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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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auch d!e bisherige Gesetzgebung des norddeutschen Bundes in diesem und in
andern Fällen nachzuholen ist, Ans diesem Grund ist nun also heute das
Metergesetz in Württemberg noch eine dunkle Frage der Zukunft, obwol es
schon im Jahre 1868 fix und fertig von der Regierung den Ständen vor¬
gelegt ist. Wer freilich die Geschichte württembergischer Gesetzesentwürfe
kennt, wird billig sein und anerkennen, daß es eine gänzlich abnorme Ge¬
schwindigkeit gewesen wäre, wenn wir heute schon diesen Act deutscher Ge¬
setzgebung uns angeeignet hätten,

Seit jener unvermuthet abgebrochenen Märzsession nun hat der
verflossene Landtag noch 2 Sessionen von je zweitägiger Dauer ge¬
habt, einmal im Juli, als es sich um den außerordentlichen Credit
für den Krieg im Betrag von 3,900,000 Fi. handelte, und dann
jüngstens am 21. und 22. October, als die Regierung zu demselben
Zweck einen weiteren Credit von 3.700,000 si. beanspruchte. Diese letztere
Session hatte übrigens noch einen anderen und -- vom Standpunkt unseres
Verfassungsrechts angesehen -- fast noch dringlicheren Zweck. Nicht nur der
außerordentliche Credit des Kriegsministers, sondern auch die ordentlichen
Mittel der Staatsverwaltung überhaupt waren erschöpft. Das heißt, die
Periode, bis zu welcher die Steuern bewilligt waren, lief am 31. October
ab. und da eine Budgetberathung natürlich nicht mehr möglich war, han¬
delte es sich wenigstens um die Bewilligung eines 'Steuerprovisoriums für
die nächsten Monate. Eigentlich war die Budgetperiyde bereits am 30, Juni
d, I, abgelaufen, allein in richtiger Voraussicht, daß die Stände selten bis
zum gesetzlichen Termin mit der Berathung des neuen Budgets fertig sein
würden, hatte schon die Verfassungsurkunde vom Jahr 1819 festgesetzt, daß
die Steuern auch nach der abgelaufenen Periode noch für das erste Drittel
des folgenden Jahres in gleichem Maße eingezogen werden können. Am
31. October aber lief auch dieser letzte Termin ab, und es hieß einen Conflict
mit der Verfassung heraufbeschwören, wenn man nicht zuvor an den guten
Willen der Stände appellirte.

Und doch wäre die Regierung der Nothwendigkeit, gerade jetzt die Kam¬
mern einzuberufen, am liebsten überhoben gewesen. Nicht ohne Besorgniß sah
sie diesem Augenblick entgegen, Wir waren in einem Krieg, dessen jetziges
Stadium doch nicht mehr dieselbe Einmütigkeit in der Bevölkerung vorfand,
wie sie zu Anfang bestanden hatte. Wer hinderte unsere Unversöhnlichen,
dieselbe Meinung, die sie in ihrer Presse kundgaben, auch an officieller Stätte
im Halbmondssaal auszusprechen, daß nämlich seit Sedan. seit der Procla-
mirung der französischen Republik die Schuld für die Fortsetzung des Kriegs
eigentlich Preußen treffe, und daß die Rückforderung von Elsaß und Lothringen
eine himmelschreiende Versündigung an dem demokratischen Princip sei? Wie


auch d!e bisherige Gesetzgebung des norddeutschen Bundes in diesem und in
andern Fällen nachzuholen ist, Ans diesem Grund ist nun also heute das
Metergesetz in Württemberg noch eine dunkle Frage der Zukunft, obwol es
schon im Jahre 1868 fix und fertig von der Regierung den Ständen vor¬
gelegt ist. Wer freilich die Geschichte württembergischer Gesetzesentwürfe
kennt, wird billig sein und anerkennen, daß es eine gänzlich abnorme Ge¬
schwindigkeit gewesen wäre, wenn wir heute schon diesen Act deutscher Ge¬
setzgebung uns angeeignet hätten,

Seit jener unvermuthet abgebrochenen Märzsession nun hat der
verflossene Landtag noch 2 Sessionen von je zweitägiger Dauer ge¬
habt, einmal im Juli, als es sich um den außerordentlichen Credit
für den Krieg im Betrag von 3,900,000 Fi. handelte, und dann
jüngstens am 21. und 22. October, als die Regierung zu demselben
Zweck einen weiteren Credit von 3.700,000 si. beanspruchte. Diese letztere
Session hatte übrigens noch einen anderen und — vom Standpunkt unseres
Verfassungsrechts angesehen — fast noch dringlicheren Zweck. Nicht nur der
außerordentliche Credit des Kriegsministers, sondern auch die ordentlichen
Mittel der Staatsverwaltung überhaupt waren erschöpft. Das heißt, die
Periode, bis zu welcher die Steuern bewilligt waren, lief am 31. October
ab. und da eine Budgetberathung natürlich nicht mehr möglich war, han¬
delte es sich wenigstens um die Bewilligung eines 'Steuerprovisoriums für
die nächsten Monate. Eigentlich war die Budgetperiyde bereits am 30, Juni
d, I, abgelaufen, allein in richtiger Voraussicht, daß die Stände selten bis
zum gesetzlichen Termin mit der Berathung des neuen Budgets fertig sein
würden, hatte schon die Verfassungsurkunde vom Jahr 1819 festgesetzt, daß
die Steuern auch nach der abgelaufenen Periode noch für das erste Drittel
des folgenden Jahres in gleichem Maße eingezogen werden können. Am
31. October aber lief auch dieser letzte Termin ab, und es hieß einen Conflict
mit der Verfassung heraufbeschwören, wenn man nicht zuvor an den guten
Willen der Stände appellirte.

