Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

einflößten, beruhte auf dem Zusammenwirken der Liberalen und Republikaner
gegen die officiellen Candidaten. Napoleon fügte sich scheinbar, weil schroffer
Widerstand die Opposition nur gesteigert hätte, aber er, der sein ganzes Leben
das parlamentarische Regiment als verderblich sür Frankreich bekämpft, war
keineswegs über Nacht anderen Sinnes geworden. Er machte daher Concessio¬
nen, die entweder materiell unwichtig waren, wie das Recht des gesetzgebenden
Körpers seinen Präsidenten zu wählen, oder illusorisch, wie die Theilnahme
des von ihm ernannten Senates an der Gesetzgebung und die Ministerver¬
antwortlichkeit, neben der die Verantwortlichkeit des Kaisers und sein Recht
an das Volk jederzeit zu appelliren bestehen blieb. Wo die Verantwortlich¬
keit zwischen zwei Factoren getheilt ist, deren einer vom andern abhängt, da
hört sie rechtlich überhaupt auf, umsomehr als die Verantwortlichkeit des
Souveräns vor dem Volke bekanntlich erst praktisch wird, wenn dieser nicht
mehr im Besitz der Macht ist.

Mit diesen Concessionen, die der Senat gehorsam ratificirte, war das
Maß der Nachgiebigkeit erschöpft und die Sitzung des gesetzgebenden Körpers
ward, um allen ferneren Unbequemlichkeiten vorzubeugen, geschlossen. In
den letzten Monaten des Jahres 1869 operirte der Kaiser sehr geschickt,
indem er der Zügellosigkeit der Radicalen freien Spielraum gab und dadurch
die Liberalen so erschreckte, daß sie glaubten, es um keinen Preis zum Bruche
mit dem Kaiser treiben zu dürfen. Als Bürge der verheißenen "Krönung
des Werkes durch die Freiheit" mußte der eitle Jdeolog? dienen, der Prophet
des liberalen Kaisertums, den Napoleon sich bereits langer Hand gesichert. Ohne
Garantien irgend welcher Art, in stolzem Vertrauen auf sein Talent, über¬
nahm Ollivier in maßloser Verblendung das Ministerium, in dem er sich
binnen weniger Monate so verbrauchte, daß er nur um den Preis bleiben
konnte, willenloses Werkzeug des kaiserlichen Gedankens zu sein. Die Hoff¬
nungen der vertrauensseligen Liberalen alter Schule, die laut das rkZemut
LÄturnig, reMg, predigten, verwelkten rasch und das Plebiscit streifte den
letzten Rest des liberalen Firnisses ab. Mit dem Ausgang desselben war das
persönliche Regiment aufs Neue so fest begründet, daß nur eins Revolution
es stürzen konnte.

Aber wenn man Napoleon die Consequenz und Geschicklichkeit nicht be-
streiten kann, mit der er an seinem Werk von 1852 festgehalten hat, so waren
die Folgen sür Frankreich furchtbar. Mit dem Staatsstreich hörte für jeden
unabhängigen Mann die Möglichkeit aus, sich praktisch an der Politik zu be¬
theiligen. Die napoleonischen Minister, die fortan auf der Bühne der großen
Politik agirten, die Fould und Billaud, Walewski und Rouher, Grammont
und Benedetti waren willenlose Werkzeuge des kaiserlichen Kabinets, sie übten
nur insofern Einfluß, als sie ihre Instructionen mit mehr oder weniger Ge-


einflößten, beruhte auf dem Zusammenwirken der Liberalen und Republikaner
gegen die officiellen Candidaten. Napoleon fügte sich scheinbar, weil schroffer
Widerstand die Opposition nur gesteigert hätte, aber er, der sein ganzes Leben
das parlamentarische Regiment als verderblich sür Frankreich bekämpft, war
keineswegs über Nacht anderen Sinnes geworden. Er machte daher Concessio¬
nen, die entweder materiell unwichtig waren, wie das Recht des gesetzgebenden
Körpers seinen Präsidenten zu wählen, oder illusorisch, wie die Theilnahme
des von ihm ernannten Senates an der Gesetzgebung und die Ministerver¬
antwortlichkeit, neben der die Verantwortlichkeit des Kaisers und sein Recht
an das Volk jederzeit zu appelliren bestehen blieb. Wo die Verantwortlich¬
keit zwischen zwei Factoren getheilt ist, deren einer vom andern abhängt, da
hört sie rechtlich überhaupt auf, umsomehr als die Verantwortlichkeit des
Souveräns vor dem Volke bekanntlich erst praktisch wird, wenn dieser nicht
mehr im Besitz der Macht ist.

