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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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hatte und außerdem mich in voller Sicherheit zu befinden glaubte, so gab
ich darauf weiter nicht Acht, später aber behauptete der Postillon bemerkt zu
haben, daß uns ein Kosak immer in einer gewissen Entsernung gefolgt sei.
Etwa vierhundert Schritte vom Thore überholte uns eine Kalesche, in der
sich, wie ich später erfuhr, ein preußischer Courier befand. Da der Weg
überaus schlecht, so befahl ich dem Postillon immer unmittelbar dieser Kalesche
zu folgen; er that dies auch eine Stunde lang, weil sie aber, leichter als
mein Wagen, zu schnell fuhr, so gab er es wieder aus. Zehn Minuten
etwa, nachdem sie uns aus dem Gesichte gekommen war, wurde mein Wagen,
etwa eine Meile von Leipzig, plötzlich von ungefähr fünfundzwanzig Kosaken
umringt, die sich auf beiden Seiten der Straße aufgestellt hatten; sie warfen
auf der Stelle den Bedienten und den Postillon vom Bock, ein Kosak setzte
sich statt ihrer auf und fuhr, von der Straße abbiegend, in Carriere quer¬
feldein; seine Kameraden stachen mit ihren Lanzen die Pferde, zerbrachen
sofort die Laternen und versuchten den Wagen umzuwerfen, was ihnen jedoch
nicht gelang. Während dieser rapiden Fahrt und schon im ersten Augenblick
des Angriffs, war ein Kosak in den Wagen hereingeklettert und gebot uns
zu schweigen, obgleich mein Begleiter ihm auf russisch zuschrie, wir hätten
östreichische und russische Pässe. In der Hoffnung, mich dadurch zu befreien,
bot ich ihm meine Börse; er nahm sie an, aber ohne daß ich dadurch das
Uebrige retten konnte. Etwa hundertundfunfzig Schritt von der Straße hielt
endlich der Wagen bei einem kleinen Gehölz; der Bediente und der Postillon,
welche von zwei Kosaken neben ihren Pferden hergeschleppt und ab und zu
durch Schläge zum schneller laufen angetrieben wurden, kamen ungefähr gleich¬
zeitig mit uns dort an. Man öffnete den Wagenschlag und ließ mich ziemlich
höflich aussteigen, jeder von uns wurde, einer vom andern entfernt, von einem
Kosaken am Mantel festgehalten. Da ich nicht russisch kann, sagte ich ihnen
auf deutsch, sie könnten mir alles nehmen, nur möchten sie mich nicht mi߬
handeln. Der neben mir befindliche Kosak verstand mich, denn er machte mir
ein Zeichen, daß man mir nichts zu leide thun würde, wiederholte aber dabei
mehrmals "Si. Se." Sobald der Guide, der Anfangs den Kopf ganz ver¬
loren hatte, sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, schrie er ihnen auf
russisch zu, ich sei ein Courier mit Visum des Fürsten Repnin, wenn sie uns
plünderten, würden sie alle gehangen werden; man hieß ihn aber schweigen
und da er fortfuhr gegen diese Verletzung des Völkerrechts zu Protestiren, so
erhielt er mehrere Schläge, die ihn endlich nöthigten still zu sein. Drei von
den Kosaken, in denen er Offiziere erkannt haben will, warfen sich unterdessen
auf den Wagen, zerbrachen die Kasten, durchwühlten alles und rissen den
Inhalt heraus, sodann visierten sie mich und meine Leute desgleichen vom
Kops zum Fuß, zogen mir die Stiefeln aus, um zu sehen, ob ich nichts


hatte und außerdem mich in voller Sicherheit zu befinden glaubte, so gab
ich darauf weiter nicht Acht, später aber behauptete der Postillon bemerkt zu
haben, daß uns ein Kosak immer in einer gewissen Entsernung gefolgt sei.
Etwa vierhundert Schritte vom Thore überholte uns eine Kalesche, in der
sich, wie ich später erfuhr, ein preußischer Courier befand. Da der Weg
überaus schlecht, so befahl ich dem Postillon immer unmittelbar dieser Kalesche
zu folgen; er that dies auch eine Stunde lang, weil sie aber, leichter als
mein Wagen, zu schnell fuhr, so gab er es wieder aus. Zehn Minuten
etwa, nachdem sie uns aus dem Gesichte gekommen war, wurde mein Wagen,
etwa eine Meile von Leipzig, plötzlich von ungefähr fünfundzwanzig Kosaken
umringt, die sich auf beiden Seiten der Straße aufgestellt hatten; sie warfen
auf der Stelle den Bedienten und den Postillon vom Bock, ein Kosak setzte
sich statt ihrer auf und fuhr, von der Straße abbiegend, in Carriere quer¬
feldein; seine Kameraden stachen mit ihren Lanzen die Pferde, zerbrachen
sofort die Laternen und versuchten den Wagen umzuwerfen, was ihnen jedoch
nicht gelang. Während dieser rapiden Fahrt und schon im ersten Augenblick
des Angriffs, war ein Kosak in den Wagen hereingeklettert und gebot uns
zu schweigen, obgleich mein Begleiter ihm auf russisch zuschrie, wir hätten
östreichische und russische Pässe. In der Hoffnung, mich dadurch zu befreien,
bot ich ihm meine Börse; er nahm sie an, aber ohne daß ich dadurch das
Uebrige retten konnte. Etwa hundertundfunfzig Schritt von der Straße hielt
endlich der Wagen bei einem kleinen Gehölz; der Bediente und der Postillon,
welche von zwei Kosaken neben ihren Pferden hergeschleppt und ab und zu
durch Schläge zum schneller laufen angetrieben wurden, kamen ungefähr gleich¬
zeitig mit uns dort an. Man öffnete den Wagenschlag und ließ mich ziemlich
höflich aussteigen, jeder von uns wurde, einer vom andern entfernt, von einem
Kosaken am Mantel festgehalten. Da ich nicht russisch kann, sagte ich ihnen
auf deutsch, sie könnten mir alles nehmen, nur möchten sie mich nicht mi߬
handeln. Der neben mir befindliche Kosak verstand mich, denn er machte mir
ein Zeichen, daß man mir nichts zu leide thun würde, wiederholte aber dabei
mehrmals „Si. Se." Sobald der Guide, der Anfangs den Kopf ganz ver¬
loren hatte, sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, schrie er ihnen auf
russisch zu, ich sei ein Courier mit Visum des Fürsten Repnin, wenn sie uns
plünderten, würden sie alle gehangen werden; man hieß ihn aber schweigen
und da er fortfuhr gegen diese Verletzung des Völkerrechts zu Protestiren, so
erhielt er mehrere Schläge, die ihn endlich nöthigten still zu sein. Drei von
den Kosaken, in denen er Offiziere erkannt haben will, warfen sich unterdessen
auf den Wagen, zerbrachen die Kasten, durchwühlten alles und rissen den
Inhalt heraus, sodann visierten sie mich und meine Leute desgleichen vom
Kops zum Fuß, zogen mir die Stiefeln aus, um zu sehen, ob ich nichts


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/181>, abgerufen am 23.12.2024.