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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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jetzt den kriegslustiger Franzosen. Wer aber die Gedanken der Pfaffen und
die Nichtigkeit der Journalisten in Frankreich beachtet, der wird vorsichtig
in seiner Muthmaßung über die nächsten Scenen in dem großen Spektakel¬
stück der französischen Geschichte, und er wird für das kräftigste Argument
gegen den Kaiser nur das halten, daß Napoleon III. bereits zu bejahrt und
müde ist, um noch Vieles zu durchleben.

Wir Deutsche sind seit Jahren gewöhnt, den Kaiser als den großen
Schuldigen zu betrachten, der durch Doppelzüngigkeit, Unwahrheit und Ge¬
walt den Thron gewonnen und sich dadurch fast zwanzig Jahre erhalten hat,
daß er den schlechten Neigungen der Franzosen mit seinen ungeheuren Macht¬
mitteln diente. Wer die Vermessenheit hatte, sich so zur Jncarnation aller
Majestät und Machtfülle eines Volksthums zu machen, wie der Kaiser ge¬
than, der hat kein Recht, ein solches Urtheil der Zeitgenossen ungerecht zu
nennen. Dennoch wird das wirkliche Sachverhältniß genauer ausgedrückt,
wenn man zugibt, daß das ganze System Napoleons nur deshalb so erfolg¬
reich wurde, weil es klug und in gewissem Sinne großartig gerade die Macht¬
mittel und Wirkungen benutzte, welche in Frankreich einen Erfolg sichern,
mit anderen Worten, weil es gerade so viel Unwahrheit und falschen Schein
für sich aufwandte, als die Pariser sonst für ihre Zwecke aufzuwenden lieben.
Er unterschied sich von anderen Heuchlern und Phantasten in der Presse
und auf der Tribüne in Wahrheit nur dadurch, daß er mit geheimer Nicht¬
achtung die Schwächen und Laster des Pariser Volkes übersah und in nicht
wenigen Fällen verstand, dieselben, zugleich in eigenem Interesse, sür große
Culturzwecke zu verwerthen. Unser Blatt hat den Kaiser so lange er regierte,
niemals mit Vorliebe behandelt, es hat die ungeheure Selbstsucht seiner Herr¬
schaft stets vom Standpunkt gemeiner deutscher Sittlichkeit verurtheilt, in
diesen Spalten ist seit Jahren behauptet worden, daß ein Angriff auf uns
das Ende seiner Herrschaft sein werde; deshalb dürfen wir jetzt, wo er durch
deutsche Waffen gestürzt ist. auch offen heraussagen, er hat durch zwanzig
Jahre die Franzosen beherrscht, nicht nur, weil er ihnen Lüge und Schein
gab im großen Stile und grade in der Weise, wie sie ihnen wohlthat und
wie jede andere Regierung, die Louis Philipps, die der Republik ihnen auch
zu geben versucht hat. nur ungeschickter; sondern er hat auch darum mit ihnen
geschaltet, weil er in Manchem klüger und größer empfand als fast sammt-
liche Stimmführer. Wäre er nur ein Abenteurer und Lügner gewesen, wie
Herr Thiers ein Phraseur und Fälscher unter den Historikern genannt wer¬
den muß, wie Victor Hugo. Eugen Sue, Dumas ihr Lebelang verlogene
Abenteurer gegenüber ehrlichen Romanschreibern waren, wie Herr von Girar-
din. ja, die meisten unter den anspruchsvollen Journalisten Frankreichs hohle,
leere, effecthaschende Schwindler sind, gegenüber- ehrlichen deutschen Jour-


jetzt den kriegslustiger Franzosen. Wer aber die Gedanken der Pfaffen und
die Nichtigkeit der Journalisten in Frankreich beachtet, der wird vorsichtig
in seiner Muthmaßung über die nächsten Scenen in dem großen Spektakel¬
stück der französischen Geschichte, und er wird für das kräftigste Argument
gegen den Kaiser nur das halten, daß Napoleon III. bereits zu bejahrt und
müde ist, um noch Vieles zu durchleben.

Wir Deutsche sind seit Jahren gewöhnt, den Kaiser als den großen
Schuldigen zu betrachten, der durch Doppelzüngigkeit, Unwahrheit und Ge¬
walt den Thron gewonnen und sich dadurch fast zwanzig Jahre erhalten hat,
daß er den schlechten Neigungen der Franzosen mit seinen ungeheuren Macht¬
mitteln diente. Wer die Vermessenheit hatte, sich so zur Jncarnation aller
Majestät und Machtfülle eines Volksthums zu machen, wie der Kaiser ge¬
than, der hat kein Recht, ein solches Urtheil der Zeitgenossen ungerecht zu
nennen. Dennoch wird das wirkliche Sachverhältniß genauer ausgedrückt,
wenn man zugibt, daß das ganze System Napoleons nur deshalb so erfolg¬
reich wurde, weil es klug und in gewissem Sinne großartig gerade die Macht¬
mittel und Wirkungen benutzte, welche in Frankreich einen Erfolg sichern,
mit anderen Worten, weil es gerade so viel Unwahrheit und falschen Schein
für sich aufwandte, als die Pariser sonst für ihre Zwecke aufzuwenden lieben.
Er unterschied sich von anderen Heuchlern und Phantasten in der Presse
und auf der Tribüne in Wahrheit nur dadurch, daß er mit geheimer Nicht¬
achtung die Schwächen und Laster des Pariser Volkes übersah und in nicht
wenigen Fällen verstand, dieselben, zugleich in eigenem Interesse, sür große
Culturzwecke zu verwerthen. Unser Blatt hat den Kaiser so lange er regierte,
niemals mit Vorliebe behandelt, es hat die ungeheure Selbstsucht seiner Herr¬
schaft stets vom Standpunkt gemeiner deutscher Sittlichkeit verurtheilt, in
diesen Spalten ist seit Jahren behauptet worden, daß ein Angriff auf uns
das Ende seiner Herrschaft sein werde; deshalb dürfen wir jetzt, wo er durch
deutsche Waffen gestürzt ist. auch offen heraussagen, er hat durch zwanzig
Jahre die Franzosen beherrscht, nicht nur, weil er ihnen Lüge und Schein
gab im großen Stile und grade in der Weise, wie sie ihnen wohlthat und
wie jede andere Regierung, die Louis Philipps, die der Republik ihnen auch
zu geben versucht hat. nur ungeschickter; sondern er hat auch darum mit ihnen
geschaltet, weil er in Manchem klüger und größer empfand als fast sammt-
liche Stimmführer. Wäre er nur ein Abenteurer und Lügner gewesen, wie
Herr Thiers ein Phraseur und Fälscher unter den Historikern genannt wer¬
den muß, wie Victor Hugo. Eugen Sue, Dumas ihr Lebelang verlogene
Abenteurer gegenüber ehrlichen Romanschreibern waren, wie Herr von Girar-
din. ja, die meisten unter den anspruchsvollen Journalisten Frankreichs hohle,
leere, effecthaschende Schwindler sind, gegenüber- ehrlichen deutschen Jour-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/13>, abgerufen am 23.12.2024.