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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Scharnhorst in Menin.*)

Die Capitulationen von Sedan und Metz finden in der Geschichte aller
Völker und aller Zeiten nicht ihres Gleichen.

Wohl aber hat uns die Geschichte einer Alles in Allem für Deutschland
leider wenig ehrenvollen Periode doch ein ruhmreiches Beispiel aufbewahrt
von dem Heldenmuth eines echt deutschen Mannes, der in viel engerem
Rahmen zwar, doch unter der Wucht ebenso verzweifelter Verhältnisse, wie
ihnen Mac Mahon in Sedan oder Bazaine in Metz erlag, dennoch durch
weisen Rath und entschlossene Energie das äußerste, schmählichste Unheil der
Kriegsgefangenschaft von sich und den Seinen abzuwenden wußte.

Dieser Mann war Scharnhorst, der Bauernsohn von Bordenau, der
todesmuthige Vorkämpfer Preußens bei Lützen, der geniale Schöpfer der
preußischen Wehrkraft, dem auch an den heutigen glänzenden Erfolgen der
deutschen Waffen sein redlicher Ruhmesantheil gebührt und auf dessen glor¬
reiche That gerade unter den heutigen Verhältnissen ein kurzer Rückblick loh¬
nend erscheint. -- Den Feldzug von 1793 hatte die französische Republik
mit abwechselndem Erfolge gegen die von England ins Leben gerufene erste
Koalition geführt. Die Alliirten nahmen zwar Valenciennes, welches Fer-
rand heldenmüthig vertheidigte, und Quesnoy, verloren aber die Schlachten
von Hondschoote und Wattignies und mußten die vom Herzog von Uork im
engherzig englischen Interesse mit ganz unzulänglichen Mitteln unternommene
Belagerung von Dünkirchen wieder aufgeben. Im großen Ganzen hatte sich
die regellos wilde Kriegführung der Franzosen der allzu langsamen, pedan¬
tischen und steifzopsigen Strategie der Alliirten unstreitig überlegen gezeigt. Frei¬
lich war der schöne alte Wahlspruch: Vainers on mourii! von der Armee
der Republik längst in: Viuuore on eouiir! carikirt worden; denn nach
jedem mißlungenen Schlage liefen die jungen, undisciplinirten Soldaten, die
eben noch im Siege so todesmuthige Begeisterung an den Tag gelegt, regi¬
menterweise und unaufhaltsam in die Heimath. Der Convent aber verstand



") Im Detail theilweise nach dem handschriftlichen Kriegstagebuche eines der Belagerten.
Grenzboten IV. 1L70. 81
Scharnhorst in Menin.*)

Die Capitulationen von Sedan und Metz finden in der Geschichte aller
Völker und aller Zeiten nicht ihres Gleichen.

Wohl aber hat uns die Geschichte einer Alles in Allem für Deutschland
leider wenig ehrenvollen Periode doch ein ruhmreiches Beispiel aufbewahrt
von dem Heldenmuth eines echt deutschen Mannes, der in viel engerem
Rahmen zwar, doch unter der Wucht ebenso verzweifelter Verhältnisse, wie
ihnen Mac Mahon in Sedan oder Bazaine in Metz erlag, dennoch durch
weisen Rath und entschlossene Energie das äußerste, schmählichste Unheil der
Kriegsgefangenschaft von sich und den Seinen abzuwenden wußte.

Dieser Mann war Scharnhorst, der Bauernsohn von Bordenau, der
todesmuthige Vorkämpfer Preußens bei Lützen, der geniale Schöpfer der
preußischen Wehrkraft, dem auch an den heutigen glänzenden Erfolgen der
deutschen Waffen sein redlicher Ruhmesantheil gebührt und auf dessen glor¬
reiche That gerade unter den heutigen Verhältnissen ein kurzer Rückblick loh¬
nend erscheint. — Den Feldzug von 1793 hatte die französische Republik
mit abwechselndem Erfolge gegen die von England ins Leben gerufene erste
Koalition geführt. Die Alliirten nahmen zwar Valenciennes, welches Fer-
rand heldenmüthig vertheidigte, und Quesnoy, verloren aber die Schlachten
von Hondschoote und Wattignies und mußten die vom Herzog von Uork im
engherzig englischen Interesse mit ganz unzulänglichen Mitteln unternommene
Belagerung von Dünkirchen wieder aufgeben. Im großen Ganzen hatte sich
die regellos wilde Kriegführung der Franzosen der allzu langsamen, pedan¬
tischen und steifzopsigen Strategie der Alliirten unstreitig überlegen gezeigt. Frei¬
lich war der schöne alte Wahlspruch: Vainers on mourii! von der Armee
der Republik längst in: Viuuore on eouiir! carikirt worden; denn nach
jedem mißlungenen Schlage liefen die jungen, undisciplinirten Soldaten, die
eben noch im Siege so todesmuthige Begeisterung an den Tag gelegt, regi¬
menterweise und unaufhaltsam in die Heimath. Der Convent aber verstand



") Im Detail theilweise nach dem handschriftlichen Kriegstagebuche eines der Belagerten.
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[0249] Scharnhorst in Menin.*) Die Capitulationen von Sedan und Metz finden in der Geschichte aller Völker und aller Zeiten nicht ihres Gleichen. Wohl aber hat uns die Geschichte einer Alles in Allem für Deutschland leider wenig ehrenvollen Periode doch ein ruhmreiches Beispiel aufbewahrt von dem Heldenmuth eines echt deutschen Mannes, der in viel engerem Rahmen zwar, doch unter der Wucht ebenso verzweifelter Verhältnisse, wie ihnen Mac Mahon in Sedan oder Bazaine in Metz erlag, dennoch durch weisen Rath und entschlossene Energie das äußerste, schmählichste Unheil der Kriegsgefangenschaft von sich und den Seinen abzuwenden wußte. Dieser Mann war Scharnhorst, der Bauernsohn von Bordenau, der todesmuthige Vorkämpfer Preußens bei Lützen, der geniale Schöpfer der preußischen Wehrkraft, dem auch an den heutigen glänzenden Erfolgen der deutschen Waffen sein redlicher Ruhmesantheil gebührt und auf dessen glor¬ reiche That gerade unter den heutigen Verhältnissen ein kurzer Rückblick loh¬ nend erscheint. — Den Feldzug von 1793 hatte die französische Republik mit abwechselndem Erfolge gegen die von England ins Leben gerufene erste Koalition geführt. Die Alliirten nahmen zwar Valenciennes, welches Fer- rand heldenmüthig vertheidigte, und Quesnoy, verloren aber die Schlachten von Hondschoote und Wattignies und mußten die vom Herzog von Uork im engherzig englischen Interesse mit ganz unzulänglichen Mitteln unternommene Belagerung von Dünkirchen wieder aufgeben. Im großen Ganzen hatte sich die regellos wilde Kriegführung der Franzosen der allzu langsamen, pedan¬ tischen und steifzopsigen Strategie der Alliirten unstreitig überlegen gezeigt. Frei¬ lich war der schöne alte Wahlspruch: Vainers on mourii! von der Armee der Republik längst in: Viuuore on eouiir! carikirt worden; denn nach jedem mißlungenen Schlage liefen die jungen, undisciplinirten Soldaten, die eben noch im Siege so todesmuthige Begeisterung an den Tag gelegt, regi¬ menterweise und unaufhaltsam in die Heimath. Der Convent aber verstand ") Im Detail theilweise nach dem handschriftlichen Kriegstagebuche eines der Belagerten. Grenzboten IV. 1L70. 81

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/249>, abgerufen am 22.12.2024.