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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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schädlich erkannt worden. Die Gewohnheit, die gewohnheitsmäßige An¬
schauung spielt im Recht ebenfalls eine Rolle. Dies sind aber Bedenken,
die im einzelnen Fall zu erörtern, die nicht gegen die vorschwebende Einrich¬
tung im Allgemeinen zu erheben sind. Das wider diese sprechende Bedenken,
der einheitlichenden Richtung geschehe zu sehr Abbruch, wird vielfach aufge^
stellt, eifrig vertreten werden, es ist jedoch in dieser Allgemeinheit nicht für
stichhaltig anzusehen. Nur um einzelstaatliche Besonderheiten, die den leiten¬
den Bundesinteressen nicht entgegenstehen, soll es sich handeln, nicht um
solche, die den Zweck des Bundes nichtig machen oder doch abschwächen.

Wie bei der norddeutschen Gesetzgebung werden die gesetzgebenden Fac-
toren des Bundes ausschließlich über Zulassung oder Nichtzulassung von Be¬
sonderheiten zu befinden haben. Hierin liegt das bestimmende Merkmal der
vorschwebenden Einrichtung, die sich streng innerhalb der Bundessphäre hält
und für keinen außer dem Bunde stehenden Einfluß Platz läßt. Dieselben
Factoren, welche die Vundesgesetze beschließen, beschließen auch, was von diesen
Gesetzen unberührt oder der Einzelregierung vorbehalten sein soll. Die Wah¬
rung des Bundesinteresses ist von selbst gegeben, aber auch die Wahrung
der Einzelstaatsinteressen wird vermöge der Bildung und Zusammensetzung
der Bundesfacroren gesichert. Wer sagt, daß bei diesen die einheitlichende
Richtung zu stark vertreten sei und für die Einzelstaatsinteressen kein hin¬
reichender Spielraum mehr übrig bleibt, mag sich durch die norddeutschen
Fälle eines besseren belehren lassen. Mit der allgemeinen Behauptung des
Gegentheils ist nichts bewiesen. Für einen Staat wie Bayern scheint es
aber nicht zu genügen, daß ihm die Möglichkeit zur Erhaltung von Beson¬
derheiten seiner Gesetzgebung eröffnet wird, für ihn scheint ein greifbares
Recht, ein Antragsrecht, um es so zu nennen, erforderlich zu sein. Ohne die
Bedeutung eines solchen Rechts überschätzen zu wollen, kann darin ein Aus-
kunftsmittel, das über die Schwierigkeiten der Lage hinweg hilft, gefunden
werden.

Das Antragsrecht würde den Sinn haben, daß die bayrische Regierung,
sei es unter oder ohne Mitwirkung des Landtags, an die Bunoesfaetoren
den förmlichen Antrag zu richten berechtigt wäre, ein bestimmtes Bundes^
gesetz, sei es ganz oder theilweise, sei es für das ganze Königreich oder für
die altbayerischen Landestheile für nichtbestehend zu erklären, mit anderen
Worten Bayern von der Rechtseir.heit des Bundes insoweit auszuschließen.
Betrachten wir die Einzelheiten, um ein Urtheil über das Recht zu ge¬
winnen.

Das Recht der Antragstellung würde weder ein Forderungsrecht noch
eine Zusicherung der Gewährung enthalten. Kein Forderungsrecht, denn der
Antrag würde keine Anwartschaft auf Gewährung in sich schließen, keine Zu-


schädlich erkannt worden. Die Gewohnheit, die gewohnheitsmäßige An¬
schauung spielt im Recht ebenfalls eine Rolle. Dies sind aber Bedenken,
die im einzelnen Fall zu erörtern, die nicht gegen die vorschwebende Einrich¬
tung im Allgemeinen zu erheben sind. Das wider diese sprechende Bedenken,
der einheitlichenden Richtung geschehe zu sehr Abbruch, wird vielfach aufge^
stellt, eifrig vertreten werden, es ist jedoch in dieser Allgemeinheit nicht für
stichhaltig anzusehen. Nur um einzelstaatliche Besonderheiten, die den leiten¬
den Bundesinteressen nicht entgegenstehen, soll es sich handeln, nicht um
solche, die den Zweck des Bundes nichtig machen oder doch abschwächen.

Wie bei der norddeutschen Gesetzgebung werden die gesetzgebenden Fac-
toren des Bundes ausschließlich über Zulassung oder Nichtzulassung von Be¬
sonderheiten zu befinden haben. Hierin liegt das bestimmende Merkmal der
vorschwebenden Einrichtung, die sich streng innerhalb der Bundessphäre hält
und für keinen außer dem Bunde stehenden Einfluß Platz läßt. Dieselben
Factoren, welche die Vundesgesetze beschließen, beschließen auch, was von diesen
Gesetzen unberührt oder der Einzelregierung vorbehalten sein soll. Die Wah¬
rung des Bundesinteresses ist von selbst gegeben, aber auch die Wahrung
der Einzelstaatsinteressen wird vermöge der Bildung und Zusammensetzung
der Bundesfacroren gesichert. Wer sagt, daß bei diesen die einheitlichende
Richtung zu stark vertreten sei und für die Einzelstaatsinteressen kein hin¬
reichender Spielraum mehr übrig bleibt, mag sich durch die norddeutschen
Fälle eines besseren belehren lassen. Mit der allgemeinen Behauptung des
Gegentheils ist nichts bewiesen. Für einen Staat wie Bayern scheint es
aber nicht zu genügen, daß ihm die Möglichkeit zur Erhaltung von Beson¬
derheiten seiner Gesetzgebung eröffnet wird, für ihn scheint ein greifbares
Recht, ein Antragsrecht, um es so zu nennen, erforderlich zu sein. Ohne die
Bedeutung eines solchen Rechts überschätzen zu wollen, kann darin ein Aus-
kunftsmittel, das über die Schwierigkeiten der Lage hinweg hilft, gefunden
werden.

