Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.Wille Deutschlands und aller seiner Stämme, deren Einheit endlich durch Ich habe Ihnen offen und frei meine Meinung gesagt, wie Sie es Ihre Nation -- ich spreche nicht von Einzelnen, wie ich sie in Ihrer Aber kann man sich darüber wundern? Wer sind die Männer, denen Wille Deutschlands und aller seiner Stämme, deren Einheit endlich durch Ich habe Ihnen offen und frei meine Meinung gesagt, wie Sie es Ihre Nation — ich spreche nicht von Einzelnen, wie ich sie in Ihrer Aber kann man sich darüber wundern? Wer sind die Männer, denen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0148" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124854"/> <p xml:id="ID_456" prev="#ID_455"> Wille Deutschlands und aller seiner Stämme, deren Einheit endlich durch<lb/> das auf zehn Schlachtfeldern gemeinsam vergossene Blut gekittet ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_457"> Ich habe Ihnen offen und frei meine Meinung gesagt, wie Sie es<lb/> verlangt haben, aber ich kann Ihnen auch eine letzte Wahrheit nicht ersparen,<lb/> selbst auf die Gefahr hin, Ihr französisches Herz noch schmerzlicher zu<lb/> verletzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_458"> Ihre Nation — ich spreche nicht von Einzelnen, wie ich sie in Ihrer<lb/> Familie und in anderen kenne, mit welchen ich durch unauflösliche Bande<lb/> der Freundschaft verknüpft bin — Ihre Nation als solche ist unter diesem<lb/> verabscheuungswerthen Kaiserreiche auf eine klägliche Weise entsittlicht und<lb/> entwürdigt worden; schon unter so vielen früheren Einflüssen in ihrem innersten<lb/> Kerne verderbt, ist sie jetzt völlig entartet und tief herabgekommen. Das hat<lb/> sie bewiesen durch Alles, was sie in den letzten Wochen gegen das Völkerrecht<lb/> und gegen die Gesetze der Humanität gethan hat, aber ganz vorzüglich durch<lb/> diese brutale und gehässige Austreibung der friedlichen Deutschen, die ihr seit<lb/> langer Zeit durch ihren Gewerbfleiß und ihre mühseligen Arbeiten so viel<lb/> Dienste geleistet haben. Nie hat ein gebildetes Volk so gegen Fremde ge¬<lb/> handelt; selbst die Türken haben die unter ihnen wohnenden Griechen mehr<lb/> geachtet. Bei uns ist nicht ein einziger Franzose beleidigt, verhöhnt, geschweige<lb/> Plötzlich verjagt und unbarmherzig ins Elend gestürzt worden. Die öffent¬<lb/> lichen Erklärungen vieler Franzosen in Berlin, Hamburg, Frankfurt u. a.<lb/> bezeugen es. Wir aber sehen Schaaren von Reichen und Armen an unsern<lb/> Grenzen ankommen, welche die Früchte eines langen arbeitsamen Lebens in<lb/> Frankreich haben zurücklassen müssen und die Ihre Polizei nicht gegen die<lb/> gröbsten Mißhandlungen des von Ihren Journalisten aufgesetzten Pöbels<lb/> hat vertheidigen können, oder — wollen. Und Ihre Republikaner, die sich<lb/> im Anfange für sie verwendeten, sie haben ihr Regiment damit angefangen,<lb/> die Maßregeln zu verschärfen und noch weiter auszudehnen, gegen die sie früher<lb/> eine heuchlerische Opposition gemacht hatten. Vor wenigen Tagen noch ist<lb/> ein ehrenwerther Künstler, der Bildhauer König, ausgetrieben worden. Ver¬<lb/> gebens zeigte er den Polizeiagenten seine sterbende Mutter, er mußte sie in<lb/> Betten gehüllt mit fortnehmen und als sie auf dem Transport zur Eisenbahn<lb/> gestorben war, da hat man nicht einmal ihrer Schwiegertochter gestattet,<lb/> noch einige Tage in Paris zu bleiben, um sie zu begraben. Giebt es einen<lb/> schreienderen Beweis für die sittliche Verderbniß, die Ihre Nation ergriffen<lb/> hat, als eine solche durch nichts gerechtfertigte elende Rache, die man für<lb/> erlittene Niederlagen an Unschuldigen genommen hat?</p><lb/> <p xml:id="ID_459" next="#ID_460"> Aber kann man sich darüber wundern? Wer sind die Männer, denen<lb/> Sie über zwanzig Jahre lang die Bestimmung Ihrer Geschicke überlassen, die<lb/> Sie auf Befehl der kaiserlichen Präfecten gewählt haben, um die Nation zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0148]
Wille Deutschlands und aller seiner Stämme, deren Einheit endlich durch
das auf zehn Schlachtfeldern gemeinsam vergossene Blut gekittet ist.
