Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zu helfen ist. Wir aber haben sonst Ruhmes genug, um des punischen und
batavischen entrathen zu können.

Ich habe versucht die Vorstellung zu bekämpfen, als seien uns Handels-
colonien nothwendig oder auch nur wünschenswerth. Gehen wir zu den
anderen Gattungen von Ansiedlungen über. Von der Eroberungscolonie
Algerien hat wohl noch Niemand gemeint und wird auch keiner meinen, daß
Deutschland mit der Besitznahme dieser großen Kriegsschule auf der nahen
Gegenküste Frankreichs irgend etwas gewönne.

Wir kommen nun zu dem tausendfach wiederholten Begehren nach
Colonien. die geeignet wären, den Strom unserer unaufhörlichen Auswanderung
in sich zusammenzufassen, auf daß er nicht in alle Welt verrinne und seine
volkstümliche Kraft versiege. Ja, wenn wir dergleichen Colonien haben
könnten! Zwar daß sie nicht von uns aus beherrscht werden dürften, würde
uns die Geschichte lehren. Aber eben ein von Anfang frei verkehrendes, selb¬
ständiges, zweites Deutschland irgend wo zu gründen, es wäre ein Ziel, auf's
innigste zu wünschen! nur daß uns Frankreichs Colonialbestand dazu nicht
die mindeste Handhabe bietet. Handelt es sich doch um eine Ackerbaucolonie
in einem dem unseren entsprechenden Klima, denn Bauern bilden den Haupt¬
stock unserer Auswanderung. Warum haben nur die bösen Franzosen das
prächtige Canada schon früher verloren! Denn in den Plantagen von
Guadeloupe oder gar Cayenne würden doch unsere Hinterpommern und
Schwaben schwerlich arbeiten mögen? Doch genug von diesen Chimären!

Noch bleibt ein Vorschlag zu erledigen übrig, der sich am ersten hören
läßt und den wir auch nicht so unbedingt, wie die anderen, von der Hand
weisen wollen. Es lassen sich nämlich gewichtige Stimmen etwa folgender¬
maßen vernehmen: Die Zeit der eigentlichen Colonialpolitik sei freilich vor¬
über, aber von unendlicher Wichtigkeit für unseren Handel und für die Ent¬
wicklung unserer Marine sei die Erwerbung von Stationen für beide. Als
eine solche Hort man von verschiedenen Seiten besonders Saigun in Cochin-
china anpreisen. "Die ostindisch-chinesische Schiffahrt", schreibt uns ein Freund
unseres Blattes, "ist der Lebensnerv der transatlantischen Segelrhederei, welche'
durch die großen Actien-Dampsschiffahrtsgesellschaften zwischen Europa und
Amerika auf null reducirt ist, die norddeutsche Flagge ist in allen chinesischen
Häfen die zweite, in manchen die erste. Vor allem aber ist Saigun als
Marinestation wichtig; von diesem Punkt aus legen die Franzosen bei jedem
Kriege nicht allein, sondern bei jedem nur drohenden Conflicte unsere chine¬
sische Schiffahrt vollständig brach; kein deutscher Capitän wagt sich dann in
jene Gewässer, kein Haus vertraut seine Sendungen dorthin deutschen Schiffen.
Hundeite von deutschen Schiffen liegen jetzt in ostindischen, chinesischen,
japanischen Häfen müßig und das ist ein ineinen cessunL, das keine Con-
tribution zu ersetzen vermag. Saigun in unseren Händen ist Sicherstellung


zu helfen ist. Wir aber haben sonst Ruhmes genug, um des punischen und
batavischen entrathen zu können.

Ich habe versucht die Vorstellung zu bekämpfen, als seien uns Handels-
colonien nothwendig oder auch nur wünschenswerth. Gehen wir zu den
anderen Gattungen von Ansiedlungen über. Von der Eroberungscolonie
Algerien hat wohl noch Niemand gemeint und wird auch keiner meinen, daß
Deutschland mit der Besitznahme dieser großen Kriegsschule auf der nahen
Gegenküste Frankreichs irgend etwas gewönne.

Wir kommen nun zu dem tausendfach wiederholten Begehren nach
Colonien. die geeignet wären, den Strom unserer unaufhörlichen Auswanderung
in sich zusammenzufassen, auf daß er nicht in alle Welt verrinne und seine
volkstümliche Kraft versiege. Ja, wenn wir dergleichen Colonien haben
könnten! Zwar daß sie nicht von uns aus beherrscht werden dürften, würde
uns die Geschichte lehren. Aber eben ein von Anfang frei verkehrendes, selb¬
ständiges, zweites Deutschland irgend wo zu gründen, es wäre ein Ziel, auf's
innigste zu wünschen! nur daß uns Frankreichs Colonialbestand dazu nicht
die mindeste Handhabe bietet. Handelt es sich doch um eine Ackerbaucolonie
in einem dem unseren entsprechenden Klima, denn Bauern bilden den Haupt¬
stock unserer Auswanderung. Warum haben nur die bösen Franzosen das
prächtige Canada schon früher verloren! Denn in den Plantagen von
Guadeloupe oder gar Cayenne würden doch unsere Hinterpommern und
Schwaben schwerlich arbeiten mögen? Doch genug von diesen Chimären!

