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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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In den größeren Städten Lyon, Marseille, Toulouse, Bordeaux, gab es
allerdings eine Opposition von Bedeutung, aber ihr Nerv lag in der demo¬
kratisch-socialistischen Partei; mit der die gemäßigten Liberalen nicht zusammen¬
gehen konnten. Die eigentliche Burg des Bonapartismus aber war die
ländliche Bevölkerung, Napoleon verdankte seine Erwählung den Bauern und
ihrem Haß gegen die Socialisten, sie wollten eine starke Regierung, die ihnen
Ruhe verschaffte, und stimmten deshalb unbesehen für die officiellen Candt-
daten. Die größeren Grundbesitzer zogen entweder an demselben Strang, oder
waren, falls sie legitimistische resp, orleanistische Gesinnungen hegten, vom
politischen Leben schon dadurch ausgeschlossen, daß sie dem Kaiser nicht den
Eid geleistet hatten, der selbst für das Amt eines Gemeinderaths gefordert
ward. Auf diese Weise ward es dann der Regierung nicht schwer das allge¬
meine Stimmrecht so zu leiten, daß eine überwältigende Majorität wohlge-
gesinnter Abgeordneter in das Palais Bourbon entsandt ward. Der gesetzgebende
Körper erinnerte in der ersten Periode seiner Existenz durch stumme Servili-
tät an das egyptische Parlament Ismael-Pascha's, wo niemand auf der
Linken sitzen wollte. Bei den zweiten Wahlen sandten die größeren Städte
einige oppositionelle Vertreter, die Fehler der auswärtigen Politik ließen die
Opposition allmählich zu immer größerer Bedeutung wachsen, aber die Majo¬
rität blieb der Regierung sicher und klammerte sich an sie, bis die ganze
große Versammlung vor einer Pariser Emeute in alle Winde zerstob.

Aber nicht nur alle politische Freiheit war dem Lande genommen, auch
die persönliche und literarische war rein dem Gutdünken der Polizei anheim¬
gegeben. Louis Napoleon war allerdings kein grausamer Tyrann, so lange
sich kein bedrohlicher Widerstand zeigte, aber man darf nicht vergessen, daß
abgesehen vom Staatsstreich, Tausende ohne richterliches Verfahren einge¬
kerkert oder deportirt wurden. Unter dem Ministerium des Generals Es¬
pinasse hatte jeder Präfect eine Liste von Verdächtigen und Gefährlichen zu
liefern, welche ohne Weiteres nach Cayenne oder Lambessa wanderten. Ein
Präfect gestand einem Freunde, er sei in Zerzweiflung, die Regierung habe
eine Liste von 80 zu deportirenden Personen von ihm gefordert, er könne
in seinem ganzen Departement nicht fünfundzwanzig finden, die irgend wie
gefährlich seien, und habe das dem Minister vorgestellt, nichtsdestoweniger
habe derselbe befohlen, die Liste vollzumachen und er habe gehorchen müssen.
Derartiges Eingreifen ließ sast alle, die etwas zu verlieren hatten, so zittern,
daß sie keine Opposition wagten; wußte man doch, daß das schwarze Kabinet
in der Stille eifrig thätig war und selbst die Correspondenz hochstehender
Personen controlirte. Außerdem kommt in Betracht, daß Telegraphen und
Eisenbahnen die präventive Macht der Regierung unermeßlich vermehrt hatten,
man brauchte nicht für Hochverrath und Aufruhr zu bestrafen, wo die Polizei


Grenzboten IV. 1870. 27

In den größeren Städten Lyon, Marseille, Toulouse, Bordeaux, gab es
allerdings eine Opposition von Bedeutung, aber ihr Nerv lag in der demo¬
kratisch-socialistischen Partei; mit der die gemäßigten Liberalen nicht zusammen¬
gehen konnten. Die eigentliche Burg des Bonapartismus aber war die
ländliche Bevölkerung, Napoleon verdankte seine Erwählung den Bauern und
ihrem Haß gegen die Socialisten, sie wollten eine starke Regierung, die ihnen
Ruhe verschaffte, und stimmten deshalb unbesehen für die officiellen Candt-
daten. Die größeren Grundbesitzer zogen entweder an demselben Strang, oder
waren, falls sie legitimistische resp, orleanistische Gesinnungen hegten, vom
politischen Leben schon dadurch ausgeschlossen, daß sie dem Kaiser nicht den
Eid geleistet hatten, der selbst für das Amt eines Gemeinderaths gefordert
ward. Auf diese Weise ward es dann der Regierung nicht schwer das allge¬
meine Stimmrecht so zu leiten, daß eine überwältigende Majorität wohlge-
gesinnter Abgeordneter in das Palais Bourbon entsandt ward. Der gesetzgebende
Körper erinnerte in der ersten Periode seiner Existenz durch stumme Servili-
tät an das egyptische Parlament Ismael-Pascha's, wo niemand auf der
Linken sitzen wollte. Bei den zweiten Wahlen sandten die größeren Städte
einige oppositionelle Vertreter, die Fehler der auswärtigen Politik ließen die
Opposition allmählich zu immer größerer Bedeutung wachsen, aber die Majo¬
rität blieb der Regierung sicher und klammerte sich an sie, bis die ganze
große Versammlung vor einer Pariser Emeute in alle Winde zerstob.

Aber nicht nur alle politische Freiheit war dem Lande genommen, auch
die persönliche und literarische war rein dem Gutdünken der Polizei anheim¬
gegeben. Louis Napoleon war allerdings kein grausamer Tyrann, so lange
sich kein bedrohlicher Widerstand zeigte, aber man darf nicht vergessen, daß
abgesehen vom Staatsstreich, Tausende ohne richterliches Verfahren einge¬
kerkert oder deportirt wurden. Unter dem Ministerium des Generals Es¬
pinasse hatte jeder Präfect eine Liste von Verdächtigen und Gefährlichen zu
liefern, welche ohne Weiteres nach Cayenne oder Lambessa wanderten. Ein
Präfect gestand einem Freunde, er sei in Zerzweiflung, die Regierung habe
eine Liste von 80 zu deportirenden Personen von ihm gefordert, er könne
in seinem ganzen Departement nicht fünfundzwanzig finden, die irgend wie
gefährlich seien, und habe das dem Minister vorgestellt, nichtsdestoweniger
habe derselbe befohlen, die Liste vollzumachen und er habe gehorchen müssen.
Derartiges Eingreifen ließ sast alle, die etwas zu verlieren hatten, so zittern,
daß sie keine Opposition wagten; wußte man doch, daß das schwarze Kabinet
in der Stille eifrig thätig war und selbst die Correspondenz hochstehender
Personen controlirte. Außerdem kommt in Betracht, daß Telegraphen und
Eisenbahnen die präventive Macht der Regierung unermeßlich vermehrt hatten,
man brauchte nicht für Hochverrath und Aufruhr zu bestrafen, wo die Polizei


Grenzboten IV. 1870. 27
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[0217] In den größeren Städten Lyon, Marseille, Toulouse, Bordeaux, gab es allerdings eine Opposition von Bedeutung, aber ihr Nerv lag in der demo¬ kratisch-socialistischen Partei; mit der die gemäßigten Liberalen nicht zusammen¬ gehen konnten. Die eigentliche Burg des Bonapartismus aber war die ländliche Bevölkerung, Napoleon verdankte seine Erwählung den Bauern und ihrem Haß gegen die Socialisten, sie wollten eine starke Regierung, die ihnen Ruhe verschaffte, und stimmten deshalb unbesehen für die officiellen Candt- daten. Die größeren Grundbesitzer zogen entweder an demselben Strang, oder waren, falls sie legitimistische resp, orleanistische Gesinnungen hegten, vom politischen Leben schon dadurch ausgeschlossen, daß sie dem Kaiser nicht den Eid geleistet hatten, der selbst für das Amt eines Gemeinderaths gefordert ward. Auf diese Weise ward es dann der Regierung nicht schwer das allge¬ meine Stimmrecht so zu leiten, daß eine überwältigende Majorität wohlge- gesinnter Abgeordneter in das Palais Bourbon entsandt ward. Der gesetzgebende Körper erinnerte in der ersten Periode seiner Existenz durch stumme Servili- tät an das egyptische Parlament Ismael-Pascha's, wo niemand auf der Linken sitzen wollte. Bei den zweiten Wahlen sandten die größeren Städte einige oppositionelle Vertreter, die Fehler der auswärtigen Politik ließen die Opposition allmählich zu immer größerer Bedeutung wachsen, aber die Majo¬ rität blieb der Regierung sicher und klammerte sich an sie, bis die ganze große Versammlung vor einer Pariser Emeute in alle Winde zerstob. Aber nicht nur alle politische Freiheit war dem Lande genommen, auch die persönliche und literarische war rein dem Gutdünken der Polizei anheim¬ gegeben. Louis Napoleon war allerdings kein grausamer Tyrann, so lange sich kein bedrohlicher Widerstand zeigte, aber man darf nicht vergessen, daß abgesehen vom Staatsstreich, Tausende ohne richterliches Verfahren einge¬ kerkert oder deportirt wurden. Unter dem Ministerium des Generals Es¬ pinasse hatte jeder Präfect eine Liste von Verdächtigen und Gefährlichen zu liefern, welche ohne Weiteres nach Cayenne oder Lambessa wanderten. Ein Präfect gestand einem Freunde, er sei in Zerzweiflung, die Regierung habe eine Liste von 80 zu deportirenden Personen von ihm gefordert, er könne in seinem ganzen Departement nicht fünfundzwanzig finden, die irgend wie gefährlich seien, und habe das dem Minister vorgestellt, nichtsdestoweniger habe derselbe befohlen, die Liste vollzumachen und er habe gehorchen müssen. Derartiges Eingreifen ließ sast alle, die etwas zu verlieren hatten, so zittern, daß sie keine Opposition wagten; wußte man doch, daß das schwarze Kabinet in der Stille eifrig thätig war und selbst die Correspondenz hochstehender Personen controlirte. Außerdem kommt in Betracht, daß Telegraphen und Eisenbahnen die präventive Macht der Regierung unermeßlich vermehrt hatten, man brauchte nicht für Hochverrath und Aufruhr zu bestrafen, wo die Polizei Grenzboten IV. 1870. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/217>, abgerufen am 23.12.2024.