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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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lies ganz in erwünschter Weise. Zwar beantragte Moriz Mohl -- und
darauf mußte man freilich gefaßt sein -- die beiden Vorlagen im regelmäßi¬
gen Wege gründlich zu berathen, d. h. sie zu einem Ercurs über die deutsche
Frage zu benützen, für den er im voraus durch seine Schrift für die "Er¬
haltung der süddeutschen Staaten" den Ton angegeben hatte. Allein sein
Vorschlag wurde rasch durch die Mehrheit beseitigt und er selber hatte sich
dann der Aufgabe zu unterziehen, den kurzen sachlichen Bericht über die Vor¬
lagen anzufertigen, wobei er allerdings noch einmal seinen Schmerz über diese
Ueberstürzung ausdrückte und sich nur dessen getröstete, daß er für seine "un¬
bedeutende Person" wenigstens das Nöthige bereits in eigener Schrift ge¬
sagt habe. So verlief denn die Sache ohne weiteren Unfall. Ohne Debatte
wurde das angesonnene Steuerprovisorium einstimmig, gegen 3 Stimmen der
neue Militärcredit genehmigt.

Doch ganz konnten sich die mißvergnügten Parteien bei dem pythagoräi¬
schen Parlamentarismus nicht beruhigen. Das Schweigen war ihnen offen¬
bar hart geworden. Während der Sitzung war eine lebhnfte Bewegung zu
bemerken, und man sah, wie zwei Schriftstücke eifrig colportirt und mit Un¬
terschriften, versehen wurden, deren Inhalt am Schluß der Sitzung zu Tage
kam. Der Club der Volkspartei hatte eine Erklärung aufgesetzt, und der
Club der Großdeutschen und Ultramontanen hatte eine andere Erklärung
ausgesetzt, die beide als motivirte Abstimmungen -- eine Specialität des
württembergischen Parlamentarismus -- dem Protocoll einverleibt wurden
Beide Parteien wollten wenigstens ihr Gewissen salviren; sie wollten vor
der Oeffentlichkeit noch einmal proclamiren, daß sie auch nach dem nationa¬
len Krieg die alten geblieben, daß die großen Tage der Erhebung spurlos
an ihnen vorübergegangen seien. Vom Militarismus war zwar in diesen
Erklärungen nicht mehr die Rede, auch nicht vom Sübbunb, in etwas ist also
die Consequenz doch erschüttert worden; aber sie wollten es wenigstens aus¬
sprechen, daß, wenn jetzt die Einigung Deutschlands zu Stande komme, sie
wider ihren Willen zu Stande komme.

Die Nuancen der beiden Erklärungen sind nicht eben erheblich. Doch
lautete die der Volkspartei selbstverständlich kräftiger, sie schloß jede Hinter¬
thüre ab. Sie begann mit dem tendentiösen Mansch nach Frieden -- wie
es ja zur Zeit die allgemein angenommene Taktik der Demokratie ist, Preu¬
ßen als Urheber der Fortsetzung des Kriegs anzuklagen, erklärt sich dann
rundweg gegen den Eintritt Württembergs in den Bund, weil derselbe nicht
eine bundesgenössische Einheit, sondern Unterwerfung unter Preußen bezweckt,
nichtsdestoweniger wird eine bundesstaatliche Einigung mit dem Norden ge¬
wünscht, aber hinzugefügt, daß diese nicht auf den bleibenden Ausschluß
Deutschöstreichs gebaut sein darf. Folgt noch ein Satz über die Freiheit,


lies ganz in erwünschter Weise. Zwar beantragte Moriz Mohl — und
darauf mußte man freilich gefaßt sein — die beiden Vorlagen im regelmäßi¬
gen Wege gründlich zu berathen, d. h. sie zu einem Ercurs über die deutsche
Frage zu benützen, für den er im voraus durch seine Schrift für die „Er¬
haltung der süddeutschen Staaten" den Ton angegeben hatte. Allein sein
Vorschlag wurde rasch durch die Mehrheit beseitigt und er selber hatte sich
dann der Aufgabe zu unterziehen, den kurzen sachlichen Bericht über die Vor¬
lagen anzufertigen, wobei er allerdings noch einmal seinen Schmerz über diese
Ueberstürzung ausdrückte und sich nur dessen getröstete, daß er für seine „un¬
bedeutende Person" wenigstens das Nöthige bereits in eigener Schrift ge¬
sagt habe. So verlief denn die Sache ohne weiteren Unfall. Ohne Debatte
wurde das angesonnene Steuerprovisorium einstimmig, gegen 3 Stimmen der
neue Militärcredit genehmigt.

Doch ganz konnten sich die mißvergnügten Parteien bei dem pythagoräi¬
schen Parlamentarismus nicht beruhigen. Das Schweigen war ihnen offen¬
bar hart geworden. Während der Sitzung war eine lebhnfte Bewegung zu
bemerken, und man sah, wie zwei Schriftstücke eifrig colportirt und mit Un¬
terschriften, versehen wurden, deren Inhalt am Schluß der Sitzung zu Tage
kam. Der Club der Volkspartei hatte eine Erklärung aufgesetzt, und der
Club der Großdeutschen und Ultramontanen hatte eine andere Erklärung
ausgesetzt, die beide als motivirte Abstimmungen — eine Specialität des
württembergischen Parlamentarismus — dem Protocoll einverleibt wurden
Beide Parteien wollten wenigstens ihr Gewissen salviren; sie wollten vor
der Oeffentlichkeit noch einmal proclamiren, daß sie auch nach dem nationa¬
len Krieg die alten geblieben, daß die großen Tage der Erhebung spurlos
an ihnen vorübergegangen seien. Vom Militarismus war zwar in diesen
Erklärungen nicht mehr die Rede, auch nicht vom Sübbunb, in etwas ist also
die Consequenz doch erschüttert worden; aber sie wollten es wenigstens aus¬
sprechen, daß, wenn jetzt die Einigung Deutschlands zu Stande komme, sie
wider ihren Willen zu Stande komme.

Die Nuancen der beiden Erklärungen sind nicht eben erheblich. Doch
lautete die der Volkspartei selbstverständlich kräftiger, sie schloß jede Hinter¬
thüre ab. Sie begann mit dem tendentiösen Mansch nach Frieden — wie
es ja zur Zeit die allgemein angenommene Taktik der Demokratie ist, Preu¬
ßen als Urheber der Fortsetzung des Kriegs anzuklagen, erklärt sich dann
rundweg gegen den Eintritt Württembergs in den Bund, weil derselbe nicht
eine bundesgenössische Einheit, sondern Unterwerfung unter Preußen bezweckt,
nichtsdestoweniger wird eine bundesstaatliche Einigung mit dem Norden ge¬
wünscht, aber hinzugefügt, daß diese nicht auf den bleibenden Ausschluß
Deutschöstreichs gebaut sein darf. Folgt noch ein Satz über die Freiheit,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/240>, abgerufen am 22.12.2024.