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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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so allgegenwärtig war, daß jeder Widerstand im ersten Keime erstickt
werden konnte.

Das Telegraphenwesen war ganz in den Händen der Regierung, jede geheim¬
nißvoll aussehende Depesche wurde aufgehalten oder zurückgewiesen, jede Nach¬
richt, welche die ^such Ilavas und Lorresponäaneo LuIIier brachten, wurde
auf dem Ministerium controlirt, erstere allein bediente 307 Zeitungen- Was
die Presse betrifft, so ist die Bestimmung bekannt, welche die Regierung be-
rechtigte, ein Blatt nach den Avertissements zu unterdrücken, aber außerdem
gab es noch einen gewaltigen Controlapparat hinter den Coulissen. Die Oppo¬
sitionsjournale empfingen täglich privatim Winke, über das, was sie sagen
durften, was nicht; jede Nichtachtung solcher Mittheilung der Polizei zog
ein Avertissement nach sich.

Außer diesen Züchtigungsmitteln gegen die Renitenten gab es das
Zuckerbrod der Subvention für die Freunde oder Schwankenden. In Paris
allein bestanden außer dem officiellen Journal acht große Zeitungen, welche
täglich ihre Direction und Nachrichten auf dem Ministerium des Innern
holten und Subventionen, um eine gewisse Anzahl Graels-Exemplare zu ver¬
theilen, erhielten. Auf die Provinzen wirkten außer dem an allen Mairien
angeschlagenen Boniteur des Lomwunss die officiösen Blätter, deren jedes
Departement wenigstens eins hatte, daneben liefen die nach ministeriellen
Jnstructionen redigirten Correspondenzen, wobei es die verschiedensten Schatti-
rungen gab; eine gewisse Freiheit der Bewegung, die den Schein der Unab¬
hängigkeit wahrte, wurde gestattet, wenn man die Mittheilungen der mini¬
steriellen Correspondenzen aufnahm. Es war der colossalste Apparat zur
Züchtung und Fälschung der öffentlichen Meinung, der wohl jemals dage¬
wesen ist, die Resultate dieser Schule sehen wir deutlich in der Verkommen¬
heit der heutigen französischen Presse. Hand in Hand hiemit ging das Sinken
der Literatur und Kunst; in den ersten Jahren des Kaiserreichs wirkten noch
viele der Talente früherer Epochen, aber reißend ging es abwärts von Scribe
und Ander zu A. Dumas Fils und Offenbach. In dem Salon von 1868
fanden wir kaum ein Bild von hervorragender Bedeutung, desto mehr Dar¬
stellungen von Situationen, die keine deutsche Aufnahme-Commission hätte
Passiren lassen, die nuctitvs füllten mehr als einen Saal. -- Dem Sinken
dieser idealen Mächte entsprach der steigende Materialismus, Geld und Ge¬
nuß war die allgemeine Losung, Actien und Börsenschwindel, tunesische und
mexikanische Anlehn, LiMits mobiliers und toneierL aller Art drängten sich,
wie Pilze schössen die Vermögen aus der Erde. Das Laster wird in jeder
großen Hauptstadt einen breiten Platz einnehmen, aber mit so dreister Stirn
wie unter dem zweiten Kaiserreich ist es lange nicht aufgetreten, man wußte
nicht mehr, wo die Halbwelt aufhörte und die hoffähige Gesellschaft begann, die


so allgegenwärtig war, daß jeder Widerstand im ersten Keime erstickt
werden konnte.

Das Telegraphenwesen war ganz in den Händen der Regierung, jede geheim¬
nißvoll aussehende Depesche wurde aufgehalten oder zurückgewiesen, jede Nach¬
richt, welche die ^such Ilavas und Lorresponäaneo LuIIier brachten, wurde
auf dem Ministerium controlirt, erstere allein bediente 307 Zeitungen- Was
die Presse betrifft, so ist die Bestimmung bekannt, welche die Regierung be-
rechtigte, ein Blatt nach den Avertissements zu unterdrücken, aber außerdem
gab es noch einen gewaltigen Controlapparat hinter den Coulissen. Die Oppo¬
sitionsjournale empfingen täglich privatim Winke, über das, was sie sagen
durften, was nicht; jede Nichtachtung solcher Mittheilung der Polizei zog
ein Avertissement nach sich.

Außer diesen Züchtigungsmitteln gegen die Renitenten gab es das
Zuckerbrod der Subvention für die Freunde oder Schwankenden. In Paris
allein bestanden außer dem officiellen Journal acht große Zeitungen, welche
täglich ihre Direction und Nachrichten auf dem Ministerium des Innern
holten und Subventionen, um eine gewisse Anzahl Graels-Exemplare zu ver¬
theilen, erhielten. Auf die Provinzen wirkten außer dem an allen Mairien
angeschlagenen Boniteur des Lomwunss die officiösen Blätter, deren jedes
Departement wenigstens eins hatte, daneben liefen die nach ministeriellen
Jnstructionen redigirten Correspondenzen, wobei es die verschiedensten Schatti-
rungen gab; eine gewisse Freiheit der Bewegung, die den Schein der Unab¬
hängigkeit wahrte, wurde gestattet, wenn man die Mittheilungen der mini¬
steriellen Correspondenzen aufnahm. Es war der colossalste Apparat zur
Züchtung und Fälschung der öffentlichen Meinung, der wohl jemals dage¬
wesen ist, die Resultate dieser Schule sehen wir deutlich in der Verkommen¬
heit der heutigen französischen Presse. Hand in Hand hiemit ging das Sinken
der Literatur und Kunst; in den ersten Jahren des Kaiserreichs wirkten noch
viele der Talente früherer Epochen, aber reißend ging es abwärts von Scribe
und Ander zu A. Dumas Fils und Offenbach. In dem Salon von 1868
fanden wir kaum ein Bild von hervorragender Bedeutung, desto mehr Dar¬
stellungen von Situationen, die keine deutsche Aufnahme-Commission hätte
Passiren lassen, die nuctitvs füllten mehr als einen Saal. — Dem Sinken
dieser idealen Mächte entsprach der steigende Materialismus, Geld und Ge¬
nuß war die allgemeine Losung, Actien und Börsenschwindel, tunesische und
mexikanische Anlehn, LiMits mobiliers und toneierL aller Art drängten sich,
wie Pilze schössen die Vermögen aus der Erde. Das Laster wird in jeder
großen Hauptstadt einen breiten Platz einnehmen, aber mit so dreister Stirn
wie unter dem zweiten Kaiserreich ist es lange nicht aufgetreten, man wußte
nicht mehr, wo die Halbwelt aufhörte und die hoffähige Gesellschaft begann, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/218>, abgerufen am 23.12.2024.