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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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der neugebildeten national-liberalen Partei finden wir ihn in dem Vorder¬
grund der neuen Session -- als Berichterstatter über die "Indemnitätsbill"
und die dazu gehörigen Finanzgesetze, als Berichterstatter über das Wahl¬
gesetz des norddeutschen Bundes, in einer Reihe seiner besten Reden. Wir
finden ihn bald darauf in dem norddeutschen Reichstag als Vertreter
der Kreise Reichenbach-Neurode, gemeinschaftlich mit Laster als Verfasser
der praktisch bewährten Geschäftsordnung des norddeutschen Parlaments, als
den eifrigen Fürsprecher und Mitarbeiter der norddeutschen Verfassung, die
er dann wieder im preußischen Abgeordnetenhause als Berichterstatter in
meisterhafter Rede (vom 6. Mai 1867) vertreten hat. In diese Zeit fällt
auch ein vortrefflicher Aufsatz der Preuß. Jahrbücher über das Beamtenwesen
in Preußen, charakteristisch durch eine seltene Unbefangenheit und Würdigung
der Bedeutung und Verdienste unseres Beamtenstandes. Mehr vielleicht als
irgend ein anderes einzelnes Mitglied der Landesvertretung ist er den höhe¬
ren Zielen der heutigen Politik Preußens nützlich gewesen. Hand in Hand
damit geht aber fortlaufend die Verfolgung derselben Regierung, das Ver¬
nichtungsurtheil des Obertribunals, die Strafurtheile des Stadtgerichts und
Kammergerichts. Kurz vorangegangen waren die Mißhandlungen der Ber¬
liner Wahlmannschaft. Mitten in jener Thätigkeit ergeht ein nochmaliger
Obertribunalsbeschluß vom 18, Februar 1867. der ihn wegen einer über
den früheren Beschluß gehaltenen Rede zur "Disciplinar-Untersuchung" zieht.
Diese greisenhafte Bureaukratie versucht noch einmal, auch das Schema der
Beamtendisciplin gegen die verfassungsmäßige Stellung der Landesvertreter
in Bewegung zu setzen! Das mühevolle, ärmlich besoldete preußische Richter¬
amt war ihm denn schließlich so verleidet worden, daß er im Jahre 1868
seinen Abschied nahm.

Mitten in den aufreibenden Arbeiten einer doppelten Parlamentsthätig¬
keit wurden schon die Symptome einer wankenden Gesundheit sicht¬
bar. Sein zarter Körper, welcher bereits im zehnten, dann nochmals im
siebenundzwanzigsten Jahre zu erliegen drohte, bedürfte jederzeit der Schonung
und Ruhe. Er fand sie im Vaterhause, aber nur, um stets zu neuen Kämpfen
und aufreibenden Arbeiten aufgerufen zu werden. Endlich versagte der
Körper den Dienst. Zum letzten Male am 25. April 1869 vermochte er per¬
sönlich an einer Parlamentsverhandlung Theil zu nehmen. Von da an be¬
ginnt eine Epoche des Hinsiechens, periodisch aufsteigend und zurücksinkend
in Besserung und Abnahme unter treuer Pflege seiner Schwester. Ein Er¬
holungsaufenthalt in Potsdam im Spätsommer 1870 endet aber mit einem
gefährlichen Rückfall; mit dem Herbstanfang war die Hoffnung auf seine Er¬
haltung bereits verschwunden.

Es war ihm jedoch noch vergönnt, die Morgenröthe zu sehen, mit welcher


der neugebildeten national-liberalen Partei finden wir ihn in dem Vorder¬
grund der neuen Session — als Berichterstatter über die „Indemnitätsbill"
und die dazu gehörigen Finanzgesetze, als Berichterstatter über das Wahl¬
gesetz des norddeutschen Bundes, in einer Reihe seiner besten Reden. Wir
finden ihn bald darauf in dem norddeutschen Reichstag als Vertreter
der Kreise Reichenbach-Neurode, gemeinschaftlich mit Laster als Verfasser
der praktisch bewährten Geschäftsordnung des norddeutschen Parlaments, als
den eifrigen Fürsprecher und Mitarbeiter der norddeutschen Verfassung, die
er dann wieder im preußischen Abgeordnetenhause als Berichterstatter in
meisterhafter Rede (vom 6. Mai 1867) vertreten hat. In diese Zeit fällt
auch ein vortrefflicher Aufsatz der Preuß. Jahrbücher über das Beamtenwesen
in Preußen, charakteristisch durch eine seltene Unbefangenheit und Würdigung
der Bedeutung und Verdienste unseres Beamtenstandes. Mehr vielleicht als
irgend ein anderes einzelnes Mitglied der Landesvertretung ist er den höhe¬
ren Zielen der heutigen Politik Preußens nützlich gewesen. Hand in Hand
damit geht aber fortlaufend die Verfolgung derselben Regierung, das Ver¬
nichtungsurtheil des Obertribunals, die Strafurtheile des Stadtgerichts und
Kammergerichts. Kurz vorangegangen waren die Mißhandlungen der Ber¬
liner Wahlmannschaft. Mitten in jener Thätigkeit ergeht ein nochmaliger
Obertribunalsbeschluß vom 18, Februar 1867. der ihn wegen einer über
den früheren Beschluß gehaltenen Rede zur „Disciplinar-Untersuchung" zieht.
Diese greisenhafte Bureaukratie versucht noch einmal, auch das Schema der
Beamtendisciplin gegen die verfassungsmäßige Stellung der Landesvertreter
in Bewegung zu setzen! Das mühevolle, ärmlich besoldete preußische Richter¬
amt war ihm denn schließlich so verleidet worden, daß er im Jahre 1868
seinen Abschied nahm.