Mit diesen Concessionen, die der Senat gehorsam ratificirte, war das
Maß der Nachgiebigkeit erschöpft und die Sitzung des gesetzgebenden Körpers
ward, um allen ferneren Unbequemlichkeiten vorzubeugen, geschlossen. In
den letzten Monaten des Jahres 1869 operirte der Kaiser sehr geschickt,
indem er der Zügellosigkeit der Radicalen freien Spielraum gab und dadurch
die Liberalen so erschreckte, daß sie glaubten, es um keinen Preis zum Bruche
mit dem Kaiser treiben zu dürfen. Als Bürge der verheißenen „Krönung
des Werkes durch die Freiheit" mußte der eitle Jdeolog? dienen, der Prophet
des liberalen Kaisertums, den Napoleon sich bereits langer Hand gesichert. Ohne
Garantien irgend welcher Art, in stolzem Vertrauen auf sein Talent, über¬
nahm Ollivier in maßloser Verblendung das Ministerium, in dem er sich
binnen weniger Monate so verbrauchte, daß er nur um den Preis bleiben
konnte, willenloses Werkzeug des kaiserlichen Gedankens zu sein. Die Hoff¬
nungen der vertrauensseligen Liberalen alter Schule, die laut das rkZemut
LÄturnig, reMg, predigten, verwelkten rasch und das Plebiscit streifte den
letzten Rest des liberalen Firnisses ab. Mit dem Ausgang desselben war das
persönliche Regiment aufs Neue so fest begründet, daß nur eins Revolution
es stürzen konnte.

