Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.gelegte Natur paßte nicht zu ihrem leichten bunten Wesen; was bei Tieck, In diese Zeit fällt die Genesis eines Verhältnisses, welches für das Daher die mannigfachen sittlich verschrobenen Verhältnisse, in denen wir 36"
gelegte Natur paßte nicht zu ihrem leichten bunten Wesen; was bei Tieck, In diese Zeit fällt die Genesis eines Verhältnisses, welches für das Daher die mannigfachen sittlich verschrobenen Verhältnisse, in denen wir 36"
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0291" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124997"/> <p xml:id="ID_886" prev="#ID_885"> gelegte Natur paßte nicht zu ihrem leichten bunten Wesen; was bei Tieck,<lb/> Eichendorff u. A. als graziöser Uebermuth erschien, ward bei ihm schwerfällig<lb/> und barock. „Seinem Geiste fehlte das gaukelnde Spiel der Phantasie und<lb/> die naive Unbefangenheit, mit der Andere die Wirklichkeit übersahen und eine<lb/> Welt schufen, die wenigstens vorübergehend den Mangel einer gesunden<lb/> Basis zu verbergen wußte". Es ward aber recht eigentlich Aufgabe Immer-<lb/> mann's, aus der Romantik in die Poesie des concreten, realen Lebens htn-<lb/> überzuführen.</p><lb/> <p xml:id="ID_887"> In diese Zeit fällt die Genesis eines Verhältnisses, welches für das<lb/> Leben und die Entwickelung des Dichters von entscheidenden Einfluß ge¬<lb/> worden. „Ein Schleier legt sich über ihn, seine Stellung zu Welt und Men¬<lb/> schen, seine Anschauungen sind verändert, ein Zwiespalt tritt in sein Wesen,<lb/> der bald schwächer, bald schroffer sich zeigt und erst in seinen letzten Lebens¬<lb/> jahren in schöne Harmonie aufgelöst verschwindet." Es ist das Verhältniß<lb/> Immermann's zu Elise von Lützow-Ahlefeldt, welches uns in einem der be-<lb/> deutendsten Capitel des Buches zum erstenmale authentisch dargelegt wird,<lb/> nachdem es wiederholt durch unberufene Hand in einer Weise geschildert war,<lb/> die weder der wahren Bedeutung der Gräfin noch dem Charakter des Dichters<lb/> gerecht ward. Das Verhältniß gehörte jener Periode der Romantik an, in<lb/> welcher die Willkür der Subjektivität die Anschauungen einer geistreichen, aber<lb/> Phantastischen Literatur und Philosophie auf das wirkliche Leben übertrug,<lb/> mit dessen sittlichen Mächten sie dann in harten Conflict kommen mußte.<lb/> Dazu hatten große Welteretgnisse die gewöhnlichen Verhältnisse erschüttert,<lb/> das Ungewöhnliche war oft das Berechtigte geworden, aber man erkannte<lb/> nicht, daß solche Zustände nur eine ausnahmsweise Berechtigung haben könnten<lb/> und mit dem Einlenken der Welt in die Bahnen des Alltagslebens abnorm<lb/> wurden.</p><lb/> <p xml:id="ID_888" next="#ID_889"> Daher die mannigfachen sittlich verschrobenen Verhältnisse, in denen wir<lb/> hervorragenden Personen der romantischen Epoche begegnen. Zu ihnen ge¬<lb/> hörte Elise v. Ahlefeldt. Unter unerquicklichen Verhältnissen aufgewachsen,<lb/> hatte sie sich in patriotischer Begeisterung mit dem viel älteren General<lb/> v. Lützow verwählt und ward dessen Begleiterin in allen kühnen Abenteuern<lb/> jener großen Zeit, deren Aufreflungen sie darüber täuschten, daß ihrer kinder¬<lb/> losen Ehe der tiefere Inhalt fehle. Erst in der Ruhe des Friedens, in der<lb/> Oede des Garnisonlebens ging ihr dies Bewußtsein in wachsender Herbigkeit<lb/> auf, sie fühlte, daß der Mann, an den sie sich gekettet, die eigentlichen Be¬<lb/> dürfnisse ihres Wesens nicht verstehe, und versank in trübe Schwermuth-<lb/> Da begegnete sie dem jungen Dichter, der als Auditeur nach Münster ge¬<lb/> kommen war, sie fand in ihm die schmerzlich entbehrte Anregung, er in ihr<lb/> das Verständniß einer seinen und hohen weiblichen Natur, nach welchem er</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 36"</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0291]
