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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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wenden, um sich einer wichtigen Festung zu bemächtigen, und selbst das noch
mit aller möglichen Schonung? Nein, nein, lieber Freund, seien Sie so un¬
parteiisch, anzuerkennen, daß sie nichts anderes gethan haben, als was alle
gebildeten Nationen seit der Erfindung des Schießpulvers in allen Kriegen
für nothwendig erachtet haben, und daß, wenn die Baudenkmäler und die
geschichtlichen Schätze Straßburgs gerettet werden sollten, die Franzosen zuerst
dafür Sorge tragen mußten.

Es bleibt mir noch übrig, Ihnen meine Meinung über Ihre Drohungen
zu sagen, welche gleich denen, die in diesem Augenblicke aus dem Schoße Ihrer
provisorischen Regierung ertönen, uns ankündigen, daß nicht ein Preuße
lebendig aus Frankreich kommen werde, wenn wir nicht demüthig zu un¬
seren Hütten zurückkehren, um die Hekatomben unserer heldenmütigen Lands¬
leute zu beweinen, die vergeblich geopfert wären. -- Ich weiß nicht, ob die
letzten Ereignisse, die Sie bei Abgang Ihres Briefes noch nicht kannten, die
Capitulation von Sedan und die Gefangenschaft Napoleons. Ihre Zuversicht
etwas erschüttert haben; nach der ganzen Haltung Ihres Briefes kann ich
es kaum glauben. Lassen Sie mich Ihnen also sagen, daß ich an die Ver¬
wirklichung dieser Drohungen durchaus nicht glaube. Eine Armee, die in so
kurzer Zeit Ihre besten mit Chassepots und Mitrailleusen ausgerüsteten Trup¬
pen besiegt, die sie trotz hartnäckigen Widerstandes aus den günstigsten Stel¬
lungen getrieben hat, wird nicht vor einer Masse ungeübter Bürger ohne
genügende Waffen, ohne kriegsgeübte Anführer, ohne militärischen Geist und
Zucht zurückweichen, Dinge, die auch der glühendste Patriotismus nicht er¬
setzen kann. Es sind jetzt nicht mehr die Zeiten von 1792; die Franzosen
sind nicht mehr die begeisterten Söhne einer unter furchtbaren Kämpfen voll¬
brachten Revolution und die Männer der Schreckenszeit, welche 1793 die
Bevölkerung an die Grenze und die Generale, durch die Aussicht auf die
Guillotine, in den Schlachtentod trieben, waren andere Leute als Gambetta,
der jetzt die alte Blütezeit heraufbeschwören will. Aber auch die Deutschen
find jetzt nicht mehr die Soldaten des alten Zopfes und nicht mehr durch
tausend Eifersüchteleien und engherzige Selbstsucht getheilt und ohnmächtig.
Sie sprechen immer von der Ungleichheit der Zahl -- 1:3 und mehr --
welche für uns entschieden habe; das ist auch eine jener Täuschungen, mit
denen man Sie betrogen hat, um die Ungeschicklichkeit Ihrer Generale zu ver¬
tuschen und die Tapferkeit unserer Krieger zu verkümmern. In den meisten
Kämpfen waren, wenigstens im Anfange derselben, unsere Schaaren immer
weniger zahlreich, als die der Franzosen und sie mußten noch dazu fast stets
Höhen mit Kanonen und Mitrailleusen gespickt erstürmen, sür welche die
Distanzen im Voraus bezeichnet waren. Am 16. August hat eine Division,
gerade die, welcher mein Schwager angehört, sechs Stunden lang fast allein


wenden, um sich einer wichtigen Festung zu bemächtigen, und selbst das noch
mit aller möglichen Schonung? Nein, nein, lieber Freund, seien Sie so un¬
parteiisch, anzuerkennen, daß sie nichts anderes gethan haben, als was alle
gebildeten Nationen seit der Erfindung des Schießpulvers in allen Kriegen
für nothwendig erachtet haben, und daß, wenn die Baudenkmäler und die
geschichtlichen Schätze Straßburgs gerettet werden sollten, die Franzosen zuerst
dafür Sorge tragen mußten.