Mitten in den aufreibenden Arbeiten einer doppelten Parlamentsthätig¬
keit wurden schon die Symptome einer wankenden Gesundheit sicht¬
bar. Sein zarter Körper, welcher bereits im zehnten, dann nochmals im
siebenundzwanzigsten Jahre zu erliegen drohte, bedürfte jederzeit der Schonung
und Ruhe. Er fand sie im Vaterhause, aber nur, um stets zu neuen Kämpfen
und aufreibenden Arbeiten aufgerufen zu werden. Endlich versagte der
Körper den Dienst. Zum letzten Male am 25. April 1869 vermochte er per¬
sönlich an einer Parlamentsverhandlung Theil zu nehmen. Von da an be¬
ginnt eine Epoche des Hinsiechens, periodisch aufsteigend und zurücksinkend
in Besserung und Abnahme unter treuer Pflege seiner Schwester. Ein Er¬
holungsaufenthalt in Potsdam im Spätsommer 1870 endet aber mit einem
gefährlichen Rückfall; mit dem Herbstanfang war die Hoffnung auf seine Er¬
haltung bereits verschwunden.

Es war ihm jedoch noch vergönnt, die Morgenröthe zu sehen, mit welcher


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[0175] der neugebildeten national-liberalen Partei finden wir ihn in dem Vorder¬ grund der neuen Session — als Berichterstatter über die „Indemnitätsbill" und die dazu gehörigen Finanzgesetze, als Berichterstatter über das Wahl¬ gesetz des norddeutschen Bundes, in einer Reihe seiner besten Reden. Wir finden ihn bald darauf in dem norddeutschen Reichstag als Vertreter der Kreise Reichenbach-Neurode, gemeinschaftlich mit Laster als Verfasser der praktisch bewährten Geschäftsordnung des norddeutschen Parlaments, als den eifrigen Fürsprecher und Mitarbeiter der norddeutschen Verfassung, die er dann wieder im preußischen Abgeordnetenhause als Berichterstatter in meisterhafter Rede (vom 6. Mai 1867) vertreten hat. In diese Zeit fällt auch ein vortrefflicher Aufsatz der Preuß. Jahrbücher über das Beamtenwesen in Preußen, charakteristisch durch eine seltene Unbefangenheit und Würdigung der Bedeutung und Verdienste unseres Beamtenstandes. Mehr vielleicht als irgend ein anderes einzelnes Mitglied der Landesvertretung ist er den höhe¬ ren Zielen der heutigen Politik Preußens nützlich gewesen. Hand in Hand damit geht aber fortlaufend die Verfolgung derselben Regierung, das Ver¬ nichtungsurtheil des Obertribunals, die Strafurtheile des Stadtgerichts und Kammergerichts. Kurz vorangegangen waren die Mißhandlungen der Ber¬ liner Wahlmannschaft. Mitten in jener Thätigkeit ergeht ein nochmaliger Obertribunalsbeschluß vom 18, Februar 1867. der ihn wegen einer über den früheren Beschluß gehaltenen Rede zur „Disciplinar-Untersuchung" zieht. Diese greisenhafte Bureaukratie versucht noch einmal, auch das Schema der Beamtendisciplin gegen die verfassungsmäßige Stellung der Landesvertreter in Bewegung zu setzen! Das mühevolle, ärmlich besoldete preußische Richter¬ amt war ihm denn schließlich so verleidet worden, daß er im Jahre 1868 seinen Abschied nahm. Mitten in den aufreibenden Arbeiten einer doppelten Parlamentsthätig¬ keit wurden schon die Symptome einer wankenden Gesundheit sicht¬ bar. Sein zarter Körper, welcher bereits im zehnten, dann nochmals im siebenundzwanzigsten Jahre zu erliegen drohte, bedürfte jederzeit der Schonung und Ruhe. Er fand sie im Vaterhause, aber nur, um stets zu neuen Kämpfen und aufreibenden Arbeiten aufgerufen zu werden. Endlich versagte der Körper den Dienst. Zum letzten Male am 25. April 1869 vermochte er per¬ sönlich an einer Parlamentsverhandlung Theil zu nehmen. Von da an be¬ ginnt eine Epoche des Hinsiechens, periodisch aufsteigend und zurücksinkend in Besserung und Abnahme unter treuer Pflege seiner Schwester. Ein Er¬ holungsaufenthalt in Potsdam im Spätsommer 1870 endet aber mit einem gefährlichen Rückfall; mit dem Herbstanfang war die Hoffnung auf seine Er¬ haltung bereits verschwunden. Es war ihm jedoch noch vergönnt, die Morgenröthe zu sehen, mit welcher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/175>, abgerufen am 09.01.2025.