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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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doch mehrere gleichzeitige Symptome darauf hin, daß die Abneigung gegen
diese unbequeme Partei wo möglich noch zugenommen habe, in einem Augen¬
blick, da man es doch räthlich fand, ihr Programm zu adoptiren; also daß
aus so zwiespaltigen Anzeichen noch einmal eine große Verwirrung und fast
Bestürmung unter dem Volk entstand, das mit einer Art Sehnsucht endlich
einmal klar zu wissen begehrte, was die Regierung eigentlich wolle und
wofür die Opfer dieses Krieges gebracht werden sollen.

Also vom Eintritt in den Bund war allerdings nicht die Rede; viel
mehr war der Satz, der sich mit seiner Verfassung beschäftigte, mit großer
Kunst lediglich negativ gehalten. Nur waren es nach eigenem Geständniß
blos "unwesentliche" Bestimmungen, an welchen diesseits Anstoß genommen
werde, und daraus war man doch wohl berechtigt, zu schließen, daß an den
wesentlichen Bestimmungen besagter Nordbundsverfassung kein Anstoß genom¬
men werde. Nur sprach sich der Wunsch nach einer etwas freieren Bewe¬
gung der Einzelstaaten aus, namentlich "in Absicht auf die Verwaltung und
auf die Finanzen". Das war ziemlich bescheiden geredet, der schärfste Stachel
war dem Particularismus offenbar ausgebrochen, der ganze Ton der Er¬
klärung war entgegenkommend, und wie gesagt, ihr Eindruck war gut, Nie¬
mand hatte einen besseren zu erwarten gewagt.

Inzwischen erfuhr man denn auch, daß die Sonderwünsche, die in dieser
Erklärung nur zart angedeutet sind, keineswegs den excentrischen Charakter
der bayrischen haben und überhaupt nicht dazu angethan sind, dem Anschluß
Würtembergs an den Bund noch ernstliche Schwierigkeiten zu bereiten. Die
Vorbehalte wegen der Finanzen sollen sich einmal auf die inneren Getränke¬
steuern beziehen, und dann auf verschiedene wenig erhebliche Details, wie z. B.
auf Besoldungsverhältnisse im Heer, die sich, wie man sagt, ohne Unzukömm¬
lichkeiten nicht leicht nach der norddeutschen Scala einrichten lassen. An der
Unification des Heerwesens hat man im Uebrigen nichts auszusetzen, als daß
man dem Ernennungsrecht des Landesherrn einen größeren Spielraum ver¬
gönnt sehen möchte, und ebenso beziehen sich die Vorbehalte in Absicht auf
die Verwaltung ebenfalls wesentlich auf dieses Ernennungsrecht, selbst auf der
eigenen Verwaltung der Verkehrsanstalten wird man ohne Zweifel nicht be¬
stehen. Kurz, es sind Wünsche, über die man ins Reine kommen wird. Von
kompetenter Seite ist ausgerechnet worden, daß der Eintritt in den Bund
dem Land etwa 3 Mill. Fi. kosten werde. Hätte Würtemberg bereits die
Reform seines Steuerwesens fertig, die längst projectirt und eingeleitet, wie
üblich auf dem Schreibtisch des Herrn Moritz Mohl liegen geblieben ist und
voraussichtlich noch geraume Zeit dort liegen bleiben wird, so wäre dieser
Ausfall gar nicht zu spüren. Immer wird daher dieser Umstand die neu
eintretenden Staaten zu Anhängern einer Finanzpolitik machen, welche dahin


doch mehrere gleichzeitige Symptome darauf hin, daß die Abneigung gegen
diese unbequeme Partei wo möglich noch zugenommen habe, in einem Augen¬
blick, da man es doch räthlich fand, ihr Programm zu adoptiren; also daß
aus so zwiespaltigen Anzeichen noch einmal eine große Verwirrung und fast
Bestürmung unter dem Volk entstand, das mit einer Art Sehnsucht endlich
einmal klar zu wissen begehrte, was die Regierung eigentlich wolle und
wofür die Opfer dieses Krieges gebracht werden sollen.

Also vom Eintritt in den Bund war allerdings nicht die Rede; viel
mehr war der Satz, der sich mit seiner Verfassung beschäftigte, mit großer
Kunst lediglich negativ gehalten. Nur waren es nach eigenem Geständniß
blos „unwesentliche" Bestimmungen, an welchen diesseits Anstoß genommen
werde, und daraus war man doch wohl berechtigt, zu schließen, daß an den
wesentlichen Bestimmungen besagter Nordbundsverfassung kein Anstoß genom¬
men werde. Nur sprach sich der Wunsch nach einer etwas freieren Bewe¬
gung der Einzelstaaten aus, namentlich „in Absicht auf die Verwaltung und
auf die Finanzen". Das war ziemlich bescheiden geredet, der schärfste Stachel
war dem Particularismus offenbar ausgebrochen, der ganze Ton der Er¬
klärung war entgegenkommend, und wie gesagt, ihr Eindruck war gut, Nie¬
mand hatte einen besseren zu erwarten gewagt.

Inzwischen erfuhr man denn auch, daß die Sonderwünsche, die in dieser
Erklärung nur zart angedeutet sind, keineswegs den excentrischen Charakter
der bayrischen haben und überhaupt nicht dazu angethan sind, dem Anschluß
Würtembergs an den Bund noch ernstliche Schwierigkeiten zu bereiten. Die
Vorbehalte wegen der Finanzen sollen sich einmal auf die inneren Getränke¬
steuern beziehen, und dann auf verschiedene wenig erhebliche Details, wie z. B.
auf Besoldungsverhältnisse im Heer, die sich, wie man sagt, ohne Unzukömm¬
lichkeiten nicht leicht nach der norddeutschen Scala einrichten lassen. An der
Unification des Heerwesens hat man im Uebrigen nichts auszusetzen, als daß
man dem Ernennungsrecht des Landesherrn einen größeren Spielraum ver¬
gönnt sehen möchte, und ebenso beziehen sich die Vorbehalte in Absicht auf
die Verwaltung ebenfalls wesentlich auf dieses Ernennungsrecht, selbst auf der
eigenen Verwaltung der Verkehrsanstalten wird man ohne Zweifel nicht be¬
stehen. Kurz, es sind Wünsche, über die man ins Reine kommen wird. Von
kompetenter Seite ist ausgerechnet worden, daß der Eintritt in den Bund
dem Land etwa 3 Mill. Fi. kosten werde. Hätte Würtemberg bereits die
Reform seines Steuerwesens fertig, die längst projectirt und eingeleitet, wie
üblich auf dem Schreibtisch des Herrn Moritz Mohl liegen geblieben ist und
voraussichtlich noch geraume Zeit dort liegen bleiben wird, so wäre dieser
Ausfall gar nicht zu spüren. Immer wird daher dieser Umstand die neu
eintretenden Staaten zu Anhängern einer Finanzpolitik machen, welche dahin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/203>, abgerufen am 22.12.2024.