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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Grafen Schulenburg und die Schritte, zu denen er die sächsischen Offiziere
hat fortreißen wollen, zu kennen? Auch die Abreise des Generals Watzdorf,
welche ohne unsere Genehmigung abzuwarten erfolgt ist, hat Mißfallen er¬
regt; auf diese Weise wird man nichts gewinnen, aber ich sehe, daß das
alles unter sich und mit den Schritten des Grafen Senfft übereinstimmt."

"Sie thun dem Grafen Unrecht; er ist nicht verantwortlich für die Un¬
besonnenheiten, die ein junger Mann wie Schulenburg begangen hat." Da
ich fortfuhr, mit Wärme die Vertheidigung des Grafen Senfft zu führen,
ergriff der Fürst meine Hand, drückte sie und sagte: "Ich sehe, Sie sind ein
Ehrenmann; was Senfft betrifft, so weiß ich ebenfalls, daß er ein braver
Mann ist, aber ist gestehe Ihnen, der Antheil, den er an den polnischen An¬
gelegenheiten genommen hat, läßt ihn uns unter einem weniger günstigen
Gesichtspunkte sehen; wie können wir einen sächsischen Edelmann lieben, der
sich zum Bürger des Großherzogthums Warschau gemacht hat", und da ich
aufs Neue Senffts Vertheidigung ergriff, fuhr er fort: "Uebrigens beruhigen
Sie sich, ich glaube Ihnen versichern zu können, daß Sachsen unangetastet
bleiben wird; was das Herzogthum Warschau betrifft, so hoffe ich, Sie wer¬
den keinen großen Werth darauf legen. Unterdeß werde ich bestrebt sein,
Ihrem Vaterlande so viel wie möglich Gutes zu thun, und ich schmeichle
mir, daß der König mit mir zufrieden sein wird, wenn ich einst autorisire
sein werde, ihm sein Königreich wieder zu überantworten. Bleiben Sie
einige Tage hier, bis die Nachforschungen über Ihren Unfall beendigt sind
und speisen Sie heute bei mir."

Ich dankte für seine Güte und bat ihn um möglichst baldige Ausferti¬
gung eines Passes nach Berlin, sowie um die Besorgung eines Briefes an
den Grafen Senfft. Letzteres versprach er durch einen Courier zu thun, den
er noch den nämlichen Morgen abfertigen würde, und der ohne Zweifel blos
die mir abgenommenen Papiere ins Hauptquartier bringen sollte.

Ich fand mich zum Diner beim Fürsten ein. Bevor wir zur Tafel
gingen, erhielt er Depeschen; er nahm mich darauf bei Seite, um mir zu
sagen, zu seinem sehr großen Vergnügen erhalte er soeben von Seiten des
Kaisers die Versicherung, daß Sachsen nicht ein Dorf verlieren solle, doch
möge ich von dieser guten Nachricht vorläufig noch keinen Gebrauch machen.

Als ich mich am solgenden Morgen ihm wiederum vorstellte, machte ich
ihm bemerklich, daß ich, von dem Wunsche beseelt den König von dem, was
mir widerfahren, sowie von dem Zweck meiner Reise zu unterrichten, ihn um
die Erlaubniß bäte, eine Estafette mit einem Briefe an denselben nach Berlin
zu schicken. Seine Antwort war: "Ich sei Herr meiner Handlungen, aber
ohne besondere Instruction könne er mich nicht zur Absendung eines der¬
artigen Briefes ermächtigen." So mußte ich also auf mein Vorhaben ver-


Grafen Schulenburg und die Schritte, zu denen er die sächsischen Offiziere
hat fortreißen wollen, zu kennen? Auch die Abreise des Generals Watzdorf,
welche ohne unsere Genehmigung abzuwarten erfolgt ist, hat Mißfallen er¬
regt; auf diese Weise wird man nichts gewinnen, aber ich sehe, daß das
alles unter sich und mit den Schritten des Grafen Senfft übereinstimmt."

„Sie thun dem Grafen Unrecht; er ist nicht verantwortlich für die Un¬
besonnenheiten, die ein junger Mann wie Schulenburg begangen hat." Da
ich fortfuhr, mit Wärme die Vertheidigung des Grafen Senfft zu führen,
ergriff der Fürst meine Hand, drückte sie und sagte: „Ich sehe, Sie sind ein
Ehrenmann; was Senfft betrifft, so weiß ich ebenfalls, daß er ein braver
Mann ist, aber ist gestehe Ihnen, der Antheil, den er an den polnischen An¬
gelegenheiten genommen hat, läßt ihn uns unter einem weniger günstigen
Gesichtspunkte sehen; wie können wir einen sächsischen Edelmann lieben, der
sich zum Bürger des Großherzogthums Warschau gemacht hat", und da ich
aufs Neue Senffts Vertheidigung ergriff, fuhr er fort: „Uebrigens beruhigen
Sie sich, ich glaube Ihnen versichern zu können, daß Sachsen unangetastet
bleiben wird; was das Herzogthum Warschau betrifft, so hoffe ich, Sie wer¬
den keinen großen Werth darauf legen. Unterdeß werde ich bestrebt sein,
Ihrem Vaterlande so viel wie möglich Gutes zu thun, und ich schmeichle
mir, daß der König mit mir zufrieden sein wird, wenn ich einst autorisire
sein werde, ihm sein Königreich wieder zu überantworten. Bleiben Sie
einige Tage hier, bis die Nachforschungen über Ihren Unfall beendigt sind
und speisen Sie heute bei mir."

