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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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v. Suckow vorbehielt, der in jenen Tagen im Hauptquartier zu Ferriöres
sich befand um dem König von Preußen den würtenbergische" Militärorden
zu überbringen, aber zugleich sich in anderweitige Gespräche daselbst vertieft
zu haben scheint, denn er brauchte zu dieser Mission nicht weniger denn
drei Wochen.

Von Anfang an war die Haltung Würtembergs von derjenigen Bayerns
principiell verschieden. Frühzeitig befreundete es sich mit dem Gedanken des
Eintritts in den Bund. Man sagt, es datire diese Sinnesänderung des
Hrn. v. Mittnacht von dem Augenblick, da man in Stuttgart den Entschluß
Badens erfuhr, in jedem Fall dem Bund beizutreten. Die Aussicht, schlie߬
lich mit Bayern allein zu bleiben, mit anderen Worten einer Art bayrischer
Curatel anheimzufallen, ließ den Gedanken der preußischen Führung rasch in
milderem Lichte erscheinen. Man sprach die Geneigtheit aus, den Anschluß
zu vollziehen auch ohne Bayern, und das war um so vertrauenerweckender,
als man hoffen durfte, daß gerade dadurch auch die Geneigtheit Bayerns
werde beflügelt und angefeuert werden. In der ministeriellen Erklärung,
welche der würtenbergische Staatsanzeiger am Abend des 8. October ver¬
öffentlichte, war nichts so erfreulich, als die Abwesenheit einer jeden Hindeu¬
tung auf gemeinschaftlich mit Bayern verabredete oder zu verabredende
Schritte.

Aber auch im Uebrigen trug diese Erklärung einen den Umständen ge¬
mäß ganz befriedigenden Charakter. Es war wirklich das erstemal, daß eine
offizielle Stimme aus Würtemberg in dieser Tonart sprach. Das Bedürf¬
niß einer deutschen Gesammtverfassung mit Centralgewalt, Parlament und
einheitlichem Heer war in einer Weise ausgedrückt, als ob dem Verfasser
eines jener alten Programme zum Muster vorgelegen hätte, in welchen der
Nationalverein seine Forderungen zu formuliren pflegte. Aber selbst die
Nordbundsverfassung wurde einer flüchtigen Erwähnung gewürdigt. Zwar
vom Beitritt zum Bunde war vorsichtigerweise nicht die Rede. Vermuthlich
weil man beabsichtigte das würtenbergische Volk erst allmälig auf das vor¬
zubereiten, was ihm bis jetzt als ein Greuel, nahezu als eine Art Pact mit
dem Beelzebub dargestellt worden ist. Eintritt in den Bund war seit vier
Jahren "der schrecklichste der Schrecken", gleichbedeutend mit dem unfehlbaren
Ruin des Landes, und vielleicht waren die jetzigen Minister zugleich der
Meinung, daß es ihrer eigenen Vergangenheit wenig angemessen wäre, wenn
sie sich dieses Schlagworts bedienten. Auch durfte man der deutschen Partei,
die furchtlos eben dieses Schlagwort zu ihrem Feldgeschrei erkoren hatte, un¬
möglich die Genugthuung geben, sie gleichsam jetzt im Recht erscheinen zu
lassen, nachdem sie mit so leidenschaftlicher Anstrengung und mit so fatalen
Allianzen eben um dieses Schlagworts willen bekämpft worden war. Wiesen


v. Suckow vorbehielt, der in jenen Tagen im Hauptquartier zu Ferriöres
sich befand um dem König von Preußen den würtenbergische» Militärorden
zu überbringen, aber zugleich sich in anderweitige Gespräche daselbst vertieft
zu haben scheint, denn er brauchte zu dieser Mission nicht weniger denn
drei Wochen.

Von Anfang an war die Haltung Würtembergs von derjenigen Bayerns
principiell verschieden. Frühzeitig befreundete es sich mit dem Gedanken des
Eintritts in den Bund. Man sagt, es datire diese Sinnesänderung des
Hrn. v. Mittnacht von dem Augenblick, da man in Stuttgart den Entschluß
Badens erfuhr, in jedem Fall dem Bund beizutreten. Die Aussicht, schlie߬
lich mit Bayern allein zu bleiben, mit anderen Worten einer Art bayrischer
Curatel anheimzufallen, ließ den Gedanken der preußischen Führung rasch in
milderem Lichte erscheinen. Man sprach die Geneigtheit aus, den Anschluß
zu vollziehen auch ohne Bayern, und das war um so vertrauenerweckender,
als man hoffen durfte, daß gerade dadurch auch die Geneigtheit Bayerns
werde beflügelt und angefeuert werden. In der ministeriellen Erklärung,
welche der würtenbergische Staatsanzeiger am Abend des 8. October ver¬
öffentlichte, war nichts so erfreulich, als die Abwesenheit einer jeden Hindeu¬
tung auf gemeinschaftlich mit Bayern verabredete oder zu verabredende
Schritte.

Aber auch im Uebrigen trug diese Erklärung einen den Umständen ge¬
mäß ganz befriedigenden Charakter. Es war wirklich das erstemal, daß eine
offizielle Stimme aus Würtemberg in dieser Tonart sprach. Das Bedürf¬
niß einer deutschen Gesammtverfassung mit Centralgewalt, Parlament und
einheitlichem Heer war in einer Weise ausgedrückt, als ob dem Verfasser
eines jener alten Programme zum Muster vorgelegen hätte, in welchen der
Nationalverein seine Forderungen zu formuliren pflegte. Aber selbst die
Nordbundsverfassung wurde einer flüchtigen Erwähnung gewürdigt. Zwar
vom Beitritt zum Bunde war vorsichtigerweise nicht die Rede. Vermuthlich
weil man beabsichtigte das würtenbergische Volk erst allmälig auf das vor¬
zubereiten, was ihm bis jetzt als ein Greuel, nahezu als eine Art Pact mit
dem Beelzebub dargestellt worden ist. Eintritt in den Bund war seit vier
Jahren „der schrecklichste der Schrecken", gleichbedeutend mit dem unfehlbaren
Ruin des Landes, und vielleicht waren die jetzigen Minister zugleich der
Meinung, daß es ihrer eigenen Vergangenheit wenig angemessen wäre, wenn
sie sich dieses Schlagworts bedienten. Auch durfte man der deutschen Partei,
die furchtlos eben dieses Schlagwort zu ihrem Feldgeschrei erkoren hatte, un¬
möglich die Genugthuung geben, sie gleichsam jetzt im Recht erscheinen zu
lassen, nachdem sie mit so leidenschaftlicher Anstrengung und mit so fatalen
Allianzen eben um dieses Schlagworts willen bekämpft worden war. Wiesen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/202>, abgerufen am 22.12.2024.