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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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unserer Handelsinteressen in dortigen Gewässern und außerdem ein unschätz¬
barer Stützpunkt für unsere Marine, die sich in der Reinigung jener Gewässer
von Piraten vortrefflich ausbilden könnte; die Besitzung ist erst seit kurzem
von Frankreich gewonnen, die Deutschen haben bereits einen bedeutenden
Theil des Handels dort in ihren Händen." -- Trotzdem haben wir Bedenken,
unseren Staatsmännern die Forderung der Abtretung Saigun's von Frank¬
reich jetzt anzurathen. Solche Stationen, die zunächst nach unseren Grund¬
sätzen selbstverständlich wie Singapore Freihafen sein müßten, haben eigent¬
lich nur eine Bedeutung in ihrer Mehrzahl, wenn sie sich gegenseitig schützen
und stützen. In britischen Händen freilich sind selbst die ödesten Kohlen-
und Wasserstationen wichtig, denn sie liegen allenthalben zwischen mächtigen
Colonialländern, eine gewaltige Kriegsflotte ist im Stande alle etwa be¬
drohten Relais zugleich zu schützen. Was hülfe aber uns am Ende das eine
Saigun in so weiter Ferne, auch wenn wir dort ein oder zwei Kriegsschiffe
stationären könnten, sobald ein Krieg mit einer größeren Seemacht uns
heimsuchte? Unsere Chinafahrer lägen dann in Saigun blokirt, statt in
Hamburg; ich sehe nicht, was ihnen das für großen Nutzen brächte. So
müßten wir also wohl gar gleich mehrere Stationen fordern, vielleicht das
stockfranzösische Bourbon oder das "idyllische" Tahiti? Es wäre zunächst nur
um so schlimmer. Für unseren Handel bleibt das A und das O die Ver¬
mehrung unserer Kriegsflotte. Nun wird uns eine solche, bei dem schnellen
Wechsel der Systeme des Schiffsbaues, in den nächsten Jahrzehenden noch
enorme Summen kosten, auch für den Schutz der heimischen Küsten dürfte
-- trotz ihres ausreichenden passiven Widerstandes im gegenwärtigen Kriege
-- noch viel zu thun sein. Sollen wir uns da gerade jetzt noch die unge¬
heueren Kosten aufbürden, die aus der Einrichtung auch nur einer einzigen
ostasiatischen Station erwachsen müssen? Vielleicht nur um, wenn wir mit
der Gründung nicht ganz fertig geworden sind, ein neues Angriffsobject sür
einen nächsten Conflict zu schaffen?

Wir geben das alles ernstlicher Erwägung anheim und bekennen, daß
wir -- wohlverstanden, wie jetzt unsere Seemacht beschaffen ist -- zu dem
ganzen Handel nicht rathen können. Es gäbe aber, mein' ich, außer der
stetigen Vermehrung unserer Flotte noch eine andere Vorkehrung, die wir
gegen künftige Gefährdung unseres Handels treffen könnten. Möchten unsere
Staatsmänner unter die Friedensbedingungen vielmehr die Anerkennung der
Unverletzlichkeit alles Privatgutes zur See durch Frankreich aufnehmen! Die
kleinen und mittleren Seemächte werden gern hinzutreten; das seegewaltige
Amerika reicht uns schon dazu die Hand. Und England? "Altengland",
sagte Nelson einst, "erwartet, daß jeder seine Schuldigkeit thue." Wann wird
Wieder jeder erwarten dürfen, daß Altengland seine Schuldigkeit thue? --


a./D.


unserer Handelsinteressen in dortigen Gewässern und außerdem ein unschätz¬
barer Stützpunkt für unsere Marine, die sich in der Reinigung jener Gewässer
von Piraten vortrefflich ausbilden könnte; die Besitzung ist erst seit kurzem
von Frankreich gewonnen, die Deutschen haben bereits einen bedeutenden
Theil des Handels dort in ihren Händen." — Trotzdem haben wir Bedenken,
unseren Staatsmännern die Forderung der Abtretung Saigun's von Frank¬
reich jetzt anzurathen. Solche Stationen, die zunächst nach unseren Grund¬
sätzen selbstverständlich wie Singapore Freihafen sein müßten, haben eigent¬
lich nur eine Bedeutung in ihrer Mehrzahl, wenn sie sich gegenseitig schützen
und stützen. In britischen Händen freilich sind selbst die ödesten Kohlen-
und Wasserstationen wichtig, denn sie liegen allenthalben zwischen mächtigen
Colonialländern, eine gewaltige Kriegsflotte ist im Stande alle etwa be¬
drohten Relais zugleich zu schützen. Was hülfe aber uns am Ende das eine
Saigun in so weiter Ferne, auch wenn wir dort ein oder zwei Kriegsschiffe
stationären könnten, sobald ein Krieg mit einer größeren Seemacht uns
heimsuchte? Unsere Chinafahrer lägen dann in Saigun blokirt, statt in
Hamburg; ich sehe nicht, was ihnen das für großen Nutzen brächte. So
müßten wir also wohl gar gleich mehrere Stationen fordern, vielleicht das
stockfranzösische Bourbon oder das „idyllische" Tahiti? Es wäre zunächst nur
um so schlimmer. Für unseren Handel bleibt das A und das O die Ver¬
mehrung unserer Kriegsflotte. Nun wird uns eine solche, bei dem schnellen
Wechsel der Systeme des Schiffsbaues, in den nächsten Jahrzehenden noch
enorme Summen kosten, auch für den Schutz der heimischen Küsten dürfte
— trotz ihres ausreichenden passiven Widerstandes im gegenwärtigen Kriege
— noch viel zu thun sein. Sollen wir uns da gerade jetzt noch die unge¬
heueren Kosten aufbürden, die aus der Einrichtung auch nur einer einzigen
ostasiatischen Station erwachsen müssen? Vielleicht nur um, wenn wir mit
der Gründung nicht ganz fertig geworden sind, ein neues Angriffsobject sür
einen nächsten Conflict zu schaffen?

