Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.Vorlesungen über deutsche Geschichte, es war ein Aufleben von Tag zu Tag, Ich habe schon oben darauf hingedeutet, was Tausenden bekannt ist, Vorlesungen über deutsche Geschichte, es war ein Aufleben von Tag zu Tag, Ich habe schon oben darauf hingedeutet, was Tausenden bekannt ist, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0269" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124975"/> <p xml:id="ID_830" prev="#ID_829"> Vorlesungen über deutsche Geschichte, es war ein Aufleben von Tag zu Tag,<lb/> wie im Frühjahr, wenn man ihm folgte aus dem Elend des dreißigjährigen<lb/> Krieges durch die Zeiten des großen Kurfürsten und Friedrich's des Großen<lb/> bis zu den Freiheitskriegen, Und so sind die trüben Worte, mit denen er<lb/> am Schlüsse seines Werkes die Gründung des deutschen Bundes begleitet,<lb/> doch angeflogen von einem Morgenschimmer der Hoffnung, daß dies nicht<lb/> das Ende sein könne unseres Aufsteigens, einer Hoffnung, die ins Dasein zu<lb/> führen er als politischer Mann sein Lebelang weidlich sich abgemüht hat.<lb/> Das Gezücht seiner ultramontanen Feinde hat sich einst erfrecht, ihn einen<lb/> „Geschichtsmacher des Nationalvereins" zu schelten. Die Armseligen wußten<lb/> nicht, welche Wahrheit in dieser Lästerung verborgen lag. Als Geschicht¬<lb/> schreiber war er von der lautersten Redlichkeit beseelt, er hat Preußen wahr¬<lb/> lich nicht geschont, wo es keine Schonung verdiente. Aber die Wirklichkeit,<lb/> in der wir heut leben, die dereinst vielleicht den Glanzpunkt unserer natio¬<lb/> nalen Geschichte bilden wird, ist an seinem Theile auch sein Machwerk,<lb/> so gut wie'anderer tapferer Geister, die hinweggenommen sind, eh' sie es<lb/> schauen durften. Dafür hat er geredet und gehandelt, dafür hat er auch ge¬<lb/> schrieben, und nachdem seine mächtige Stimme verstummt ist, der seine Feder<lb/> es freilich nicht gleich thut, mögen doch seine Schriften noch weiter dazu<lb/> wirken, vornehmlich in sittlicher Erziehung der Jugend. Man pflegt auf un¬<lb/> seren höheren Lehranstalten wohl scheidenden fleißigen Schülern Ranke's<lb/> deutsche Geschichte zur Belohnung mitzugeben. Behüte, daß es abkäme, wie¬<lb/> wohl sie immer einen reifen Geist erfordert; aber wir legen den Lehrer-<lb/> collegien dringend ans Herz, die Hauffer'sche Geschichte daneben auszutheilen;<lb/> selbst der klägliche äußere Grund spricht dafür, daß diese moderne Zeit ge¬<lb/> wöhnlich im letzten Drange des Vortrags übers Knie gebrochen wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_831" next="#ID_832"> Ich habe schon oben darauf hingedeutet, was Tausenden bekannt ist,<lb/> daß Hauffer als Redner, man möchte sagen, als Rhapsode — so frei, so einfach<lb/> gewaltig, ergoß sich der Strom seiner Sprache — weit größer gewesen, denn als<lb/> historischer Schriftsteller. Wie dankenswert!) war es daher, daß vor drei<lb/> und zwei Jahren sein treuer Schüler Wilhelm Oncken es unternahm, seine<lb/> glänzenden und gehaltreichen Vorlesungen über die französische Revolution<lb/> und über das Reformationszeitalter in reiner Gestalt durch den Druck vorm<lb/> Untergange zu bewahren! Daß sie auch so in todter Schrift weder der Be¬<lb/> deutung noch des Reizes entbehren, beweist der Beifall, mit dem sie allent¬<lb/> halben aufgenommen worden, Ich vermag darüber kaum zu urtheilen, denn<lb/> wer ihn selber gehört hat, sür den ist diese Lectüre ein Fest der Erinnerung;<lb/> immer erblick' ich bei diesen Worten die wuchtige Gestalt in ihrer ruhigen<lb/> Haltung, die schwere und doch klare Stirn, die Augen, die so streng und so freund¬<lb/> lich dreinschauen konnten und den Mund, dem, wie derb und unedel er auch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0269]
Vorlesungen über deutsche Geschichte, es war ein Aufleben von Tag zu Tag,
wie im Frühjahr, wenn man ihm folgte aus dem Elend des dreißigjährigen
Krieges durch die Zeiten des großen Kurfürsten und Friedrich's des Großen
bis zu den Freiheitskriegen, Und so sind die trüben Worte, mit denen er
am Schlüsse seines Werkes die Gründung des deutschen Bundes begleitet,
doch angeflogen von einem Morgenschimmer der Hoffnung, daß dies nicht
das Ende sein könne unseres Aufsteigens, einer Hoffnung, die ins Dasein zu
führen er als politischer Mann sein Lebelang weidlich sich abgemüht hat.