Und doch wäre die Regierung der Nothwendigkeit, gerade jetzt die Kam¬
mern einzuberufen, am liebsten überhoben gewesen. Nicht ohne Besorgniß sah
sie diesem Augenblick entgegen, Wir waren in einem Krieg, dessen jetziges
Stadium doch nicht mehr dieselbe Einmütigkeit in der Bevölkerung vorfand,
wie sie zu Anfang bestanden hatte. Wer hinderte unsere Unversöhnlichen,
dieselbe Meinung, die sie in ihrer Presse kundgaben, auch an officieller Stätte
im Halbmondssaal auszusprechen, daß nämlich seit Sedan. seit der Procla-
mirung der französischen Republik die Schuld für die Fortsetzung des Kriegs
eigentlich Preußen treffe, und daß die Rückforderung von Elsaß und Lothringen
eine himmelschreiende Versündigung an dem demokratischen Princip sei? Wie


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[0238] auch d!e bisherige Gesetzgebung des norddeutschen Bundes in diesem und in andern Fällen nachzuholen ist, Ans diesem Grund ist nun also heute das Metergesetz in Württemberg noch eine dunkle Frage der Zukunft, obwol es schon im Jahre 1868 fix und fertig von der Regierung den Ständen vor¬ gelegt ist. Wer freilich die Geschichte württembergischer Gesetzesentwürfe kennt, wird billig sein und anerkennen, daß es eine gänzlich abnorme Ge¬ schwindigkeit gewesen wäre, wenn wir heute schon diesen Act deutscher Ge¬ setzgebung uns angeeignet hätten, Seit jener unvermuthet abgebrochenen Märzsession nun hat der verflossene Landtag noch 2 Sessionen von je zweitägiger Dauer ge¬ habt, einmal im Juli, als es sich um den außerordentlichen Credit für den Krieg im Betrag von 3,900,000 Fi. handelte, und dann jüngstens am 21. und 22. October, als die Regierung zu demselben Zweck einen weiteren Credit von 3.700,000 si. beanspruchte. Diese letztere Session hatte übrigens noch einen anderen und — vom Standpunkt unseres Verfassungsrechts angesehen — fast noch dringlicheren Zweck. Nicht nur der außerordentliche Credit des Kriegsministers, sondern auch die ordentlichen Mittel der Staatsverwaltung überhaupt waren erschöpft. Das heißt, die Periode, bis zu welcher die Steuern bewilligt waren, lief am 31. October ab. und da eine Budgetberathung natürlich nicht mehr möglich war, han¬ delte es sich wenigstens um die Bewilligung eines 'Steuerprovisoriums für die nächsten Monate. Eigentlich war die Budgetperiyde bereits am 30, Juni d, I, abgelaufen, allein in richtiger Voraussicht, daß die Stände selten bis zum gesetzlichen Termin mit der Berathung des neuen Budgets fertig sein würden, hatte schon die Verfassungsurkunde vom Jahr 1819 festgesetzt, daß die Steuern auch nach der abgelaufenen Periode noch für das erste Drittel des folgenden Jahres in gleichem Maße eingezogen werden können. Am 31. October aber lief auch dieser letzte Termin ab, und es hieß einen Conflict mit der Verfassung heraufbeschwören, wenn man nicht zuvor an den guten Willen der Stände appellirte. Und doch wäre die Regierung der Nothwendigkeit, gerade jetzt die Kam¬ mern einzuberufen, am liebsten überhoben gewesen. Nicht ohne Besorgniß sah sie diesem Augenblick entgegen, Wir waren in einem Krieg, dessen jetziges Stadium doch nicht mehr dieselbe Einmütigkeit in der Bevölkerung vorfand, wie sie zu Anfang bestanden hatte. Wer hinderte unsere Unversöhnlichen, dieselbe Meinung, die sie in ihrer Presse kundgaben, auch an officieller Stätte im Halbmondssaal auszusprechen, daß nämlich seit Sedan. seit der Procla- mirung der französischen Republik die Schuld für die Fortsetzung des Kriegs eigentlich Preußen treffe, und daß die Rückforderung von Elsaß und Lothringen eine himmelschreiende Versündigung an dem demokratischen Princip sei? Wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/238>, abgerufen am 23.12.2024.