzu, er bleibt auch im Stücke selbst ein Barbar. Ein volles
dramatisches Interesse könnten wir für Peter nur haben, wenn der Dichter
ihn unsrer Anschauung mit ähnlich idealisirender Freiheit nahe gebracht hätte,
wie Schiller es mit dem Abenteurer Wallenstein gethan. Und dieser Bar¬
bar opfert den Sohn nicht um des Staates willen, sondern für ein diesem
aufgedrungnes fremdes Machwerk, dessen Nichtigkeit der Vater selbst sich nicht
verhehlt. Das ist unsrer Auffassung nach nicht dramatisch und deshalb
halten wir den Alexis, von der erschwerenden Gestalt der Trilogie abgesehen,
am wenigsten von Immermann's Stücken noch für die Bühne geeignet.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |