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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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schick ausführten. Die bedeutenden Köpfe der Julimonarchie, wie Guizot,
Thiers, Tocqueville, Wllemain, Barante u. s. w. zogen sich grollend in die Burg der
Akademie zurück, die gesinnungslosen Talente, wie Dupin, M^rince, Chevalier
Parieu, Moustier u s. w. gingen zu der neuen Fahne über, die, wie sie nach
Talleyrands Beispiel sagten, doch einmal die Frankreichs sei. In den untern
Stufen der Regierungshierarchie war der Gesinnungswechsel von jeher an
der Tagesordnung, die durch einen Federstrich absetzbaren Präfecten hingen
mit ihren Blicken an dem allmächtigen Gebieter und harrten in Spannung der
Befehle, die der Telegraph aus dem Ministerium des Innern brachte. Wenn
es dem Kaiser paßte, wußte er zwar von den Wohlthaten der Decentralisa-
tion zu sprechen, da, wie er sagte, man wohl von ferne regieren, aber nur
in der Nähe verwalten könne, thatsächlich aber kam diese Decentralisation
darauf hinaus, daß man den Präfecten einige Befugnisse übertrug, die sonst
die Centralbehörde hatte und auch diese Maßregel ward bald durch Decret
zurückgenommen wie sie gegeben war. Die Centralisation stieg immer höher,
das Dach einer Mairte konnte nicht reparirt werden, ohne in Paris anzu¬
fragen, in einer Flugschrift von 1860 ward ganz ernsthaft der Vorschlag ge¬
macht, alle Concierges zu Regierungsbeamten zu machen und ihnen eine Art
Oberaufsicht über die Bewohner der Häuser zu geben. Die Provinzen sanken
zur äußersten Unselbständigkeit herab, Paris machte die Gesetze, Moden, Ro¬
mane, Vaudevilles, Zeitungen, politischen Meinungen sür ganz Frankreich,
die Departements nahmen willenlos das vom Mittelpunkt Gebotene. Sie
wurden nur in Bewegung gesetzt, wenn die Pariser illoyale Velleitäten
zeigten oder die Vorsehung den Kaiser von einer Verschwörung gerettet.
Dann sandten die Präfecten und Maires entrüstetete Ergebenheitsadressen
an die Tuilerien, die pflichtschuldigst von allen Beamten, Lieferanten, Schul¬
lehrern, Richtern, gutgesinnten Advocaten und Aerzten unterzeichnet waren
und der Moniteur hielt diese Beweise tiefgewurzelter Anhänglichkeit an die
kaiserliche Dynastie den undankbaren Parisern vor; das Aschenbrödel, die Pro¬
vinz, sollte das verzogene Kind, die Hauptstadt, beschämen. Bei der Allmacht
der Bureaukratie waren in den kleinern und mittlern Städten fast alle Bür¬
ger von Bedeutung in irgend welcher Weise auf den guten Willen der Re¬
gierung angewiesen und die Opposition auf den Herausgeber eines radicalen
Blattes, entlassne Beamte, Lieferanten, die sich vergebens um die Gunst
des Präfecten beworben, und Arbeiter beschränkt.

Nur da, wo der Klerus nicht mit der Regierung ging, bildete der bischöfliche
Palast den Mittelpunkt einer selbständigen Action. Das machte sich nament¬
lich geltend, seitdem die italienische Politik des Kaisers Rom bedrohte, in
den inneren Fragen ging übrigens der Klerus fast immer Hand in Hand
mit Napoleon und war ein mächtiger Factor für die officiellen Candidaturen.


schick ausführten. Die bedeutenden Köpfe der Julimonarchie, wie Guizot,
Thiers, Tocqueville, Wllemain, Barante u. s. w. zogen sich grollend in die Burg der
Akademie zurück, die gesinnungslosen Talente, wie Dupin, M^rince, Chevalier
Parieu, Moustier u s. w. gingen zu der neuen Fahne über, die, wie sie nach
Talleyrands Beispiel sagten, doch einmal die Frankreichs sei. In den untern
Stufen der Regierungshierarchie war der Gesinnungswechsel von jeher an
der Tagesordnung, die durch einen Federstrich absetzbaren Präfecten hingen
mit ihren Blicken an dem allmächtigen Gebieter und harrten in Spannung der
Befehle, die der Telegraph aus dem Ministerium des Innern brachte. Wenn
es dem Kaiser paßte, wußte er zwar von den Wohlthaten der Decentralisa-
tion zu sprechen, da, wie er sagte, man wohl von ferne regieren, aber nur
in der Nähe verwalten könne, thatsächlich aber kam diese Decentralisation
darauf hinaus, daß man den Präfecten einige Befugnisse übertrug, die sonst
die Centralbehörde hatte und auch diese Maßregel ward bald durch Decret
zurückgenommen wie sie gegeben war. Die Centralisation stieg immer höher,
das Dach einer Mairte konnte nicht reparirt werden, ohne in Paris anzu¬
fragen, in einer Flugschrift von 1860 ward ganz ernsthaft der Vorschlag ge¬
macht, alle Concierges zu Regierungsbeamten zu machen und ihnen eine Art
Oberaufsicht über die Bewohner der Häuser zu geben. Die Provinzen sanken
zur äußersten Unselbständigkeit herab, Paris machte die Gesetze, Moden, Ro¬
mane, Vaudevilles, Zeitungen, politischen Meinungen sür ganz Frankreich,
die Departements nahmen willenlos das vom Mittelpunkt Gebotene. Sie
wurden nur in Bewegung gesetzt, wenn die Pariser illoyale Velleitäten
zeigten oder die Vorsehung den Kaiser von einer Verschwörung gerettet.
Dann sandten die Präfecten und Maires entrüstetete Ergebenheitsadressen
an die Tuilerien, die pflichtschuldigst von allen Beamten, Lieferanten, Schul¬
lehrern, Richtern, gutgesinnten Advocaten und Aerzten unterzeichnet waren
und der Moniteur hielt diese Beweise tiefgewurzelter Anhänglichkeit an die
kaiserliche Dynastie den undankbaren Parisern vor; das Aschenbrödel, die Pro¬
vinz, sollte das verzogene Kind, die Hauptstadt, beschämen. Bei der Allmacht
der Bureaukratie waren in den kleinern und mittlern Städten fast alle Bür¬
ger von Bedeutung in irgend welcher Weise auf den guten Willen der Re¬
gierung angewiesen und die Opposition auf den Herausgeber eines radicalen
Blattes, entlassne Beamte, Lieferanten, die sich vergebens um die Gunst
des Präfecten beworben, und Arbeiter beschränkt.

Nur da, wo der Klerus nicht mit der Regierung ging, bildete der bischöfliche
Palast den Mittelpunkt einer selbständigen Action. Das machte sich nament¬
lich geltend, seitdem die italienische Politik des Kaisers Rom bedrohte, in
den inneren Fragen ging übrigens der Klerus fast immer Hand in Hand
mit Napoleon und war ein mächtiger Factor für die officiellen Candidaturen.


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[0216] schick ausführten. Die bedeutenden Köpfe der Julimonarchie, wie Guizot, Thiers, Tocqueville, Wllemain, Barante u. s. w. zogen sich grollend in die Burg der Akademie zurück, die gesinnungslosen Talente, wie Dupin, M^rince, Chevalier Parieu, Moustier u s. w. gingen zu der neuen Fahne über, die, wie sie nach Talleyrands Beispiel sagten, doch einmal die Frankreichs sei. In den untern Stufen der Regierungshierarchie war der Gesinnungswechsel von jeher an der Tagesordnung, die durch einen Federstrich absetzbaren Präfecten hingen mit ihren Blicken an dem allmächtigen Gebieter und harrten in Spannung der Befehle, die der Telegraph aus dem Ministerium des Innern brachte. Wenn es dem Kaiser paßte, wußte er zwar von den Wohlthaten der Decentralisa- tion zu sprechen, da, wie er sagte, man wohl von ferne regieren, aber nur in der Nähe verwalten könne, thatsächlich aber kam diese Decentralisation darauf hinaus, daß man den Präfecten einige Befugnisse übertrug, die sonst die Centralbehörde hatte und auch diese Maßregel ward bald durch Decret zurückgenommen wie sie gegeben war. Die Centralisation stieg immer höher, das Dach einer Mairte konnte nicht reparirt werden, ohne in Paris anzu¬ fragen, in einer Flugschrift von 1860 ward ganz ernsthaft der Vorschlag ge¬ macht, alle Concierges zu Regierungsbeamten zu machen und ihnen eine Art Oberaufsicht über die Bewohner der Häuser zu geben. Die Provinzen sanken zur äußersten Unselbständigkeit herab, Paris machte die Gesetze, Moden, Ro¬ mane, Vaudevilles, Zeitungen, politischen Meinungen sür ganz Frankreich, die Departements nahmen willenlos das vom Mittelpunkt Gebotene. Sie wurden nur in Bewegung gesetzt, wenn die Pariser illoyale Velleitäten zeigten oder die Vorsehung den Kaiser von einer Verschwörung gerettet. Dann sandten die Präfecten und Maires entrüstetete Ergebenheitsadressen an die Tuilerien, die pflichtschuldigst von allen Beamten, Lieferanten, Schul¬ lehrern, Richtern, gutgesinnten Advocaten und Aerzten unterzeichnet waren und der Moniteur hielt diese Beweise tiefgewurzelter Anhänglichkeit an die kaiserliche Dynastie den undankbaren Parisern vor; das Aschenbrödel, die Pro¬ vinz, sollte das verzogene Kind, die Hauptstadt, beschämen. Bei der Allmacht der Bureaukratie waren in den kleinern und mittlern Städten fast alle Bür¬ ger von Bedeutung in irgend welcher Weise auf den guten Willen der Re¬ gierung angewiesen und die Opposition auf den Herausgeber eines radicalen Blattes, entlassne Beamte, Lieferanten, die sich vergebens um die Gunst des Präfecten beworben, und Arbeiter beschränkt. Nur da, wo der Klerus nicht mit der Regierung ging, bildete der bischöfliche Palast den Mittelpunkt einer selbständigen Action. Das machte sich nament¬ lich geltend, seitdem die italienische Politik des Kaisers Rom bedrohte, in den inneren Fragen ging übrigens der Klerus fast immer Hand in Hand mit Napoleon und war ein mächtiger Factor für die officiellen Candidaturen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/216>, abgerufen am 23.12.2024.