Noch bleibt ein Vorschlag zu erledigen übrig, der sich am ersten hören
läßt und den wir auch nicht so unbedingt, wie die anderen, von der Hand
weisen wollen. Es lassen sich nämlich gewichtige Stimmen etwa folgender¬
maßen vernehmen: Die Zeit der eigentlichen Colonialpolitik sei freilich vor¬
über, aber von unendlicher Wichtigkeit für unseren Handel und für die Ent¬
wicklung unserer Marine sei die Erwerbung von Stationen für beide. Als
eine solche Hort man von verschiedenen Seiten besonders Saigun in Cochin-
china anpreisen. „Die ostindisch-chinesische Schiffahrt", schreibt uns ein Freund
unseres Blattes, „ist der Lebensnerv der transatlantischen Segelrhederei, welche'
durch die großen Actien-Dampsschiffahrtsgesellschaften zwischen Europa und
Amerika auf null reducirt ist, die norddeutsche Flagge ist in allen chinesischen
Häfen die zweite, in manchen die erste. Vor allem aber ist Saigun als
Marinestation wichtig; von diesem Punkt aus legen die Franzosen bei jedem
Kriege nicht allein, sondern bei jedem nur drohenden Conflicte unsere chine¬
sische Schiffahrt vollständig brach; kein deutscher Capitän wagt sich dann in
jene Gewässer, kein Haus vertraut seine Sendungen dorthin deutschen Schiffen.
Hundeite von deutschen Schiffen liegen jetzt in ostindischen, chinesischen,
japanischen Häfen müßig und das ist ein ineinen cessunL, das keine Con-
tribution zu ersetzen vermag. Saigun in unseren Händen ist Sicherstellung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0135" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124841"/>
          <p xml:id="ID_421" prev="#ID_420"> zu helfen ist. Wir aber haben sonst Ruhmes genug, um des punischen und<lb/>
batavischen entrathen zu können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_422"> Ich habe versucht die Vorstellung zu bekämpfen, als seien uns Handels-<lb/>
colonien nothwendig oder auch nur wünschenswerth. Gehen wir zu den<lb/>
anderen Gattungen von Ansiedlungen über. Von der Eroberungscolonie<lb/>
Algerien hat wohl noch Niemand gemeint und wird auch keiner meinen, daß<lb/>
Deutschland mit der Besitznahme dieser großen Kriegsschule auf der nahen<lb/>
Gegenküste Frankreichs irgend etwas gewönne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_423"> Wir kommen nun zu dem tausendfach wiederholten Begehren nach<lb/>
Colonien. die geeignet wären, den Strom unserer unaufhörlichen Auswanderung<lb/>
in sich zusammenzufassen, auf daß er nicht in alle Welt verrinne und seine<lb/>
volkstümliche Kraft versiege. Ja, wenn wir dergleichen Colonien haben<lb/>
könnten! Zwar daß sie nicht von uns aus beherrscht werden dürften, würde<lb/>
uns die Geschichte lehren. Aber eben ein von Anfang frei verkehrendes, selb¬<lb/>
ständiges, zweites Deutschland irgend wo zu gründen, es wäre ein Ziel, auf's<lb/>
innigste zu wünschen! nur daß uns Frankreichs Colonialbestand dazu nicht<lb/>
die mindeste Handhabe bietet. Handelt es sich doch um eine Ackerbaucolonie<lb/>
in einem dem unseren entsprechenden Klima, denn Bauern bilden den Haupt¬<lb/>
stock unserer Auswanderung. Warum haben nur die bösen Franzosen das<lb/>
prächtige Canada schon früher verloren! Denn in den Plantagen von<lb/>
Guadeloupe oder gar Cayenne würden doch unsere Hinterpommern und<lb/>
Schwaben schwerlich arbeiten mögen?  Doch genug von diesen Chimären!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_424" next="#ID_425"> Noch bleibt ein Vorschlag zu erledigen übrig, der sich am ersten hören<lb/>
läßt und den wir auch nicht so unbedingt, wie die anderen, von der Hand<lb/>
weisen wollen. Es lassen sich nämlich gewichtige Stimmen etwa folgender¬<lb/>
maßen vernehmen: Die Zeit der eigentlichen Colonialpolitik sei freilich vor¬<lb/>
über, aber von unendlicher Wichtigkeit für unseren Handel und für die Ent¬<lb/>
wicklung unserer Marine sei die Erwerbung von Stationen für beide. Als<lb/>
eine solche Hort man von verschiedenen Seiten besonders Saigun in Cochin-<lb/>
china anpreisen. &#x201E;Die ostindisch-chinesische Schiffahrt", schreibt uns ein Freund<lb/>