Aber wenn man Napoleon die Consequenz und Geschicklichkeit nicht be-
streiten kann, mit der er an seinem Werk von 1852 festgehalten hat, so waren
die Folgen sür Frankreich furchtbar. Mit dem Staatsstreich hörte für jeden
unabhängigen Mann die Möglichkeit aus, sich praktisch an der Politik zu be¬
theiligen. Die napoleonischen Minister, die fortan auf der Bühne der großen
Politik agirten, die Fould und Billaud, Walewski und Rouher, Grammont
und Benedetti waren willenlose Werkzeuge des kaiserlichen Kabinets, sie übten
nur insofern Einfluß, als sie ihre Instructionen mit mehr oder weniger Ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0215" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124921"/>
          <p xml:id="ID_650" prev="#ID_649"> einflößten, beruhte auf dem Zusammenwirken der Liberalen und Republikaner<lb/>
gegen die officiellen Candidaten. Napoleon fügte sich scheinbar, weil schroffer<lb/>
Widerstand die Opposition nur gesteigert hätte, aber er, der sein ganzes Leben<lb/>
das parlamentarische Regiment als verderblich sür Frankreich bekämpft, war<lb/>
keineswegs über Nacht anderen Sinnes geworden. Er machte daher Concessio¬<lb/>
nen, die entweder materiell unwichtig waren, wie das Recht des gesetzgebenden<lb/>
Körpers seinen Präsidenten zu wählen, oder illusorisch, wie die Theilnahme<lb/>
des von ihm ernannten Senates an der Gesetzgebung und die Ministerver¬<lb/>
antwortlichkeit, neben der die Verantwortlichkeit des Kaisers und sein Recht<lb/>
an das Volk jederzeit zu appelliren bestehen blieb. Wo die Verantwortlich¬<lb/>
keit zwischen zwei Factoren getheilt ist, deren einer vom andern abhängt, da<lb/>
hört sie rechtlich überhaupt auf, umsomehr als die Verantwortlichkeit des<lb/>
Souveräns vor dem Volke bekanntlich erst praktisch wird, wenn dieser nicht<lb/>
mehr im Besitz der Macht ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_651"> Mit diesen Concessionen, die der Senat gehorsam ratificirte, war das<lb/>
Maß der Nachgiebigkeit erschöpft und die Sitzung des gesetzgebenden Körpers<lb/>
ward, um allen ferneren Unbequemlichkeiten vorzubeugen, geschlossen. In<lb/>
den letzten Monaten des Jahres 1869 operirte der Kaiser sehr geschickt,<lb/>
indem er der Zügellosigkeit der Radicalen freien Spielraum gab und dadurch<lb/>
die Liberalen so erschreckte, daß sie glaubten, es um keinen Preis zum Bruche<lb/>
mit dem Kaiser treiben zu dürfen. Als Bürge der verheißenen &#x201E;Krönung<lb/>
des Werkes durch die Freiheit" mußte der eitle Jdeolog? dienen, der Prophet<lb/>
des liberalen Kaisertums, den Napoleon sich bereits langer Hand gesichert. Ohne<lb/>
Garantien irgend welcher Art, in stolzem Vertrauen auf sein Talent, über¬<lb/>
nahm Ollivier in maßloser Verblendung das Ministerium, in dem er sich<lb/>
binnen weniger Monate so verbrauchte, daß er nur um den Preis bleiben<lb/>
konnte, willenloses Werkzeug des kaiserlichen Gedankens zu sein. Die Hoff¬<lb/>
nungen der vertrauensseligen Liberalen alter Schule, die laut das rkZemut<lb/>
LÄturnig, reMg, predigten, verwelkten rasch und das Plebiscit streifte den<lb/>
letzten Rest des liberalen Firnisses ab. Mit dem Ausgang desselben war das<lb/>
persönliche Regiment aufs Neue so fest begründet, daß nur eins Revolution<lb/>
es stürzen konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_652" next="#ID_653"> Aber wenn man Napoleon die Consequenz und Geschicklichkeit nicht be-<lb/>
streiten kann, mit der er an seinem Werk von 1852 festgehalten hat, so waren<lb/>
die Folgen sür Frankreich furchtbar. Mit dem Staatsstreich hörte für jeden<lb/>
unabhängigen Mann die Möglichkeit aus, sich praktisch an der Politik zu be¬<lb/>
theiligen. Die napoleonischen Minister, die fortan auf der Bühne der großen<lb/>
Politik agirten, die Fould und Billaud, Walewski und Rouher, Grammont<lb/>
und Benedetti waren willenlose Werkzeuge des kaiserlichen Kabinets, sie übten<lb/>
nur insofern Einfluß, als sie ihre Instructionen mit mehr oder weniger Ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0215] einflößten, beruhte auf dem Zusammenwirken der Liberalen und Republikaner gegen die officiellen Candidaten. Napoleon fügte sich scheinbar, weil schroffer Widerstand die Opposition nur gesteigert hätte, aber er, der sein ganzes Leben das parlamentarische Regiment als verderblich sür Frankreich bekämpft, war keineswegs über Nacht anderen Sinnes geworden. Er machte daher Concessio¬ nen, die entweder materiell unwichtig waren, wie das Recht des gesetzgebenden Körpers seinen Präsidenten zu wählen, oder illusorisch, wie die Theilnahme des von ihm ernannten Senates an der Gesetzgebung und die Ministerver¬ antwortlichkeit, neben der die Verantwortlichkeit des Kaisers und sein Recht an das Volk jederzeit zu appelliren bestehen blieb. Wo die Verantwortlich¬ keit zwischen zwei Factoren getheilt ist, deren einer vom andern abhängt, da hört sie rechtlich überhaupt auf, umsomehr als die Verantwortlichkeit des Souveräns vor dem Volke bekanntlich erst praktisch wird, wenn dieser nicht mehr im Besitz der Macht ist. Mit diesen Concessionen, die der Senat gehorsam ratificirte, war das Maß der Nachgiebigkeit erschöpft und die Sitzung des gesetzgebenden Körpers ward, um allen ferneren Unbequemlichkeiten vorzubeugen, geschlossen. In den letzten Monaten des Jahres 1869 operirte der Kaiser sehr geschickt, indem er der Zügellosigkeit der Radicalen freien Spielraum gab und dadurch die Liberalen so erschreckte, daß sie glaubten, es um keinen Preis zum Bruche mit dem Kaiser treiben zu dürfen. Als Bürge der verheißenen „Krönung des Werkes durch die Freiheit" mußte der eitle Jdeolog? dienen, der Prophet des liberalen Kaisertums, den Napoleon sich bereits langer Hand gesichert. Ohne Garantien irgend welcher Art, in stolzem Vertrauen auf sein Talent, über¬ nahm Ollivier in maßloser Verblendung das Ministerium, in dem er sich binnen weniger Monate so verbrauchte, daß er nur um den Preis bleiben konnte, willenloses Werkzeug des kaiserlichen Gedankens zu sein. Die Hoff¬ nungen der vertrauensseligen Liberalen alter Schule, die laut das rkZemut LÄturnig, reMg, predigten, verwelkten rasch und das Plebiscit streifte den letzten Rest des liberalen Firnisses ab. Mit dem Ausgang desselben war das persönliche Regiment aufs Neue so fest begründet, daß nur eins Revolution es stürzen konnte. Aber wenn man Napoleon die Consequenz und Geschicklichkeit nicht be- streiten kann, mit der er an seinem Werk von 1852 festgehalten hat, so waren die Folgen sür Frankreich furchtbar. Mit dem Staatsstreich hörte für jeden unabhängigen Mann die Möglichkeit aus, sich praktisch an der Politik zu be¬ theiligen. Die napoleonischen Minister, die fortan auf der Bühne der großen Politik agirten, die Fould und Billaud, Walewski und Rouher, Grammont und Benedetti waren willenlose Werkzeuge des kaiserlichen Kabinets, sie übten nur insofern Einfluß, als sie ihre Instructionen mit mehr oder weniger Ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/215
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/215>, abgerufen am 23.12.2024.