Ich habe Ihnen offen und frei meine Meinung gesagt, wie Sie es
verlangt haben, aber ich kann Ihnen auch eine letzte Wahrheit nicht ersparen,
selbst auf die Gefahr hin, Ihr französisches Herz noch schmerzlicher zu
verletzen.
Ihre Nation — ich spreche nicht von Einzelnen, wie ich sie in Ihrer
Familie und in anderen kenne, mit welchen ich durch unauflösliche Bande
der Freundschaft verknüpft bin — Ihre Nation als solche ist unter diesem
verabscheuungswerthen Kaiserreiche auf eine klägliche Weise entsittlicht und
entwürdigt worden; schon unter so vielen früheren Einflüssen in ihrem innersten
Kerne verderbt, ist sie jetzt völlig entartet und tief herabgekommen. Das hat
sie bewiesen durch Alles, was sie in den letzten Wochen gegen das Völkerrecht
und gegen die Gesetze der Humanität gethan hat, aber ganz vorzüglich durch
diese brutale und gehässige Austreibung der friedlichen Deutschen, die ihr seit
langer Zeit durch ihren Gewerbfleiß und ihre mühseligen Arbeiten so viel
Dienste geleistet haben. Nie hat ein gebildetes Volk so gegen Fremde ge¬
handelt; selbst die Türken haben die unter ihnen wohnenden Griechen mehr
geachtet. Bei uns ist nicht ein einziger Franzose beleidigt, verhöhnt, geschweige
Plötzlich verjagt und unbarmherzig ins Elend gestürzt worden. Die öffent¬
lichen Erklärungen vieler Franzosen in Berlin, Hamburg, Frankfurt u. a.
bezeugen es. Wir aber sehen Schaaren von Reichen und Armen an unsern
Grenzen ankommen, welche die Früchte eines langen arbeitsamen Lebens in
Frankreich haben zurücklassen müssen und die Ihre Polizei nicht gegen die
gröbsten Mißhandlungen des von Ihren Journalisten aufgesetzten Pöbels
hat vertheidigen können, oder — wollen. Und Ihre Republikaner, die sich
im Anfange für sie verwendeten, sie haben ihr Regiment damit angefangen,
die Maßregeln zu verschärfen und noch weiter auszudehnen, gegen die sie früher
eine heuchlerische Opposition gemacht hatten. Vor wenigen Tagen noch ist
ein ehrenwerther Künstler, der Bildhauer König, ausgetrieben worden. Ver¬
gebens zeigte er den Polizeiagenten seine sterbende Mutter, er mußte sie in
Betten gehüllt mit fortnehmen und als sie auf dem Transport zur Eisenbahn
gestorben war, da hat man nicht einmal ihrer Schwiegertochter gestattet,
noch einige Tage in Paris zu bleiben, um sie zu begraben. Giebt es einen
schreienderen Beweis für die sittliche Verderbniß, die Ihre Nation ergriffen
hat, als eine solche durch nichts gerechtfertigte elende Rache, die man für
erlittene Niederlagen an Unschuldigen genommen hat?
Aber kann man sich darüber wundern? Wer sind die Männer, denen
Sie über zwanzig Jahre lang die Bestimmung Ihrer Geschicke überlassen, die
Sie auf Befehl der kaiserlichen Präfecten gewählt haben, um die Nation zu
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