Es bleibt mir noch übrig, Ihnen meine Meinung über Ihre Drohungen
zu sagen, welche gleich denen, die in diesem Augenblicke aus dem Schoße Ihrer
provisorischen Regierung ertönen, uns ankündigen, daß nicht ein Preuße
lebendig aus Frankreich kommen werde, wenn wir nicht demüthig zu un¬
seren Hütten zurückkehren, um die Hekatomben unserer heldenmütigen Lands¬
leute zu beweinen, die vergeblich geopfert wären. — Ich weiß nicht, ob die
letzten Ereignisse, die Sie bei Abgang Ihres Briefes noch nicht kannten, die
Capitulation von Sedan und die Gefangenschaft Napoleons. Ihre Zuversicht
etwas erschüttert haben; nach der ganzen Haltung Ihres Briefes kann ich
es kaum glauben. Lassen Sie mich Ihnen also sagen, daß ich an die Ver¬
wirklichung dieser Drohungen durchaus nicht glaube. Eine Armee, die in so
kurzer Zeit Ihre besten mit Chassepots und Mitrailleusen ausgerüsteten Trup¬
pen besiegt, die sie trotz hartnäckigen Widerstandes aus den günstigsten Stel¬
lungen getrieben hat, wird nicht vor einer Masse ungeübter Bürger ohne
genügende Waffen, ohne kriegsgeübte Anführer, ohne militärischen Geist und
Zucht zurückweichen, Dinge, die auch der glühendste Patriotismus nicht er¬
setzen kann. Es sind jetzt nicht mehr die Zeiten von 1792; die Franzosen
sind nicht mehr die begeisterten Söhne einer unter furchtbaren Kämpfen voll¬
brachten Revolution und die Männer der Schreckenszeit, welche 1793 die
Bevölkerung an die Grenze und die Generale, durch die Aussicht auf die
Guillotine, in den Schlachtentod trieben, waren andere Leute als Gambetta,
der jetzt die alte Blütezeit heraufbeschwören will. Aber auch die Deutschen
find jetzt nicht mehr die Soldaten des alten Zopfes und nicht mehr durch
tausend Eifersüchteleien und engherzige Selbstsucht getheilt und ohnmächtig.
Sie sprechen immer von der Ungleichheit der Zahl — 1:3 und mehr —
welche für uns entschieden habe; das ist auch eine jener Täuschungen, mit
denen man Sie betrogen hat, um die Ungeschicklichkeit Ihrer Generale zu ver¬
tuschen und die Tapferkeit unserer Krieger zu verkümmern. In den meisten
Kämpfen waren, wenigstens im Anfange derselben, unsere Schaaren immer
weniger zahlreich, als die der Franzosen und sie mußten noch dazu fast stets
Höhen mit Kanonen und Mitrailleusen gespickt erstürmen, sür welche die
Distanzen im Voraus bezeichnet waren. Am 16. August hat eine Division,
gerade die, welcher mein Schwager angehört, sechs Stunden lang fast allein


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[0146] wenden, um sich einer wichtigen Festung zu bemächtigen, und selbst das noch mit aller möglichen Schonung? Nein, nein, lieber Freund, seien Sie so un¬ parteiisch, anzuerkennen, daß sie nichts anderes gethan haben, als was alle gebildeten Nationen seit der Erfindung des Schießpulvers in allen Kriegen für nothwendig erachtet haben, und daß, wenn die Baudenkmäler und die geschichtlichen Schätze Straßburgs gerettet werden sollten, die Franzosen zuerst dafür Sorge tragen mußten. Es bleibt mir noch übrig, Ihnen meine Meinung über Ihre Drohungen zu sagen, welche gleich denen, die in diesem Augenblicke aus dem Schoße Ihrer provisorischen Regierung ertönen, uns ankündigen, daß nicht ein Preuße lebendig aus Frankreich kommen werde, wenn wir nicht demüthig zu un¬ seren Hütten zurückkehren, um die Hekatomben unserer heldenmütigen Lands¬ leute zu beweinen, die vergeblich geopfert wären. — Ich weiß nicht, ob die letzten Ereignisse, die Sie bei Abgang Ihres Briefes noch nicht kannten, die Capitulation von Sedan und die Gefangenschaft Napoleons. Ihre Zuversicht etwas erschüttert haben; nach der ganzen Haltung Ihres Briefes kann ich es kaum glauben. Lassen Sie mich Ihnen also sagen, daß ich an die Ver¬ wirklichung dieser Drohungen durchaus nicht glaube. Eine Armee, die in so kurzer Zeit Ihre besten mit Chassepots und Mitrailleusen ausgerüsteten Trup¬ pen besiegt, die sie trotz hartnäckigen Widerstandes aus den günstigsten Stel¬ lungen getrieben hat, wird nicht vor einer Masse ungeübter Bürger ohne genügende Waffen, ohne kriegsgeübte Anführer, ohne militärischen Geist und Zucht zurückweichen, Dinge, die auch der glühendste Patriotismus nicht er¬ setzen kann. Es sind jetzt nicht mehr die Zeiten von 1792; die Franzosen sind nicht mehr die begeisterten Söhne einer unter furchtbaren Kämpfen voll¬ brachten Revolution und die Männer der Schreckenszeit, welche 1793 die Bevölkerung an die Grenze und die Generale, durch die Aussicht auf die Guillotine, in den Schlachtentod trieben, waren andere Leute als Gambetta, der jetzt die alte Blütezeit heraufbeschwören will. Aber auch die Deutschen find jetzt nicht mehr die Soldaten des alten Zopfes und nicht mehr durch tausend Eifersüchteleien und engherzige Selbstsucht getheilt und ohnmächtig. Sie sprechen immer von der Ungleichheit der Zahl — 1:3 und mehr — welche für uns entschieden habe; das ist auch eine jener Täuschungen, mit denen man Sie betrogen hat, um die Ungeschicklichkeit Ihrer Generale zu ver¬ tuschen und die Tapferkeit unserer Krieger zu verkümmern. In den meisten Kämpfen waren, wenigstens im Anfange derselben, unsere Schaaren immer weniger zahlreich, als die der Franzosen und sie mußten noch dazu fast stets Höhen mit Kanonen und Mitrailleusen gespickt erstürmen, sür welche die Distanzen im Voraus bezeichnet waren. Am 16. August hat eine Division, gerade die, welcher mein Schwager angehört, sechs Stunden lang fast allein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/146>, abgerufen am 23.12.2024.