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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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bringen. Graf Astorge eilt also spornstreichs zu Herrn v. Dalwigk um Auf¬
klärung zu verlangen über das, was er als eine Handlung offner Rebellion
zu betrachten geneigt ist. Herr v. Dalwigk aber ist verreist, vielleicht auf
seinem Gütchen bei Waldeck, um die Wiesen zu wässern, eine Beschäftigung,
der er hoffentlich bald auf immer überlassen werden wird. Als Stellvertreter
des Ministers fungirt ein Herr v. Bechthold, die büreaukratische Solidität in
dem hessischen Reactionsgebräu darstellend, auf dem Herr v. Dalwigk als
leichter Schaum thront. Was zwischen dem französischen Gesandten und dem
dessen-darmstädtischen Geheimenrath vorgegangen, ist der profanen Welt und
somit auch meinen Berichterstattern unbekannt geblieben; man muß es sich
aus den Folgen construiren, die jenes Gespräch hatte. Denn alsbald nachher
wird der Pc-lizeioirctor und Kreisrath von Darmstadt, v. Willich eilends auf
das Ministerium citirt und über den Sachverhalt zur Rede gestellt. Der
Mann kann es nicht leugnen, er Hot, irregeführt durch einige patriotische
Trompetenstöße der Darmstädter offiziellen Zeitung die Volksversammlung,
um deren Genehmigung er befragt worden war, gestattet. Unglücklicher
Polizeidirector, was hattest du begangen! In die feinsten diplomatischen Ge¬
webe warst du mit plumper Hand hineingefahren, die Zukunft von Hessen-
Da>uflade hattest du compromittirt. Allein Wut xeut rot^oUr hat
NapoUon einige Wochen später gesagt; auch hier war eine Retablirung
möglich. Zwar ohne einen Fehler konnte es nicht abgehen, denn eine patrio¬
tische Volksversammlung in diesem Augenblick verbieten, sie verbieten, nachdem
man sie vorher erlaubt halte, das mußte ja die Absichten der hessischen Re¬
gierung in einem bedenklichen Licht in Berlin erscheinen lassen. Anstoß in
Berlin oder Anstoß in Paris -- furchtbare Lage für den hessischen Geheime-
rath in Abwesenheit des leitenden Ministers, der das Geheimniß hessischer
Politik in seiner Brust trug! Der Geheimerath aber folgte dem traditiomllen
Zug hessischer Staatsweisheit und zog den Anstoß in Berlin vor. Dem
Polizeidirector wurde die Weisung ertheilt, die Erlaubniß zur Abhaltung der
Versammlung zurückzunehmen.

Der Polizeidirector versammelte auch als bald die Veranstalter der Volks¬
versammlung und trug ihnen ein Schauergemälde über die nächste Zukunft
Süddeutschlands vor. Schon seien die Franzosen in Freiburg eingerückt (!),
in wenigen Tagen würden sie ganz Süddeutschland überschwemmt haben und
es wäre auf das höchste gefährlich, die Franzosen auch noch durch Demon¬
strationen zu reizen. Diese merkwürdigen Enthüllungen konnte der Polizei¬
director nicht aus den Fingern gesogen haben, und da er von dem Ministerial-
rath kam und dieser von dem französischen Gesandten, so darf man, ohne
allzu kühn zu sein, die End-Quelle dieser Nachrichten in dem Letzteren suchen.
Mit Entrüstung und Beschämung vernahmen die Bürger diese Sprache aus


bringen. Graf Astorge eilt also spornstreichs zu Herrn v. Dalwigk um Auf¬
klärung zu verlangen über das, was er als eine Handlung offner Rebellion
zu betrachten geneigt ist. Herr v. Dalwigk aber ist verreist, vielleicht auf
seinem Gütchen bei Waldeck, um die Wiesen zu wässern, eine Beschäftigung,
der er hoffentlich bald auf immer überlassen werden wird. Als Stellvertreter
des Ministers fungirt ein Herr v. Bechthold, die büreaukratische Solidität in
dem hessischen Reactionsgebräu darstellend, auf dem Herr v. Dalwigk als
leichter Schaum thront. Was zwischen dem französischen Gesandten und dem
dessen-darmstädtischen Geheimenrath vorgegangen, ist der profanen Welt und
somit auch meinen Berichterstattern unbekannt geblieben; man muß es sich
aus den Folgen construiren, die jenes Gespräch hatte. Denn alsbald nachher
wird der Pc-lizeioirctor und Kreisrath von Darmstadt, v. Willich eilends auf
das Ministerium citirt und über den Sachverhalt zur Rede gestellt. Der
Mann kann es nicht leugnen, er Hot, irregeführt durch einige patriotische
Trompetenstöße der Darmstädter offiziellen Zeitung die Volksversammlung,
um deren Genehmigung er befragt worden war, gestattet. Unglücklicher
Polizeidirector, was hattest du begangen! In die feinsten diplomatischen Ge¬
webe warst du mit plumper Hand hineingefahren, die Zukunft von Hessen-
Da>uflade hattest du compromittirt. Allein Wut xeut rot^oUr hat
NapoUon einige Wochen später gesagt; auch hier war eine Retablirung
möglich. Zwar ohne einen Fehler konnte es nicht abgehen, denn eine patrio¬
tische Volksversammlung in diesem Augenblick verbieten, sie verbieten, nachdem
man sie vorher erlaubt halte, das mußte ja die Absichten der hessischen Re¬
gierung in einem bedenklichen Licht in Berlin erscheinen lassen. Anstoß in
Berlin oder Anstoß in Paris — furchtbare Lage für den hessischen Geheime-
rath in Abwesenheit des leitenden Ministers, der das Geheimniß hessischer
Politik in seiner Brust trug! Der Geheimerath aber folgte dem traditiomllen
Zug hessischer Staatsweisheit und zog den Anstoß in Berlin vor. Dem
Polizeidirector wurde die Weisung ertheilt, die Erlaubniß zur Abhaltung der
Versammlung zurückzunehmen.

Der Polizeidirector versammelte auch als bald die Veranstalter der Volks¬
versammlung und trug ihnen ein Schauergemälde über die nächste Zukunft
Süddeutschlands vor. Schon seien die Franzosen in Freiburg eingerückt (!),
in wenigen Tagen würden sie ganz Süddeutschland überschwemmt haben und
es wäre auf das höchste gefährlich, die Franzosen auch noch durch Demon¬
strationen zu reizen. Diese merkwürdigen Enthüllungen konnte der Polizei¬
director nicht aus den Fingern gesogen haben, und da er von dem Ministerial-
rath kam und dieser von dem französischen Gesandten, so darf man, ohne
allzu kühn zu sein, die End-Quelle dieser Nachrichten in dem Letzteren suchen.
Mit Entrüstung und Beschämung vernahmen die Bürger diese Sprache aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/154>, abgerufen am 23.12.2024.