Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.Die alten Beziehungen, wie sie durch Volkssitte und Sprache, durch die Die deutsche Schulbildung wird an dem heranwachsenden Geschlecht die Es liegt uns fern, von Staatswegen Vorsorgen lassen zu wollen. Es Die alten Beziehungen, wie sie durch Volkssitte und Sprache, durch die Die deutsche Schulbildung wird an dem heranwachsenden Geschlecht die Es liegt uns fern, von Staatswegen Vorsorgen lassen zu wollen. Es <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124902"/> <p xml:id="ID_589" prev="#ID_588"> Die alten Beziehungen, wie sie durch Volkssitte und Sprache, durch die<lb/> Vvlksnatur geschaffen werden, bestehen noch und haben sich unter jahrhun¬<lb/> dertelanger Fremdherrschaft nicht zernichten lassen: die tausendfachen neuen<lb/> Beziehungen, welche die neue deutsche Gesittung zwischen Norden und Süden<lb/> herstellte, mangeln zwischen den beiden Ländern und dem großen Stamm¬<lb/> land. Unsere Literatur ist dort fremd und wenn man auch gewiß Goethe,<lb/> Schiller, Lessing äußerlich verstehen kann, man fühlt nicht mit ihnen, weil<lb/> sie nicht wie bei uns anderen Deutschen ein Stück eigenen Wesens geworden<lb/> sind. Die beiden Länder stehen außerhalb unseres geistigen Lebens, ihre An¬<lb/> gehörigen denken in deutscher Form nicht deutsche Gedanken.</p><lb/> <p xml:id="ID_590"> Die deutsche Schulbildung wird an dem heranwachsenden Geschlecht die<lb/> nöthige Wandlung vollziehen und in den jungen Gemüthern die Keime deut¬<lb/> schen Wesens wecken und pflegen. In einem halben Menschenalter wird die<lb/> Einwirkung der andern Schulbildung wahrnehmbar und ihr Einfluß auch bei<lb/> den Erwachsenen fühlbar sein. Wenn die Kinder deutsche Lieder singen,<lb/> deutsche Märchen erzählen und aus der deutschen Geschichte zu berichten<lb/> wissen, wird in Männern und Frauen das Gefühl der Zugehörigkeit zu jenem<lb/> deutschen Wesen rege werden. Vielleicht müssen sie sich sagen, daß es ihnen<lb/> nicht mehr völlig zu eigen werden kann, aber sie werden sich ihm nicht ver¬<lb/> schließen. Und sollte es nicht ein Mittel geben, um auch ihnen selbst dieses<lb/> Wesen unmittelbar zugänglicher zu machen, um sie selbst mit dem geistigen<lb/> Leben der Nation zu verknüpfen, um ihnen ohne Zwang und Nöthigung die<lb/> Bekanntschaft mit unseren Literaturschätzen zu ermöglichen? — Die mangelnde<lb/> Verbreitung deutscher Bücher ist wiederholt in Elsaß und Lothringen bemerkt<lb/> worden. Noch in neuester Zeit wird Klage geführt, daß der Buchhandel,<lb/> dem ja die Vermittelung des geistigen Verkehrs zufällt, so gut wie nicht ent¬<lb/> wickelt sei. Gewiß sieht die nächste Zukunft schon dies anders werden. Der<lb/> deutsche Unternehmungsgeist wird von dem neueröffneten Gebiet bald Besitz<lb/> nehmen. Das Bedürfniß nach geistiger Nahrung wind geweckt werden, wo<lb/> es schlummern sollte. Zu den Buchhandlungen werden sich Leihbibliotheken<lb/> gesellen, die uns Deutschen vorzugsweise eigenen und genehmen literarischen<lb/> Sammelpunkte- Mit diesem neuen Verkehr ist aber immer noch nicht er¬<lb/> reicht, was, wir erreichen wollen und erreichen müssen. Die allgemeine Er¬<lb/> fahrung lehrt, daß die Verbreitung nützlicher und 'guter Bücher in den nie¬<lb/> deren Volksschichten nur durch Einrichtung öffentlicher Bibliotheken, durch<lb/> Volksbibliotheken zu erzielen ist. Gründen wir deutsche Volksbiblio-<lb/> theken in Elsaß und Lothringen und wir werden für Weckung<lb/> und Pflege des deutschen Geistes unter den Bewohnern die<lb/> ersprießlichste Veranstaltung treffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_591" next="#ID_592"> Es liegt uns fern, von Staatswegen Vorsorgen lassen zu wollen. Es</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0196]