Das Gezücht seiner ultramontanen Feinde hat sich einst erfrecht, ihn einen
„Geschichtsmacher des Nationalvereins" zu schelten. Die Armseligen wußten
nicht, welche Wahrheit in dieser Lästerung verborgen lag. Als Geschicht¬
schreiber war er von der lautersten Redlichkeit beseelt, er hat Preußen wahr¬
lich nicht geschont, wo es keine Schonung verdiente. Aber die Wirklichkeit,
in der wir heut leben, die dereinst vielleicht den Glanzpunkt unserer natio¬
nalen Geschichte bilden wird, ist an seinem Theile auch sein Machwerk,
so gut wie'anderer tapferer Geister, die hinweggenommen sind, eh' sie es
schauen durften. Dafür hat er geredet und gehandelt, dafür hat er auch ge¬
schrieben, und nachdem seine mächtige Stimme verstummt ist, der seine Feder
es freilich nicht gleich thut, mögen doch seine Schriften noch weiter dazu
wirken, vornehmlich in sittlicher Erziehung der Jugend. Man pflegt auf un¬
seren höheren Lehranstalten wohl scheidenden fleißigen Schülern Ranke's
deutsche Geschichte zur Belohnung mitzugeben. Behüte, daß es abkäme, wie¬
wohl sie immer einen reifen Geist erfordert; aber wir legen den Lehrer-
collegien dringend ans Herz, die Hauffer'sche Geschichte daneben auszutheilen;
selbst der klägliche äußere Grund spricht dafür, daß diese moderne Zeit ge¬
wöhnlich im letzten Drange des Vortrags übers Knie gebrochen wird.
Ich habe schon oben darauf hingedeutet, was Tausenden bekannt ist,
daß Hauffer als Redner, man möchte sagen, als Rhapsode — so frei, so einfach
gewaltig, ergoß sich der Strom seiner Sprache — weit größer gewesen, denn als
historischer Schriftsteller. Wie dankenswert!) war es daher, daß vor drei
und zwei Jahren sein treuer Schüler Wilhelm Oncken es unternahm, seine
glänzenden und gehaltreichen Vorlesungen über die französische Revolution
und über das Reformationszeitalter in reiner Gestalt durch den Druck vorm
Untergange zu bewahren! Daß sie auch so in todter Schrift weder der Be¬
deutung noch des Reizes entbehren, beweist der Beifall, mit dem sie allent¬
halben aufgenommen worden, Ich vermag darüber kaum zu urtheilen, denn
wer ihn selber gehört hat, sür den ist diese Lectüre ein Fest der Erinnerung;
immer erblick' ich bei diesen Worten die wuchtige Gestalt in ihrer ruhigen
Haltung, die schwere und doch klare Stirn, die Augen, die so streng und so freund¬
lich dreinschauen konnten und den Mund, dem, wie derb und unedel er auch
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