unseres Blattes, &#x201E;ist der Lebensnerv der transatlantischen Segelrhederei, welche'<lb/>
durch die großen Actien-Dampsschiffahrtsgesellschaften zwischen Europa und<lb/>
Amerika auf null reducirt ist, die norddeutsche Flagge ist in allen chinesischen<lb/>
Häfen die zweite, in manchen die erste. Vor allem aber ist Saigun als<lb/>
Marinestation wichtig; von diesem Punkt aus legen die Franzosen bei jedem<lb/>
Kriege nicht allein, sondern bei jedem nur drohenden Conflicte unsere chine¬<lb/>
sische Schiffahrt vollständig brach; kein deutscher Capitän wagt sich dann in<lb/>
jene Gewässer, kein Haus vertraut seine Sendungen dorthin deutschen Schiffen.<lb/>
Hundeite von deutschen Schiffen liegen jetzt in ostindischen, chinesischen,<lb/>
japanischen Häfen müßig und das ist ein ineinen cessunL, das keine Con-<lb/>
tribution zu ersetzen vermag. Saigun in unseren Händen ist Sicherstellung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0135] zu helfen ist. Wir aber haben sonst Ruhmes genug, um des punischen und batavischen entrathen zu können. Ich habe versucht die Vorstellung zu bekämpfen, als seien uns Handels- colonien nothwendig oder auch nur wünschenswerth. Gehen wir zu den anderen Gattungen von Ansiedlungen über. Von der Eroberungscolonie Algerien hat wohl noch Niemand gemeint und wird auch keiner meinen, daß Deutschland mit der Besitznahme dieser großen Kriegsschule auf der nahen Gegenküste Frankreichs irgend etwas gewönne. Wir kommen nun zu dem tausendfach wiederholten Begehren nach Colonien. die geeignet wären, den Strom unserer unaufhörlichen Auswanderung in sich zusammenzufassen, auf daß er nicht in alle Welt verrinne und seine volkstümliche Kraft versiege. Ja, wenn wir dergleichen Colonien haben könnten! Zwar daß sie nicht von uns aus beherrscht werden dürften, würde uns die Geschichte lehren. Aber eben ein von Anfang frei verkehrendes, selb¬ ständiges, zweites Deutschland irgend wo zu gründen, es wäre ein Ziel, auf's innigste zu wünschen! nur daß uns Frankreichs Colonialbestand dazu nicht die mindeste Handhabe bietet. Handelt es sich doch um eine Ackerbaucolonie in einem dem unseren entsprechenden Klima, denn Bauern bilden den Haupt¬ stock unserer Auswanderung. Warum haben nur die bösen Franzosen das prächtige Canada schon früher verloren! Denn in den Plantagen von Guadeloupe oder gar Cayenne würden doch unsere Hinterpommern und Schwaben schwerlich arbeiten mögen? Doch genug von diesen Chimären! Noch bleibt ein Vorschlag zu erledigen übrig, der sich am ersten hören läßt und den wir auch nicht so unbedingt, wie die anderen, von der Hand weisen wollen. Es lassen sich nämlich gewichtige Stimmen etwa folgender¬ maßen vernehmen: Die Zeit der eigentlichen Colonialpolitik sei freilich vor¬ über, aber von unendlicher Wichtigkeit für unseren Handel und für die Ent¬ wicklung unserer Marine sei die Erwerbung von Stationen für beide. Als eine solche Hort man von verschiedenen Seiten besonders Saigun in Cochin- china anpreisen. „Die ostindisch-chinesische Schiffahrt", schreibt uns ein Freund unseres Blattes, „ist der Lebensnerv der transatlantischen Segelrhederei, welche' durch die großen Actien-Dampsschiffahrtsgesellschaften zwischen Europa und Amerika auf null reducirt ist, die norddeutsche Flagge ist in allen chinesischen Häfen die zweite, in manchen die erste. Vor allem aber ist Saigun als Marinestation wichtig; von diesem Punkt aus legen die Franzosen bei jedem Kriege nicht allein, sondern bei jedem nur drohenden Conflicte unsere chine¬ sische Schiffahrt vollständig brach; kein deutscher Capitän wagt sich dann in jene Gewässer, kein Haus vertraut seine Sendungen dorthin deutschen Schiffen. Hundeite von deutschen Schiffen liegen jetzt in ostindischen, chinesischen, japanischen Häfen müßig und das ist ein ineinen cessunL, das keine Con- tribution zu ersetzen vermag. Saigun in unseren Händen ist Sicherstellung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/135
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/135>, abgerufen am 22.12.2024.