Wir geben das alles ernstlicher Erwägung anheim und bekennen, daß
wir — wohlverstanden, wie jetzt unsere Seemacht beschaffen ist — zu dem
ganzen Handel nicht rathen können. Es gäbe aber, mein' ich, außer der
stetigen Vermehrung unserer Flotte noch eine andere Vorkehrung, die wir
gegen künftige Gefährdung unseres Handels treffen könnten. Möchten unsere
Staatsmänner unter die Friedensbedingungen vielmehr die Anerkennung der
Unverletzlichkeit alles Privatgutes zur See durch Frankreich aufnehmen! Die
kleinen und mittleren Seemächte werden gern hinzutreten; das seegewaltige
Amerika reicht uns schon dazu die Hand. Und England? „Altengland",
sagte Nelson einst, „erwartet, daß jeder seine Schuldigkeit thue." Wann wird
Wieder jeder erwarten dürfen, daß Altengland seine Schuldigkeit thue? —


a./D.


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[0136] unserer Handelsinteressen in dortigen Gewässern und außerdem ein unschätz¬ barer Stützpunkt für unsere Marine, die sich in der Reinigung jener Gewässer von Piraten vortrefflich ausbilden könnte; die Besitzung ist erst seit kurzem von Frankreich gewonnen, die Deutschen haben bereits einen bedeutenden Theil des Handels dort in ihren Händen." — Trotzdem haben wir Bedenken, unseren Staatsmännern die Forderung der Abtretung Saigun's von Frank¬ reich jetzt anzurathen. Solche Stationen, die zunächst nach unseren Grund¬ sätzen selbstverständlich wie Singapore Freihafen sein müßten, haben eigent¬ lich nur eine Bedeutung in ihrer Mehrzahl, wenn sie sich gegenseitig schützen und stützen. In britischen Händen freilich sind selbst die ödesten Kohlen- und Wasserstationen wichtig, denn sie liegen allenthalben zwischen mächtigen Colonialländern, eine gewaltige Kriegsflotte ist im Stande alle etwa be¬ drohten Relais zugleich zu schützen. Was hülfe aber uns am Ende das eine Saigun in so weiter Ferne, auch wenn wir dort ein oder zwei Kriegsschiffe stationären könnten, sobald ein Krieg mit einer größeren Seemacht uns heimsuchte? Unsere Chinafahrer lägen dann in Saigun blokirt, statt in Hamburg; ich sehe nicht, was ihnen das für großen Nutzen brächte. So müßten wir also wohl gar gleich mehrere Stationen fordern, vielleicht das stockfranzösische Bourbon oder das „idyllische" Tahiti? Es wäre zunächst nur um so schlimmer. Für unseren Handel bleibt das A und das O die Ver¬ mehrung unserer Kriegsflotte. Nun wird uns eine solche, bei dem schnellen Wechsel der Systeme des Schiffsbaues, in den nächsten Jahrzehenden noch enorme Summen kosten, auch für den Schutz der heimischen Küsten dürfte — trotz ihres ausreichenden passiven Widerstandes im gegenwärtigen Kriege — noch viel zu thun sein. Sollen wir uns da gerade jetzt noch die unge¬ heueren Kosten aufbürden, die aus der Einrichtung auch nur einer einzigen ostasiatischen Station erwachsen müssen? Vielleicht nur um, wenn wir mit der Gründung nicht ganz fertig geworden sind, ein neues Angriffsobject sür einen nächsten Conflict zu schaffen? Wir geben das alles ernstlicher Erwägung anheim und bekennen, daß wir — wohlverstanden, wie jetzt unsere Seemacht beschaffen ist — zu dem ganzen Handel nicht rathen können. Es gäbe aber, mein' ich, außer der stetigen Vermehrung unserer Flotte noch eine andere Vorkehrung, die wir gegen künftige Gefährdung unseres Handels treffen könnten. Möchten unsere Staatsmänner unter die Friedensbedingungen vielmehr die Anerkennung der Unverletzlichkeit alles Privatgutes zur See durch Frankreich aufnehmen! Die kleinen und mittleren Seemächte werden gern hinzutreten; das seegewaltige Amerika reicht uns schon dazu die Hand. Und England? „Altengland", sagte Nelson einst, „erwartet, daß jeder seine Schuldigkeit thue." Wann wird Wieder jeder erwarten dürfen, daß Altengland seine Schuldigkeit thue? — a./D.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/136>, abgerufen am 22.12.2024.