Die alten Beziehungen, wie sie durch Volkssitte und Sprache, durch die
Vvlksnatur geschaffen werden, bestehen noch und haben sich unter jahrhun¬
dertelanger Fremdherrschaft nicht zernichten lassen: die tausendfachen neuen
Beziehungen, welche die neue deutsche Gesittung zwischen Norden und Süden
herstellte, mangeln zwischen den beiden Ländern und dem großen Stamm¬
land. Unsere Literatur ist dort fremd und wenn man auch gewiß Goethe,
Schiller, Lessing äußerlich verstehen kann, man fühlt nicht mit ihnen, weil
sie nicht wie bei uns anderen Deutschen ein Stück eigenen Wesens geworden
sind. Die beiden Länder stehen außerhalb unseres geistigen Lebens, ihre An¬
gehörigen denken in deutscher Form nicht deutsche Gedanken.
Die deutsche Schulbildung wird an dem heranwachsenden Geschlecht die
nöthige Wandlung vollziehen und in den jungen Gemüthern die Keime deut¬
schen Wesens wecken und pflegen. In einem halben Menschenalter wird die
Einwirkung der andern Schulbildung wahrnehmbar und ihr Einfluß auch bei
den Erwachsenen fühlbar sein. Wenn die Kinder deutsche Lieder singen,
deutsche Märchen erzählen und aus der deutschen Geschichte zu berichten
wissen, wird in Männern und Frauen das Gefühl der Zugehörigkeit zu jenem
deutschen Wesen rege werden. Vielleicht müssen sie sich sagen, daß es ihnen
nicht mehr völlig zu eigen werden kann, aber sie werden sich ihm nicht ver¬
schließen. Und sollte es nicht ein Mittel geben, um auch ihnen selbst dieses
Wesen unmittelbar zugänglicher zu machen, um sie selbst mit dem geistigen
Leben der Nation zu verknüpfen, um ihnen ohne Zwang und Nöthigung die
Bekanntschaft mit unseren Literaturschätzen zu ermöglichen? — Die mangelnde
Verbreitung deutscher Bücher ist wiederholt in Elsaß und Lothringen bemerkt
worden. Noch in neuester Zeit wird Klage geführt, daß der Buchhandel,
dem ja die Vermittelung des geistigen Verkehrs zufällt, so gut wie nicht ent¬
wickelt sei. Gewiß sieht die nächste Zukunft schon dies anders werden. Der
deutsche Unternehmungsgeist wird von dem neueröffneten Gebiet bald Besitz
nehmen. Das Bedürfniß nach geistiger Nahrung wind geweckt werden, wo
es schlummern sollte. Zu den Buchhandlungen werden sich Leihbibliotheken
gesellen, die uns Deutschen vorzugsweise eigenen und genehmen literarischen
Sammelpunkte- Mit diesem neuen Verkehr ist aber immer noch nicht er¬
reicht, was, wir erreichen wollen und erreichen müssen. Die allgemeine Er¬
fahrung lehrt, daß die Verbreitung nützlicher und 'guter Bücher in den nie¬
deren Volksschichten nur durch Einrichtung öffentlicher Bibliotheken, durch
Volksbibliotheken zu erzielen ist. Gründen wir deutsche Volksbiblio-
theken in Elsaß und Lothringen und wir werden für Weckung
und Pflege des deutschen Geistes unter den Bewohnern die
ersprießlichste Veranstaltung treffen.
Es liegt uns fern, von Staatswegen Vorsorgen lassen zu wollen. Es
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