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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Saarcanal läuft bis westlich von Saargemünd und im Norden noch einige
deutsche Districte den Franzosen überläßt, eine weiteste, welche von Saar-
bürg weiter in französisches Gebiet etwa bis Remilly sich ausdehnt und Metz in
den Erwerb einschließt. Den Wiedergewinn des deutschen Elsaß und des östlichen
Saarlandes betrachtet man fast überall in Deutschland als nationale Forderung,
der wir uns nicht entziehen dürfen. Auch d. Bl. hat mehrfach dafür gesprochen.
Wir wissen sehr gut, daß wir damit für ein ganzes Menschenalter eine große
Culturaufgabe, vielleicht eine Gefahr auf uns nehmen. Aber wir wissen
auch, daß wir durch diese Beschwerden der deutschen Nation einen geraub¬
ten Stamm zurückgeben und unseren Enkeln einen wirklichen Zuwachs an
nationaler Kraft. Nirgend ist dies Gefühl lebendiger als im deutschen Süden
und man würde den Gewinn, welchen der Krieg für unsere Einigung haben
mag, geradezu preisgeben, wenn man diese gemüthliche Forderung des
Volkes unbeachtet lassen wollte. Auch das Interesse sämmtlicher Regierungen
fällt hier zusammen, die süddeutschen Staaten sahen sich als Grenznachbarn
Frankreichs in unablässiger Unsicherheit und in einer immer wiederkehrenden
Versuchung undeutsche Politik zu treiben. Für die Regierung des nord¬
deutschen Bundes hat die Frage eine etwas andere Bedeutung. Wird der
Elsaß deutsch, so wird -- vorausgesetzt, daß man ihn nicht zu Bayern und
nicht zu Baden schlägt, was beide Staaten ohnedies nicht wollen -- das
bisherige Zollvereinsgebiet im Süden des Mains ein Binnenland. Dadurch
aber ändert sich mit einem Schlage der Werth, welchen die Staaten des Südens
in ihrer gegenwärtigen Lage für die Mächte des Auslandes haben. Was
dem Süden behaglich wäre, würde für das übrige Deutschland eine Ver¬
minderung auswärtiger Beziehungen der einzelnen Südstaaten, zugleich eine
Verminderung ihrer europäischen Bedeutung, auch darum ein großer Ge¬
winn. Die Schwierigkeit, den Elsaß und das Saarland in Deutschland
politisch zu organisiren, ist nicht gering. Es ist unthunlich, die Elsässer
in das System Eulenburg-Muster und das Doppelspiel des preußischen
Landtags und Reichstags hineinzuzwängen, und für die Constituirung
der Landschaft als eines directen Reichslandes sind sehr schwer die
Formen zu finden, in denen eine straffe Verwaltung und das Eintragen
preußischer Zucht in eine zum Theil abgeneigte Bevölkerung möglich
wird. Indeß diese Formen können doch gefunden werden, und es wird eine
werthvolle Aufgabe für gescheute Deutsche, jetzt darüber nachzudenken. Ein
neutralisirter Elsaß als ein besonderer Staat wie Belgien ist völlig unaus¬
führbar. Eine solche politische Mißgeburt könnte, selbst wenn die Neutralität
noch so gründlich unter den Schutz der Neutralen gestellt würde, die Fran¬
zosen nicht hindern durch Bündnisse, zur See, zuletzt durch Verletzung der
Neutralität ihre böswillige Gesinnung gegen uns zu bethätigen, sie würden


Saarcanal läuft bis westlich von Saargemünd und im Norden noch einige
deutsche Districte den Franzosen überläßt, eine weiteste, welche von Saar-
bürg weiter in französisches Gebiet etwa bis Remilly sich ausdehnt und Metz in
den Erwerb einschließt. Den Wiedergewinn des deutschen Elsaß und des östlichen
Saarlandes betrachtet man fast überall in Deutschland als nationale Forderung,
der wir uns nicht entziehen dürfen. Auch d. Bl. hat mehrfach dafür gesprochen.
Wir wissen sehr gut, daß wir damit für ein ganzes Menschenalter eine große
Culturaufgabe, vielleicht eine Gefahr auf uns nehmen. Aber wir wissen
auch, daß wir durch diese Beschwerden der deutschen Nation einen geraub¬
ten Stamm zurückgeben und unseren Enkeln einen wirklichen Zuwachs an
nationaler Kraft. Nirgend ist dies Gefühl lebendiger als im deutschen Süden
und man würde den Gewinn, welchen der Krieg für unsere Einigung haben
mag, geradezu preisgeben, wenn man diese gemüthliche Forderung des
Volkes unbeachtet lassen wollte. Auch das Interesse sämmtlicher Regierungen
fällt hier zusammen, die süddeutschen Staaten sahen sich als Grenznachbarn
Frankreichs in unablässiger Unsicherheit und in einer immer wiederkehrenden
Versuchung undeutsche Politik zu treiben. Für die Regierung des nord¬
deutschen Bundes hat die Frage eine etwas andere Bedeutung. Wird der
Elsaß deutsch, so wird — vorausgesetzt, daß man ihn nicht zu Bayern und
nicht zu Baden schlägt, was beide Staaten ohnedies nicht wollen — das
bisherige Zollvereinsgebiet im Süden des Mains ein Binnenland. Dadurch
aber ändert sich mit einem Schlage der Werth, welchen die Staaten des Südens
in ihrer gegenwärtigen Lage für die Mächte des Auslandes haben. Was
dem Süden behaglich wäre, würde für das übrige Deutschland eine Ver¬
minderung auswärtiger Beziehungen der einzelnen Südstaaten, zugleich eine
Verminderung ihrer europäischen Bedeutung, auch darum ein großer Ge¬
winn. Die Schwierigkeit, den Elsaß und das Saarland in Deutschland
politisch zu organisiren, ist nicht gering. Es ist unthunlich, die Elsässer
in das System Eulenburg-Muster und das Doppelspiel des preußischen
Landtags und Reichstags hineinzuzwängen, und für die Constituirung
der Landschaft als eines directen Reichslandes sind sehr schwer die
Formen zu finden, in denen eine straffe Verwaltung und das Eintragen
preußischer Zucht in eine zum Theil abgeneigte Bevölkerung möglich
wird. Indeß diese Formen können doch gefunden werden, und es wird eine
werthvolle Aufgabe für gescheute Deutsche, jetzt darüber nachzudenken. Ein
neutralisirter Elsaß als ein besonderer Staat wie Belgien ist völlig unaus¬
führbar. Eine solche politische Mißgeburt könnte, selbst wenn die Neutralität
noch so gründlich unter den Schutz der Neutralen gestellt würde, die Fran¬
zosen nicht hindern durch Bündnisse, zur See, zuletzt durch Verletzung der
Neutralität ihre böswillige Gesinnung gegen uns zu bethätigen, sie würden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/16>, abgerufen am 23.12.2024.