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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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ten Marken nichts zu fürchten; aber es mangelte ihm die Hälfte aller Macht,
die Seemacht."

Die Seemacht, ja wohl! wer würde ihre großartige Entwickelung nicht
wünschen? Aber gehören denn zu einer Seemacht nothwendig auch Colonien?
Ein beträchtlicher Theil unseres Publicums scheint das wirklich zu glauben,
und eben jetzt, meinen sie, habe Deutschland deren zu erwerben eine günstige
Gelegenheit, die es um jeden Preis benutzen müsse: in die Bedingungen des
Friedens mit Frankreich sei auch die Abtretung einer oder der anderen von
seinen außereuropäischen Besitzungen aufzunehmen! Diese Forderung gerade,
die uns in der Presse wie in Privatgesprächen vielfach begegnet ist, wollen
wir versuchen, in der Kürze als verkehrt darzuthun, oder doch auf ein un¬
schädliches Maß zurückzuführen.

Die Beweggründe, welche unsere Patrioten zu jener Forderung antrie¬
ben, sind verschiedener Art: die Einen hoffen, durch Colonien unserem Handel
weiter aufzuhelfen, unserem Nationalreichthum die Schätze Indiens zuzufüh¬
ren; in Anderen wird der alte Gedanke lebendig, unserer Auswanderung eine
Stätte zu gründen, auf der sie nicht über kurz oder lang doch unserem
Volksthum verloren gehe; wieder Andere möchten wenigstens für unsere
Kriegsschiffe haltbare Stationen gewinnen, in deren Schutz sich dann in
Zeiten der Gefahr auch unsere Kauffahrer bergen könnten; eine große An¬
zahl von Leuten endlich läßt sich blos von unbestimmten tropischen Phanta-
sieen reizen, ihre überseeische Lectüre macht ihnen zu schaffen, vor ihren Augen
gaukeln blaue Hafenküsten mit stolzbewimpelten Dreimastern, sie träumen mit
Heine's Fichtenbaum, von "Palmen, die fern im Morgenland" u. f. w., und
am Ende, ernstlicher befragt, bleiben sie dabei, es gehöre doch nun einmal
dazu: wenn das kleine Holland seine reichen Colonien habe, warum sollte
das große Deutschland nicht endlich welche zu bekommen trachten?

Gegen diese Scheinargumentation eben richtete sich unser spottendes
Gleichniß zu Anfang; nein, im Ernste, etwas offenbar Unmoralisches kann
niemals zu den Pflichten einer Nation gehören, keine äußerliche Eitelkett der
Repräsentation darf sie dazu verführen. Es sind vor allem andern sittliche
Gründe, aus denen wir den Colomalgelüsten entgegentreten. Die ganze Po¬
litik des Colonialhcmdels gehört dem Kreise theoretisch längst überwundener
sittlicher Vorstellungen an. Handelscolonien bedeuten die Ausbeutung der
einen, uncivilisirten oder doch nur halbcivilisirten Nation durch die andere,
civilisirte, bedeuten den übrigen civilisirten und darum mit Concurrenz
drohenden Nationen und Staaten gegenüber das Monopol, bedeuten endlich
allemal im Innern der eigenen Volkswirthschaft eine Aristokratie der großen
Capitalien in schroffster Art. In allen diesen Beziehungen dürfen wir unser
sonst so trauriges Geschick in den abgelaufenen Jahrhunderten der modernen
Zeiten preisen, daß es uns vor einer überseeischen Laufbahn meinetwegen des


ten Marken nichts zu fürchten; aber es mangelte ihm die Hälfte aller Macht,
die Seemacht."

Die Seemacht, ja wohl! wer würde ihre großartige Entwickelung nicht
wünschen? Aber gehören denn zu einer Seemacht nothwendig auch Colonien?
Ein beträchtlicher Theil unseres Publicums scheint das wirklich zu glauben,
und eben jetzt, meinen sie, habe Deutschland deren zu erwerben eine günstige
Gelegenheit, die es um jeden Preis benutzen müsse: in die Bedingungen des
Friedens mit Frankreich sei auch die Abtretung einer oder der anderen von
seinen außereuropäischen Besitzungen aufzunehmen! Diese Forderung gerade,
die uns in der Presse wie in Privatgesprächen vielfach begegnet ist, wollen
wir versuchen, in der Kürze als verkehrt darzuthun, oder doch auf ein un¬
schädliches Maß zurückzuführen.

Die Beweggründe, welche unsere Patrioten zu jener Forderung antrie¬
ben, sind verschiedener Art: die Einen hoffen, durch Colonien unserem Handel
weiter aufzuhelfen, unserem Nationalreichthum die Schätze Indiens zuzufüh¬
ren; in Anderen wird der alte Gedanke lebendig, unserer Auswanderung eine
Stätte zu gründen, auf der sie nicht über kurz oder lang doch unserem
Volksthum verloren gehe; wieder Andere möchten wenigstens für unsere
Kriegsschiffe haltbare Stationen gewinnen, in deren Schutz sich dann in
Zeiten der Gefahr auch unsere Kauffahrer bergen könnten; eine große An¬
zahl von Leuten endlich läßt sich blos von unbestimmten tropischen Phanta-
sieen reizen, ihre überseeische Lectüre macht ihnen zu schaffen, vor ihren Augen
gaukeln blaue Hafenküsten mit stolzbewimpelten Dreimastern, sie träumen mit
Heine's Fichtenbaum, von „Palmen, die fern im Morgenland" u. f. w., und
am Ende, ernstlicher befragt, bleiben sie dabei, es gehöre doch nun einmal
dazu: wenn das kleine Holland seine reichen Colonien habe, warum sollte
das große Deutschland nicht endlich welche zu bekommen trachten?

Gegen diese Scheinargumentation eben richtete sich unser spottendes
Gleichniß zu Anfang; nein, im Ernste, etwas offenbar Unmoralisches kann
niemals zu den Pflichten einer Nation gehören, keine äußerliche Eitelkett der
Repräsentation darf sie dazu verführen. Es sind vor allem andern sittliche
Gründe, aus denen wir den Colomalgelüsten entgegentreten. Die ganze Po¬
litik des Colonialhcmdels gehört dem Kreise theoretisch längst überwundener
sittlicher Vorstellungen an. Handelscolonien bedeuten die Ausbeutung der
einen, uncivilisirten oder doch nur halbcivilisirten Nation durch die andere,
civilisirte, bedeuten den übrigen civilisirten und darum mit Concurrenz
drohenden Nationen und Staaten gegenüber das Monopol, bedeuten endlich
allemal im Innern der eigenen Volkswirthschaft eine Aristokratie der großen
Capitalien in schroffster Art. In allen diesen Beziehungen dürfen wir unser
sonst so trauriges Geschick in den abgelaufenen Jahrhunderten der modernen
Zeiten preisen, daß es uns vor einer überseeischen Laufbahn meinetwegen des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/132>, abgerufen am 22.12.2024.