Ich dankte für seine Güte und bat ihn um möglichst baldige Ausferti¬
gung eines Passes nach Berlin, sowie um die Besorgung eines Briefes an
den Grafen Senfft. Letzteres versprach er durch einen Courier zu thun, den
er noch den nämlichen Morgen abfertigen würde, und der ohne Zweifel blos
die mir abgenommenen Papiere ins Hauptquartier bringen sollte.

Ich fand mich zum Diner beim Fürsten ein. Bevor wir zur Tafel
gingen, erhielt er Depeschen; er nahm mich darauf bei Seite, um mir zu
sagen, zu seinem sehr großen Vergnügen erhalte er soeben von Seiten des
Kaisers die Versicherung, daß Sachsen nicht ein Dorf verlieren solle, doch
möge ich von dieser guten Nachricht vorläufig noch keinen Gebrauch machen.

Als ich mich am solgenden Morgen ihm wiederum vorstellte, machte ich
ihm bemerklich, daß ich, von dem Wunsche beseelt den König von dem, was
mir widerfahren, sowie von dem Zweck meiner Reise zu unterrichten, ihn um
die Erlaubniß bäte, eine Estafette mit einem Briefe an denselben nach Berlin
zu schicken. Seine Antwort war: „Ich sei Herr meiner Handlungen, aber
ohne besondere Instruction könne er mich nicht zur Absendung eines der¬
artigen Briefes ermächtigen." So mußte ich also auf mein Vorhaben ver-


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[0184] Grafen Schulenburg und die Schritte, zu denen er die sächsischen Offiziere hat fortreißen wollen, zu kennen? Auch die Abreise des Generals Watzdorf, welche ohne unsere Genehmigung abzuwarten erfolgt ist, hat Mißfallen er¬ regt; auf diese Weise wird man nichts gewinnen, aber ich sehe, daß das alles unter sich und mit den Schritten des Grafen Senfft übereinstimmt." „Sie thun dem Grafen Unrecht; er ist nicht verantwortlich für die Un¬ besonnenheiten, die ein junger Mann wie Schulenburg begangen hat." Da ich fortfuhr, mit Wärme die Vertheidigung des Grafen Senfft zu führen, ergriff der Fürst meine Hand, drückte sie und sagte: „Ich sehe, Sie sind ein Ehrenmann; was Senfft betrifft, so weiß ich ebenfalls, daß er ein braver Mann ist, aber ist gestehe Ihnen, der Antheil, den er an den polnischen An¬ gelegenheiten genommen hat, läßt ihn uns unter einem weniger günstigen Gesichtspunkte sehen; wie können wir einen sächsischen Edelmann lieben, der sich zum Bürger des Großherzogthums Warschau gemacht hat", und da ich aufs Neue Senffts Vertheidigung ergriff, fuhr er fort: „Uebrigens beruhigen Sie sich, ich glaube Ihnen versichern zu können, daß Sachsen unangetastet bleiben wird; was das Herzogthum Warschau betrifft, so hoffe ich, Sie wer¬ den keinen großen Werth darauf legen. Unterdeß werde ich bestrebt sein, Ihrem Vaterlande so viel wie möglich Gutes zu thun, und ich schmeichle mir, daß der König mit mir zufrieden sein wird, wenn ich einst autorisire sein werde, ihm sein Königreich wieder zu überantworten. Bleiben Sie einige Tage hier, bis die Nachforschungen über Ihren Unfall beendigt sind und speisen Sie heute bei mir." Ich dankte für seine Güte und bat ihn um möglichst baldige Ausferti¬ gung eines Passes nach Berlin, sowie um die Besorgung eines Briefes an den Grafen Senfft. Letzteres versprach er durch einen Courier zu thun, den er noch den nämlichen Morgen abfertigen würde, und der ohne Zweifel blos die mir abgenommenen Papiere ins Hauptquartier bringen sollte. Ich fand mich zum Diner beim Fürsten ein. Bevor wir zur Tafel gingen, erhielt er Depeschen; er nahm mich darauf bei Seite, um mir zu sagen, zu seinem sehr großen Vergnügen erhalte er soeben von Seiten des Kaisers die Versicherung, daß Sachsen nicht ein Dorf verlieren solle, doch möge ich von dieser guten Nachricht vorläufig noch keinen Gebrauch machen. Als ich mich am solgenden Morgen ihm wiederum vorstellte, machte ich ihm bemerklich, daß ich, von dem Wunsche beseelt den König von dem, was mir widerfahren, sowie von dem Zweck meiner Reise zu unterrichten, ihn um die Erlaubniß bäte, eine Estafette mit einem Briefe an denselben nach Berlin zu schicken. Seine Antwort war: „Ich sei Herr meiner Handlungen, aber ohne besondere Instruction könne er mich nicht zur Absendung eines der¬ artigen Briefes ermächtigen." So mußte ich also auf mein Vorhaben ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/184>, abgerufen am 23.12.2024.