gelegte Natur paßte nicht zu ihrem leichten bunten Wesen; was bei Tieck,
Eichendorff u. A. als graziöser Uebermuth erschien, ward bei ihm schwerfällig
und barock. „Seinem Geiste fehlte das gaukelnde Spiel der Phantasie und
die naive Unbefangenheit, mit der Andere die Wirklichkeit übersahen und eine
Welt schufen, die wenigstens vorübergehend den Mangel einer gesunden
Basis zu verbergen wußte". Es ward aber recht eigentlich Aufgabe Immer-
mann's, aus der Romantik in die Poesie des concreten, realen Lebens htn-
überzuführen.
In diese Zeit fällt die Genesis eines Verhältnisses, welches für das
Leben und die Entwickelung des Dichters von entscheidenden Einfluß ge¬
worden. „Ein Schleier legt sich über ihn, seine Stellung zu Welt und Men¬
schen, seine Anschauungen sind verändert, ein Zwiespalt tritt in sein Wesen,
der bald schwächer, bald schroffer sich zeigt und erst in seinen letzten Lebens¬
jahren in schöne Harmonie aufgelöst verschwindet." Es ist das Verhältniß
Immermann's zu Elise von Lützow-Ahlefeldt, welches uns in einem der be-
deutendsten Capitel des Buches zum erstenmale authentisch dargelegt wird,
nachdem es wiederholt durch unberufene Hand in einer Weise geschildert war,
die weder der wahren Bedeutung der Gräfin noch dem Charakter des Dichters
gerecht ward. Das Verhältniß gehörte jener Periode der Romantik an, in
welcher die Willkür der Subjektivität die Anschauungen einer geistreichen, aber
Phantastischen Literatur und Philosophie auf das wirkliche Leben übertrug,
mit dessen sittlichen Mächten sie dann in harten Conflict kommen mußte.
Dazu hatten große Welteretgnisse die gewöhnlichen Verhältnisse erschüttert,
das Ungewöhnliche war oft das Berechtigte geworden, aber man erkannte
nicht, daß solche Zustände nur eine ausnahmsweise Berechtigung haben könnten
und mit dem Einlenken der Welt in die Bahnen des Alltagslebens abnorm
wurden.
Daher die mannigfachen sittlich verschrobenen Verhältnisse, in denen wir
hervorragenden Personen der romantischen Epoche begegnen. Zu ihnen ge¬
hörte Elise v. Ahlefeldt. Unter unerquicklichen Verhältnissen aufgewachsen,
hatte sie sich in patriotischer Begeisterung mit dem viel älteren General
v. Lützow verwählt und ward dessen Begleiterin in allen kühnen Abenteuern
jener großen Zeit, deren Aufreflungen sie darüber täuschten, daß ihrer kinder¬
losen Ehe der tiefere Inhalt fehle. Erst in der Ruhe des Friedens, in der
Oede des Garnisonlebens ging ihr dies Bewußtsein in wachsender Herbigkeit
auf, sie fühlte, daß der Mann, an den sie sich gekettet, die eigentlichen Be¬
dürfnisse ihres Wesens nicht verstehe, und versank in trübe Schwermuth-
Da begegnete sie dem jungen Dichter, der als Auditeur nach Münster ge¬
kommen war, sie fand in ihm die schmerzlich entbehrte Anregung, er in ihr
das Verständniß einer seinen und hohen weiblichen Natur, nach welchem er
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