Das Antragsrecht würde den Sinn haben, daß die bayrische Regierung,
sei es unter oder ohne Mitwirkung des Landtags, an die Bunoesfaetoren
den förmlichen Antrag zu richten berechtigt wäre, ein bestimmtes Bundes^
gesetz, sei es ganz oder theilweise, sei es für das ganze Königreich oder für
die altbayerischen Landestheile für nichtbestehend zu erklären, mit anderen
Worten Bayern von der Rechtseir.heit des Bundes insoweit auszuschließen.
Betrachten wir die Einzelheiten, um ein Urtheil über das Recht zu ge¬
winnen.

Das Recht der Antragstellung würde weder ein Forderungsrecht noch
eine Zusicherung der Gewährung enthalten. Kein Forderungsrecht, denn der
Antrag würde keine Anwartschaft auf Gewährung in sich schließen, keine Zu-


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[0264] schädlich erkannt worden. Die Gewohnheit, die gewohnheitsmäßige An¬ schauung spielt im Recht ebenfalls eine Rolle. Dies sind aber Bedenken, die im einzelnen Fall zu erörtern, die nicht gegen die vorschwebende Einrich¬ tung im Allgemeinen zu erheben sind. Das wider diese sprechende Bedenken, der einheitlichenden Richtung geschehe zu sehr Abbruch, wird vielfach aufge^ stellt, eifrig vertreten werden, es ist jedoch in dieser Allgemeinheit nicht für stichhaltig anzusehen. Nur um einzelstaatliche Besonderheiten, die den leiten¬ den Bundesinteressen nicht entgegenstehen, soll es sich handeln, nicht um solche, die den Zweck des Bundes nichtig machen oder doch abschwächen. Wie bei der norddeutschen Gesetzgebung werden die gesetzgebenden Fac- toren des Bundes ausschließlich über Zulassung oder Nichtzulassung von Be¬ sonderheiten zu befinden haben. Hierin liegt das bestimmende Merkmal der vorschwebenden Einrichtung, die sich streng innerhalb der Bundessphäre hält und für keinen außer dem Bunde stehenden Einfluß Platz läßt. Dieselben Factoren, welche die Vundesgesetze beschließen, beschließen auch, was von diesen Gesetzen unberührt oder der Einzelregierung vorbehalten sein soll. Die Wah¬ rung des Bundesinteresses ist von selbst gegeben, aber auch die Wahrung der Einzelstaatsinteressen wird vermöge der Bildung und Zusammensetzung der Bundesfacroren gesichert. Wer sagt, daß bei diesen die einheitlichende Richtung zu stark vertreten sei und für die Einzelstaatsinteressen kein hin¬ reichender Spielraum mehr übrig bleibt, mag sich durch die norddeutschen Fälle eines besseren belehren lassen. Mit der allgemeinen Behauptung des Gegentheils ist nichts bewiesen. Für einen Staat wie Bayern scheint es aber nicht zu genügen, daß ihm die Möglichkeit zur Erhaltung von Beson¬ derheiten seiner Gesetzgebung eröffnet wird, für ihn scheint ein greifbares Recht, ein Antragsrecht, um es so zu nennen, erforderlich zu sein. Ohne die Bedeutung eines solchen Rechts überschätzen zu wollen, kann darin ein Aus- kunftsmittel, das über die Schwierigkeiten der Lage hinweg hilft, gefunden werden. Das Antragsrecht würde den Sinn haben, daß die bayrische Regierung, sei es unter oder ohne Mitwirkung des Landtags, an die Bunoesfaetoren den förmlichen Antrag zu richten berechtigt wäre, ein bestimmtes Bundes^ gesetz, sei es ganz oder theilweise, sei es für das ganze Königreich oder für die altbayerischen Landestheile für nichtbestehend zu erklären, mit anderen Worten Bayern von der Rechtseir.heit des Bundes insoweit auszuschließen. Betrachten wir die Einzelheiten, um ein Urtheil über das Recht zu ge¬ winnen. Das Recht der Antragstellung würde weder ein Forderungsrecht noch eine Zusicherung der Gewährung enthalten. Kein Forderungsrecht, denn der Antrag würde keine Anwartschaft auf Gewährung in sich schließen, keine Zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/264>, abgerufen am 23.12.2024.